Ringtausch: Eine Chronik des deutschen Zögerns
9. November 2022Monatelang stand es wie ein Motto über der deutschen Ukraine-Politik - und war ein Synonym für Zögern und Halbherzigkeit: das Wort "Ringtausch". Die Idee dabei: Deutschland liefert bestimmte Waffen, vor allem Kampfpanzer und anderes schweres Gerät, nicht an die Ukraine, sondern an NATO-Partnerländer. Die wiederum geben Waffen aus älteren Beständen an die Ukraine ab. Der Nutzen: Deutschland geht dem kontroversen Thema direkter schwerer Waffenlieferungen an die Ukraine aus dem Weg. Es zeigt dennoch Solidarität mit dem angegriffenen Land. Und: Es trägt zur militärischen Modernisierung von NATO-Mitgliedern vor allem in Mittelosteuropa bei.
Mehr als ein halbes Jahr, nachdem die Idee Ringtausch aufkam, ist es nun eher still geworden um sie. Anfangs funktionierte sie nicht, später nur in einigen Fällen und überwiegend nur holprig. Polen lehnte einen Ringtausch ganz ab, im Falle Griechenlands dauerte es Monate, bis eine Einigung über Details zustande kam. Inzwischen haben einige Ringtausch-Geschäfte erfolgreich stattgefunden, andere sind noch in der Phase ihrer Abwicklung.
Zeit für eine Zwischenbilanz: Hilft der Ringtausch der Ukraine? Was bringt er den beteiligten NATO-Mitgliedern? Hat die Idee noch eine Zukunft? Und: Verfestigt sie das Bild eines Deutschlands, das zwar wirtschaftliche Führungsmacht in Europa ist, aber keine Führungsrolle bei der Unterstützung der Ukraine übernimmt? Die DW hat dazu Regierungsvertreter der beteiligten Länder wie auch unabhängige Experten befragt.
Polen: Unattraktive Angebote
Polen gehört zu den wichtigsten Unterstützern der ukrainischen Armee. Die Ukraine bekam von ihrem nordwestlichen Nachbarn unter anderem mehr als 250 ältere Kampfpanzer sowjetischer Herkunft. Das hinterließ eine beträchtliche Lücke in den polnischen Beständen. Ein Ringtausch mit Deutschland wäre eine Lösung gewesen, diese zu schließen. Nur: Zustande kam er bis heute nicht. Es gebe aktuell auch keine Gespräche darüber mit Deutschland, teilt das polnische Verteidigungsministerium auf Anfrage der DW mit.
Ursprünglich hatte Deutschland angeboten, Polen 20 Leopard-2A4-Panzer zu liefern, die aber erst in etwa einem Jahr funktionstüchtig wären. Zusätzlich war Deutschland bereit, 100 alte Leopard-1A5-Panzer oder gebrauchte Marder-Schützenpanzer abzugeben. "Die polnische Regierung war mit diesem Angebot nicht zufrieden", so Justyna Gotkowska, Expertin des Warschauer Zentrums für Oststudien (OSW). "Erstens wollte Polen ein ganzes Bataillon, also mindestens 44 Panzer erhalten, zweitens Panzer der neueren Generation. Die polnische Armee befindet sich in einer beschleunigten Modernisierungsphase und sieht keinen Sinn darin, in alte Ausrüstung zu investieren."
Deutschland hinter seinen Möglichkeiten
Derzeit kauft Polen hunderte hochmoderne Abrams-Panzer aus den USA. Im Juli 2022 unterzeichnete das polnische Verteidigungsministerium außerdem ein Abkommen mit Südkorea über den Erwerb von 180 modernen K2-Panzern. "Deutschland ist als Partner für die militärisch-technische Zusammenarbeit im Bereich der Panzer in den Hintergrund getreten", erklärt Gotkowska.
Auch die große Politik spielt eine Rolle beim gescheiterten Ringtausch. "Berlins Politik der militärischen Unterstützung für die Ukraine wird in Warschau als bei weitem nicht ausreichend im Verhältnis zu den deutschen Möglichkeiten beurteilt", sagt Gotkowska.
Tschechien, Slowakei, Slowenien: Die Zufriedenen
Auch Tschechien und die Slowakei sowie in kleinerem Maße Slowenien zählen innerhalb der EU zu den aktivsten militärischen Unterstützern der Ukraine. Die Slowakei lieferte bereits im Frühjahr 2022 ein Luftabwehrsystem direkt an Kiew und bekam dafür aus Deutschland und den Niederlanden ein Patriot-Abwehrsystem. Im Sommer lieferte Bratislava dann 30 Kampfpanzer an den östlichen Nachbarn, Prag überließ der Ukraine 40 Panzer. Im Gegenzug erhalten die Slowakei 15 und Tschechien 14 Leopard-Panzer aus Deutschland. Slowenien wiederum lieferte Ende Oktober 28 Panzer an die Ukraine und bekommt dafür 43 Militärtransporter aus Deutschland.
