Hemdsärmeliger Amerikaner gegen deutschen Schöngeist
7. März 2002Der kammerspielartige Streifen, dessen Dialoge zu großen Teilen auf tatsächlichen Äußerungen Furtwänglers beruhen, spielt im zerstörten Berlin des Jahres 1946. Er basiert auf einem Theaterstück des britischen Schriftstellers Ronald Harwood.
Wilhelm Furtwängler (1886-1954)
Der Dirigent Furtwängler gehörte zu den Größten seiner Zeit. Als Chef der Berliner Philharmoniker und der Berliner Staatsoper sowie als Staatsrat der Reichsmusikkammer benutzten ihn die Nazis zweifellos als Aushängeschild. Und er ließ sich dazu benutzen. Andererseits half er jüdischen Mitbürgern und trat energisch gegen die faschistische Kulturbarbarei an. Beispielsweise lehnte er sich gegen das Verbot einer Hindemith-Oper auf. Mitglied der NSDAP war er nicht.
Im Zuge der Untersuchungen des von Furtwängler beantragten Entnazifizierungsverfahrens will der US-amerikanische Major Steve Arnold (Harvey Keitel) dem Dirigenten (Stellan Skarsgård) eine Mitschuld am Naziterror nachweisen. Der Verhörte beharrt auf der Ansicht, dass Kunst und Politik nichts miteinander zu tun hätten. Eine Haltung, die Arnolds Mitarbeiter, die KZ-Überlebende Emmi Straube (Birgit Minichmayr) und der jüdische Emigrant David Wills (Moritz Bleibtreu), akzeptieren können. Der Major aber bleibt unerbittlich. Er treibt Furtwängler argumentativ und emotional in die Enge. Der schwedische Furtwängler-Darsteller Stellan Skarsgard zeigt subtil, wie allmählich diesen recht selbstherrlichen Kulturträger ein Gefühl der Mitschuld trotz aller demonstrierten Distanz zu den Nazis erfasst.
Der Macher von "Mephisto"
Der ungarische Regisseur Szabó gilt seit seinem großartigen Streifen "Mephisto", der 1981 mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, als Spezialist für die differenzierte Darstellung doppelbödiger Charaktere, die in politische Verwicklungen geraten. Zwar hat Furtwängler nicht die faszinierende Dämonie eines Gustaf Gründgens, der in "Mephisto" porträtiert wurde. Doch beiden gemeinsam ist elitäres, genialisches Künstlertum, das glaubte, sich der damals Mächtigen bedienen zu können und doch vielmehr diesen diente. Erst in den Verhören des US-Majors Steve Arnold wird dem Dirigenten die Problematik seines Verhaltens bewusst.
István Szabó hat den Film aus einer sehr persönlichen Perspektive heraus gedreht. Er sagt dazu: "Ich lebe in Ungarn, wie schon meine Eltern und Großeltern. Unser Leben wurde immer durch Politik und Politiker bestimmt und zerstört. Die Fragen, die der Autor Ronald Harwood stellt, sind auch meine Fragen: Wie lebt man unter dem Druck autoritärer Regime? Wie kann man da überleben? Das sind generelle Fragen, die sich alle Menschen stellen müssen, heute nicht anders als vor fünfzig Jahren." Hauptdarsteller Harvey Keitel ergänzt: "Diese Fragen sind universell relevant. Toleranz, Moral, Angst, Mut, Feigheit - was steckt dahinter. Indem wir uns mit der Geschichte auseinandersetzen, haben wir eine Chance, das herauszubekommen." Der Originalfilmtitel "Taking Sides" ("Stellung beziehen") ist damit durchaus als direkte Aufforderung an das Publikum zu verstehen.
Nahaufnahmen als Stilmittel
Um die Ernsthaftigkeit des Films zu betonen, meidet Regisseur István Szabó allen äußeren Aufwand. "Ich vertraue der größten Errungenschaft der bewegten Bilder - Nahaufnahmen der sich permanent ändernden Gefühle", erläutert er seinen Stil. Und wirklich erreicht er damit eine außerordentliche Intensität. Und die wird durch das im Abspann des Films vermittelte Wissen um den historischen Fortgang der Ereignisse noch verstärkt: Furtwängler konnte nie in den USA arbeiten, galt aber in Europa als rehabilitiert und übernahm die Leitung der Berliner Sinfoniker sowie der Salzburger Festspiele. Die Nachfolge übernahm nach seinem Tod Herbert von Karajan, der gleich zwei Mal Mitglied der NSDAP geworden war. (fro)