Helmut Schmidt: Ein Mann, eine Mütze
11. November 2015Helmut Schmidt wirkte mit seiner dunkelblauen Prinz-Heinrich-Mütze immer ein bisschen altbacken. Wenn man ihn so auf Fotos sah, hatte das was von alten Dias aus den 1970er Jahren. Diese Mütze - für norddeutsche Hanseaten eine ganz normale Kopfbedeckung - gehörte genauso zu ihm wie die ewig qualmende Zigarette.
Helmut Schmidt hatte trotz dieses etwas schrulligen Modeticks vor allem unter der jüngeren Generation glühende Verehrer. Er hatte sogar Fans bei den unter Zwanzigjährigen. Viele bewunderten diesen imposanten Ex-Bundeskanzler für seine klaren und richtungsweisenden Worte – zur Politik, zum Tagesgeschehen oder auch zum Kulturleben der heutigen Zeit, bis hin zu den Auswüchsen der Digitalisierung aller Lebensbereiche, was Schmidt mehr als fremd war.
Reaktionen aus dem Netz zu seinem Tod
Viele Abschiedsstimmen kamen über Tweets und die Social Media-Kanäle aus den unterschiedlichsten Kulturbereichen:
"Ich Rauch jetzt eine für Helmut Schmidt!!", ließ der Rapper Sido die Trauergemeinde im Netz wissen. Die Redaktion des SZ-Magazins der Süddeutschen Zeitung gab ihrer Trauer über diesen großen Staatsmann und Freund der Künste Ausdruck mit einer wunderbar künstlerisch gestalteten Traueranzeige kund:
Die Klarheit seiner Gedanken beeindruckte seine Fans
Auch der Kulturpolitiker und ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Björn Engholm, sah Helmut Schmidt Zeit seines Lebens als Lehrer im besten Sinne an: "Nicht im Sinne von belehrend", erzählt er im Radiointerview, "aber im Sinne von Vorbildhaftigkeit. Man konnte sich an ihm orientieren, an seiner Sprache, seiner Klarheit der Gedanken, seiner Entscheidungsfreude, der Geschwindigkeit, mit der er das alles gemacht hat."
TV-Journalistin Sandra Maischberger, die das Glück hatte, Helmut Schmidt mehrfach in sehr persönlichen Interviews für eine Fernseh-Dokumentation und zuletzt im April 2015 nochmal in ihrer Talksendung "Menschen bei Maischberger" zu interviewen, schrieb: "Wir trauern um #HelmutSchmidt. Leider hatte er Recht, als er im April bei uns prophezeite: 'Mein letzter Auftritt'."
In der Talkshow, die dank des prominenten Gastes außergewöhnlich hohe Einschaltquoten hatte, berichtete SPD-Politiker Schmidt freimütig, welche Qualitäten ihn an Denkern und Philosophen am stärksten beeinflusst haben: die Gelassenheit des Philosophen Marc Aurel, die Konsequenz von Hermann Kants "Kategorischem Imperativ" und die Idee einer "offenen Gesellschaft" des deutsche Philosophen Karl Popper seien für ihn immer ein "gutes Gegengift gegen jegliche Weltanschauungs-Erregung" gewesen, erzählte er.
Musik von Bach war seine Inspirationsquelle
Der Dirigent und Pianist Justus Frantz, der mit dem leidenschaftlichen Klavierspieler Helmut Schmidt mehrfach Konzerte gegeben hat, trauert um einen seiner besten Freunde. "Wenn es einem dreckig ging, war er immer an der Seite seiner Freunde." Frantz berichtete, als er einmal einen Unfall hatte, habe Schmidt - statt sich als Staatsmann auszuruhen - eine strapaziöse Autofahrt unternommen, um ihn in der Klinik zu besuchen. "Es gab keinen bescheideneren, keinen souveräneren, keinen gebildeteren Menschen als ihn", sagte Frantz über Schmidt, den er seit 1959 kannte.
Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs hat den verstorbenen früheren Bundeskanzler Schmidt ebenfalls als "Jahrhundertpersönlichkeit" gewürdigt. Er habe die "Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts erlebt", sagte sie. "Mich hat sehr beeindruckt, dass er seiner Kirche immer treu geblieben ist - trotz aller kritischen Fragen, die er im Laufe seines Lebens an die Religion stellte. Die Werte, für die die Kirche steht, aber auch seine Liebe zu Johann Sebastian Bachs Orgelwerken nannte er als Gründe dafür."
Wertschätzung eines großen Nachdenkers
Henry Kissinger, der als deutschstämmiger US-Außenminister viel mit dem Bundeskanzler Schmidt zu tun hatte, würdigte seinen guten Freund und politischen Weggefährten als kosmopolitischen Politiker, der immer über den Tellerrand der westdeutschen Politik hinausgeblickt habe. "Helmut Schmidt und ich trafen uns in den 50er-Jahren, als Deutschland verwüstet und isoliert war. In all den Jahrzehnten seitdem repräsentierte er für mich ein Deutschland von historischen Werten, das sich den Hauptaufgaben unserer Zeit widmete, das ein tiefes Verhältnis mit Amerika verband, aber über diese politischen Beziehungen hinaus für Freiheit und Menschenwürde stand. Die Welt wird ihn vermissen."
Auf die Frage, was von dem "großen Denker" Helmut Schmidt, der explizit kein Visionär war, für die nächsten Generationen im Gedächtnis bliebe, antwortete der Kulturpolitiker Björn Engholm im Interview mit Deutschlandradio Kultur: "Eine große Erinnerung an einen, der aus der Geschichte kam, aus der Geschichte gelernt hat, der Geschichte erklären konnte und daraus ableiten konnte, was nie wieder sein darf."
Der Chefredakteur und Talkshowmoderator Giovannni di Lorenzo setzte in seinen Abschiedsworten für Schmidt einen klugen Schlussstrich: "Helmut Schmidt ist tot und wir, die ihn überlebt haben, müssen jetzt erwachsen werden. Ob wir es wollen oder nicht."
Zum Nachlesen von und über Helmut Schmidt:
Helmut Schmidt: "Was ich noch sagen wollte"
C.H. Beck, München, 240 Seiten
Jörg Magenau: Schmidt – Lenz. Geschichte einer Freundschaft
Hoffmann und Campe Verlag Hamburg, 272 Seiten, auch als ebook erhältlich