"In der Tschechischen Republik wird der Ringtausch mit Deutschland allgemein als positiv und vorteilhaft angesehen", sagt der tschechische Politologe Jiri Pehe der DW. "Er hilft Tschechien bei einer bedeutsamen Modernisierung seiner Armee." Ähnlich sieht es für die Slowakei der Politologe Grigorij Meseznikow vom Institut für öffentliche Angelegenheiten (IVO) in Bratislava: "Wir bekommen für alte Luftabwehrsysteme und Panzer neue und moderne Waffen aus Deutschland."
Deutschland braucht Einsicht
Anders wird in beiden Ländern der politische Hintergrund der Ringtausch-Idee gesehen. "Die Mehrheit der tschechischen Öffentlichkeit versteht zwar den pazifistischen Hintergrund Nachkriegs-Deutschlands, aber nicht, warum Deutschland jetzt, wo es Frieden nur durch eine militärische Niederlage Russlands geben kann, so zurückhaltend ist, bestimmte Waffen an die Ukraine zu liefern", sagt Jiri Pehe der DW.
Genauso beurteilt das auch Grigorij Meseznikow. Und er fügt hinzu: "Man muss in Deutschland einsehen, dass Russland Freiheit von uns allen bedroht. Es wäre gut, wenn Berlin bei der militärischen Hilfe für die Ukraine eine Führungsrolle in Europa einnehmen würde."
Marder für Griechenland
Im Falle Griechenlands dauerte es Monate - doch nun ist der Ringtausch im Gange: Die griechische Armee erhält insgesamt 40 Marder-Panzer aus Deutschland, einige wurden bereits geliefert. Dafür wird Griechenland 40 Kampfpanzer sowjetischer Bauart in die Ukraine schicken.
Eingesetzt werden die bereits gelieferten Marder-Panzer an der griechisch-türkischen Grenze. "Unsere Streitkräfte gehen davon aus, dass die Panzer dort am nützlichsten sind", sagte Premierminister Kyriakos Mitsotakis bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Oktober in Athen. Das Grenzgebiet am Fluss Evros im Osten Griechenlands macht international derzeit viele Schlagzeilen - wegen illegaler Pushbacks von Migranten und der türkischen Drohungen gegen die territoriale Integrität Griechenlands.
Investition in Solidarität
Bei der Marder-Lieferung steht nach Ansicht von Antonis Kamaras, Verteidigungsexperte beim Athener außenpolitischen Think Tank ELIAMEP, nicht etwa die Verteidigung Griechenlands im Vordergrund. "Der größte politische Wert liegt darin, dass die griechische Regierung ins Konzept der Solidarität investiert", sagt er im Gespräch mit der DW. Kamaras weist auch darauf hin, dass die Nutzung des Hafens von Alexandroupolis als Zwischenstopp für den Transfer von Waffensystemen, Vorräten und Munition an die Ukraine ein viel größerer griechischer Solidaritätsbeitrag ist als die Lieferung von Panzern an die Ukraine.
Dass Deutschland sich mit direkten Marder-Lieferungen an die Ukraine schwertut, findet der Verteidigungsexperte verständlich. "Es bleibt ein Tabu für die deutsche Regierung, deutsche Panzer wieder auf denselben Schlachtfeldern wie im Zweiten Weltkrieg zu sehen. Das ist die deutsche Geschichte", so Kamaras.
Deutschland: Bald keine Tabus mehr?
Der SPD-Politiker und Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP), der ältesten deutschen sicherheitspolitischen Vereinigung, Hans-Peter Bartels, sieht den Ringtausch inzwischen lediglich als "vorübergehende Phase der deutschen Politik, in der man sagt, man möchte nicht direkt Waffen an die Ukraine liefern". Inzwischen ändere sich das aber Stück für Stück, weil man beispielsweise bereits Raketenwerfer und schwere Artillerie an die Ukraine abgebe, so Bartels zur DW. "Die Skepsis von gestern wird zu einem 'Vielleicht' von heute und zum 'Da sind wir stolz darauf' von morgen. Die Linie ändert sich mit der Dauer des Krieges."
Dass der Ukraine mit der Ringtausch-Idee militärisch wirklich geholfen ist, glaubt Bartels eher nicht. Denn die vergangenen Monate hätten gezeigt, um wie viel effektiver westliche Waffen seien als alte sowjetische. Auch das Argument, dass die Ukrainer mit den westlichen Waffen nicht umgehen könnten, werde immer schwächer, weil ukrainische Soldaten im Umgang mit westlichen Waffen ausgebildet würden, so Bartels.
Auch der slowakische Politologe Milan Nic von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sieht die Ringtausch-Idee nur als Vorstufe einer möglichen neuen deutschen Politik - nicht nur gegenüber der Ukraine. "Die Führungen mittelosteuropäischer Länder haben sich zwar seit längerem damit abgefunden, dass Deutschland keine Führungsmacht in Europa ist", sagt Nic der DW. "Dennoch halte ich es für vorstellbar, dass Deutschland seine Zeitenwende tatsächlich vollzieht und zu einem Player wird, der die Stärkung der Ostflanke der NATO und der EU vorantreibt."