Interkulturelle Woche
24. September 2012Es ist ein sonniger Herbsttag in Potsdam. Jascha, Victor und Amos, drei 16-jährige Schüler, sitzen auf den Steinstufen vor dem "Treffpunkt Freizeit". In dem städtischen Veranstaltungsgebäude haben sich insgesamt 75 Schüler aus vier Potsdamer Schulen getroffen, um ihre Visionen einer weltoffenen, interkulturellen Stadt zu erarbeiten. Sechs Workshops standen zur Auswahl, die Themen reichten von Politik über Religion, Sport, Geschichte und Alltagsrassismus bis hin zu bildender Kunst und Musik.
Jascha, Victor und Amos hätten sich gerne mit dem Problem des alltäglichen Rassismus beschäftigt, aber die Gruppe war schon voll. So wurden die drei Schüler für einen Besuch in der Moschee des "Vereins der Muslime Potsdam" eingeteilt. Er persönlich sei darüber erst einmal enttäuscht gewesen, sagt Victor, "weil ich Atheist bin und mit Religion wenig am Hut habe". In der Moschee sei dann aber positiv überrascht gewesen. "Es war sehr interessant, mit gläubigen Muslimen sprechen zu können und auch einmal in so einem Gebetshaus zu sein und sich mit denen auseinandersetzen zu können." Das habe er richtig gut gefunden.
Ist der Islam reformierbar?
Sie könnten alles fragen, wurden die Schüler in der Moschee ermutigt. Beispielsweise, warum die Männer lange Bärte tragen würden und ob ihre Frauen auch gläubige Moslems sein müssten. Die 16-Jährigen wollten aber zunächst lieber wissen, warum die islamische Welt so heftig auf die Mohammed-Karikaturen und das Schmäh-Video über den Propheten reagiert. "Meine Frage war, warum die jetzt da demonstrieren, obwohl doch im Koran steht, dass alle Nicht-Muslime Ungläubige sind und doch Gott dann gar nicht lästern können", wundert sich Jascha. Wenn die Gotteslästerung doch ungültig sei, dann verstehe er nicht, warum sich "alle so aufregen und nicht einfach nur eine Gegendemonstration machen." So richtig habe ihm die Frage in der Moschee aber niemand beantworten können.
Auch Amos war mit den Antworten nicht immer zufrieden. "Auch bei der Frage, ob Frauen im Islam unterdrückt werden, warum sie ein Kopftuch tragen müssen und bei der Frage, warum Schwule nicht so gemocht werden." Die stereotype Antwort sei stets gewesen, dass das im Koran stehe, der Koran heilig und nicht zu verändern sei. Die Schüler hätten dann auch noch gefragt, ob man den Islam nicht reformieren könne, sagt Amos. "Das fanden die auch nicht gut."
Nicht übereinander, sondern auch miteinander reden
Jenseits der Punkte, in denen die Ansichten gläubiger Moslems mit den Ansichten säkular erzogener Jugendlicher einfach nicht zusammenzupassen scheinen, hätten sie aber auch viele interessante und für sie auch neue Dinge erfahren, sagen Jascha, Victor und Amos. Da werde in der Presse vieles doch auch überzogen dargestellt. Solche Begegnungen sollten daher viel häufiger stattfinden, sagen die Jugendlichen.
Jörg Stopa von der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) in Potsdam kann das nur bestätigen. Es habe in der Moschee so viele Fragen gegeben, dass man eine ganze Woche intensiv hätte diskutieren können. "Die meisten der Schüler haben noch nie eine Moschee von innen gesehen und hatten mit dem Verein der Muslime noch nie irgendwelche Gespräche."
Solche Begegnungen müssten daher weiter angeregt werden und er hoffe, so Stopa, dass bei den Schülern ein paar Barrieren gefallen seien. "Man kann sich solche Dinge nicht nur anlesen oder sie aus zweiter Hand hören, sondern es geht um den direkten Austausch und um die Begegnung von Menschen unterschiedlicher Religion, Hautfarbe und Muttersprache."
Kochkurse und Debatten
Genau das will die Interkulturelle Woche leisten. Allein in Potsdam finden im Verlauf der Aktionswoche jeden Tag bis zu sechs Veranstaltungen statt. Vom interreligiösen Debattierkreis über Gartenfeste und Kochkurse bis hin zu Ausstellungen und Musiknachmittagen.
Potsdam, so betont Jörg Stopa, sei eine traditionell sehr offene und tolerante Stadt. Das liege auch daran, dass es über Jahrhunderte immer wieder Zuwanderungswellen gegeben habe. "Gerade in den letzten Jahren gibt es immer mehr Initiativen, die sich gegen Rassismus wenden", betont er. Als Beispiele nennt Stopa fünf "Schulen gegen Rassismus" und das Aktionsbündnis "Potsdam bekennt Farbe", das sehr viel gegen Rechtsextremismus tue.
Rassismus im Alltag, in den verschiedensten Situationen, den gebe es natürlich trotzdem. "Das war ja hier auch Thema eines Workshops, was das ist, wo uns alltäglicher Rassismus begegnet und was wir machen, wenn wir in solche Situationen kommen."
Ein Workshop, der von der gebürtigen Ukrainerin Dina Ulrich geleitet wurde. Doch wie behandelt man das Thema Rassismus in einer Gruppe, die ausschließlich aus deutschen Jugendlichen besteht? Indem man ihnen die ausgrenzende Situation verständlich macht, sagt Ulrich.
"Du Jude, Du Behinderter!"
Rassismus habe stets mit Vorurteilen und Macht zu tun und sei letztendlich nichts anderes als Diskriminierung. Die würden auch die deutschen Jugendlichen aufgrund ihres sozialen Status und ihrer Kleidung immer wieder erleben. "Wir haben den Rassismus nicht nur auf die Herkunft bezogen, sondern generell betrachtet", so Ulrich. Auf dem Schulhof sei es heute üblich, sich mit "Du Jude" oder "Du Behinderter" zu beleidigen. "Aber wen beleidigt man da eigentlich? Was heißt das, wenn kein Mensch mit dunkler Hautfarbe im Raum ist, und man jemanden mit 'Du Neger' betitelt?", fragt Dina Ulrich.
Fünf Stunden lang dauerten die Workshops mit den Schülern, anschließend wurden die Ergebnisse noch im gemeinsamen Plenum präsentiert. Alles in allem ein Vormittag, den die Jungen und Mädchen so schnell wahrscheinlich nicht vergessen werden.