Mit HERA gegen die nächste Seuche
14. September 2021Hera ist die Gattin und Schwester des Göttervaters Zeus. In der griechischen Mythologie wird die Dame als eifersüchtig, nachtragend, aber auch als durchsetzungsstark beschrieben. Ob sich die EU-Kommission bei der Benennung ihrer neuen Behörde für die Seuchenvorsorge von diesen Eigenschaften hat inspirieren lassen, war in Straßburg, wo die Kommission in der Sitzungswoche des Parlaments tagt, nicht zu erfahren.
Die beiden EU-Kommissare, die für Gesundheit zuständig sind, sind auf jeden Fall griechische Muttersprachler: die Zypriotin Stella Kyriakides und der aus Thessaloniki stammende Margaritis Schinas. Zusammen mit den übrigen 25 EU-Kommissaren haben die beiden heute beschlossen, HERA an den Start gehen zu lassen. Offiziell verkündet wird der Beschluss erst an diesem Mittwoch, wenn die Präsidentin der Kommission, Ursula von der Leyen, ihre alljährliche Rede zur Lage der EU im Europäischen Parlament in Straßburg halten wird.
Die Abkürzung HERA steht im englischen EU-Jargon für "Health Emergency Preparedness and Response Agency", also für "Agentur zur Reaktion auf Gesundheitsnotlagen". Ihre Aufgabe wird vor allem sein, Vorsorge für die nächste mögliche Corona-Pandemie oder andere Seuchen auf europäischer Ebene zu organisieren. Da die Zuständigkeit für Gesundheitspolitik bei den Mitgliedsstaaten liegt, wird HERA vor allem planen und koordinieren. Eigenständig entscheiden kann die Behörde nicht.
Schneller forschen, besser einkaufen
"Die Coronavirus-Pandemie hat ganz klar gezeigt, dass wir eine engere Koordinierung in der EU, resilientere Gesundheitssysteme und eine bessere Vorsorge gegen künftige Krisen brauchen. Wir müssen und werden anders mit grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren umgehen", versprach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits im vergangenen November. HERA soll nun ein weiterer Baustein auf dem Weg zu einer "Europäischen Gesundheitsunion" sein. Nach der Beschlussvorlage der EU-Kommission soll die neue Agentur die "Entwicklung, Herstellung, Beschaffung und Verteilung von medizinischen Produkten" im Krisenfall sicherstellen.
In normalen Zeiten soll die Behörde die Mitgliedsstaaten bei der Beschaffung und Bevorratung von Masken, Schutzanzügen und Medikamenten anleiten. Sie soll die Impfstofferforschung und -herstellung unterstützen. Wenn eine epidemische Lage festgestellt wird, würde HERA dann einen Krisenstab einsetzen, der die Antwort der EU als Gemeinschaft auf die Epidemie lenken soll. Dazu gehören auch einheitliche Quarantäne- und Reisevorschriften sowie die Organisation von grenzüberschreitenden Lieferketten.
Keine normale EU-Agentur
Im Frühjahr 2022 sollen die Mitarbeiter von HERA mit einem Etat von sechs Milliarden Euro voll einsatzfähig sein. Dabei handelt es sich nicht um eine Behörde wie jede andere mit eigenem Gebäude und Personal irgendwo in einem Mitgliedsstaat. HERA ist eine Art Querschnittsagentur, die sich aus den Ressourcen der vorhandenen Generaldirektionen der EU-Kommission bedient. Werkzeuge, Budget und Kompetenzen der bereits vorhandenen Direktionen sollen gebündelt werden. Mit den bereits bestehenden Agenturen für die Zulassung von Medikamenten (EMA) in Amsterdam und für Seuchenkontrolle (ECDC) in Stockholm soll HERA eng verzahnt werden.
Peter Liese, der gesundheitspolitische Sprecher der christdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament empfiehlt, HERA nach amerikanischem Vorbild zu formen. In den USA ist eine Behörde namens BARDA für die Vorsorge gegen medizinische Krisen, aber auch für die Abwehr von Biowaffen zuständig. Liese sagte in Straßburg, es sei bei der Organisation der Impfstoffbeschaffung problematisch gewesen, dass die EU komplizierte Strukturen aufweisen, die schnelle Entscheidungen erschweren. Die BARDA sei da besser aufgestellt. " Hier werden schon in Nicht-Krisenzeiten erhebliche Mittel in den Aufbau von Strukturen investiert und in Krisenzeiten kann schnell sehr viel Geld mobilisiert werden. So eine Institution brauchen wir dringend, damit wir in einer Krise schneller und besser reagieren können", meint Peter Liese, der selbst ausgebildeter Arzt ist.
Seuchenkontrollbehörde ECDC soll wachsen
Die deutsche "Helmholtz-Gesellschaft", eine Vereinigung wissenschaftlicher Forschungszentren, unterstützte das Konzept von HERA in einer öffentlichen Anhörung. Der grenzüberschreitende Ansatz der EU sei zu begrüßen, heißt es in einem ihrer Papiere. Aus der Pandemie müsse die Lehre gezogen werden, Forschung und Entwicklung bei Impfstoffen auch schon in frühen Phasen zu fördern, um sich auf mögliche gesundheitliche Gefahren vorbereiten zu können. Wichtig sei es auch, die klinischen Erprobungen von Impfstoffen stärker zu fördern, um diese Phase der Zulassungsverfahren zu beschleunigen. Auch das sollte HERA organisieren.
Die notwendigen Daten zu pandemischen Lagen soll weiterhin die "Europäische Seuchenkontrollbehörde" (ECDC) in Stockholm von den 27 Mitgliedsstaaten einsammeln und aufbereiten. Die ECDC hat zum Beispiel in der Corona-Pandemie, Inzidenzen, Impfquoten und eine Landkarte mit grünen bis dunkelroten Zonen errechnet, die für den Reiseverkehr in der EU als Maßstab gelten sollte. Diese "Corona-Ampel" ist allerdings nur eine Empfehlung. Nur wenige Mitgliedsstaaten haben sich an der ECDC orientiert. Deutschland verließ sich zum Beispiel lieber auf das "Robert-Koch-Institut" (RKI) und dessen Reisewarnungen und Risikoeinschätzungen. Das Europäische Parlament hat nun beschlossen, dass ECDC, das im Moment nur halb so groß ist wie das deutsche RKI, massiv auszubauen und mit mehr Personal auszustatten. Außerdem will sich die EU etwas von der als zu langsam empfundenen Weltgesundheitsorganisation (WHO) abkoppeln und künftig pandemische Lagen in Zukunft selbst ausrufen können.