Hinter der Glitzer-Fassade: Las Vegas weiter unter Schock
4. Oktober 2017Kelly Dennis bearbeitet konzentriert den Automaten vor ihrem Drehstuhl. Wie Dutzende andere Gäste versucht die Verwaltungsangestellte aus Florida ihr Glück in der mit blinkenden Spielgeräten und Black-Jack-Tischen vollgestopften Lobby des Tropicana, einem traditionsreichen Hotel am Las Vegas Boulevard, dem berühmten "Strip".
Ein ganz normaler Dienstagabend im Spielerparadies Las Vegas? Nicht wirklich. Direkt neben dem Tropicana liegt das Las Vegas Village, eine Open-Air-Konzertarena, die am vergangenen Sonntag zum Schauplatz des schlimmsten Massenmordes in den USA seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde.
Glücksspiel als Therapie
"Es war furchtbar", sagt Kelly Dennis und schüttelt heftig den Kopf. "Die nackte Panik." Am Sonntagabend war sie mit ihrer Schwester im Tropicana abgestiegen - gerade als nebenan die ersten Schüsse fielen und bald darauf Flüchtende und Verletzte in die Eingangshalle des Hotels strömten.
Warum sie jetzt trotzdem hier sitzt und spielt? "Um mich abzulenken - um irgendwie wieder in der Normalität anzukommen." Und es wird klar: Hinter der Fassade der routinierten Geschäftigkeit der Casinos, Restaurants und Unterhaltungspaläste, die den Beobachter zwei Tage nach dem Massaker zunächst erstaunt, steht Las Vegas nach wie vor unter Schock.
"In was sind wir hier nur reingeraten?”
Das betrifft Einheimische wie Touristen: "Meine Frau und ich sind aus Boston; wir sind das erste Mal in Las Vegas", erzählt Bill Christie auf dem Platz vor dem Tropicana, auf dem drei Polizeiwagen und ein halbes Dutzend Uniformierte stehen. "In was sind wir hier nur reingeraten!?"
Andere sind noch viel unmittelbarer betroffen: Die Eheleute Dave und Kres Jones waren selbst auf dem Konzertgelände, als der Attentäter Stephen Paddock aus dem 32. Stock des gegenüberliegenden Mandalay Bay Hotels das Feuer eröffnete. Jetzt laufen sie langsam den Strip hinunter zum Tatort, den die Polizei immer noch abgesperrt hat. "Für uns ist das gerade ein Stück Therapie; der Versuch, mit diesen Bildern in unseren Köpfen fertigzuwerden", meint Kres - und muss mit ihren Tränen kämpfen.
Auch andere Überlebende des Massakers kommen zu dem Straßenabschnitt zwischen dem Mandalay Hotel und der Open-Air-Arena. Einige Passanten haben Blumen abgelegt, andere Kerzen, auch Luftballons in Herzform bewegen sich leicht im Wind. Davor flattert das gelbe Absperrband der Polizei.
Hoffen auf Trump
Deborah Power, die am Wochenende extra für das Country-Festival sieben Stunden lang von Tucson nach Las Vegas gefahren war, schüttelt sich bei dem Gedanken an die Nacht des Anschlags: Sie erinnert sich an ihre Angst, an die Schreie der Verletzten. Und an den Mut vieler Konzertbesucher, die sich ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit um die Verletzten kümmerten, Verwundete aus der Arena trugen oder versuchten, mit bloßen Händen Blutungen an Brust und Hals der Getroffenen zu stillen.
Am Mittwoch soll Donald Trump nach Las Vegas kommen. "Ich hoffe, er kann den Menschen Trost geben", sagt Deborah Power. "Und ich hoffe, dass er vermitteln kann, dass wir nur vereint, als Vereinigte Staaten von Amerika, stark sind." Diese Hoffnung teilt sie mit anderen Besuchern wie Bill Frill, der mit seiner Frau Mary zum Tatort gekommen ist. "Trump sollte das Land zusammenführen", sagt er.
"Amerika ist dumm!”
Doch ob ausgerechnet Trump dieses Kunststück gelingen kann, erscheint mehr als fraglich. "Er wird mal wieder vor allem über sich reden", vermutet Michelle Zavatsky, die nach eigenem Bekunden froh ist, dass sie am Mittwoch wieder im heimatlichen Kalifornien sein wird - weit weg von Trump: "Er ist halt ein Narzisst."
Und ihr Mann Mark fügt hinzu: "Es beschämt mich, das sagen zu müssen. Aber wir hier in Amerika sind einfach dumm, wenn es um das Thema Waffen geht. Nach jedem Amoklauf, nach jeder Schießerei ist die Betroffenheit groß. Aber es passiert nichts. Die Waffenlobby ist einfach zu stark. Und Trump ist auf ihrer Seite."
Waffen als Teil der Identität
Im 4000 Kilometer entfernten Washington tobt in der Tat bereits seit Montag wieder einmal Streit zwischen Gegnern und Befürwortern strengerer Waffengesetze. Und auch hier in Las Vegas wird schnell deutlich, dass beim Thema Waffenbesitz eine tiefe ideologische Kluft die Amerikaner trennt.
Auf der einen Seite stehen diejenigen wie Mark Zavatski und seine Frau, die gar nichts vom privaten Waffenbesitz halten. Und auf der anderen diejenigen wie Bill Robinson, Tourist und Waffenbesitzer aus Rhode Island, für den das Recht, Schusswaffen zu besitzen, Teil des amerikanischen Identität ist, für Selbstbestimmung und das Recht auf Selbstverteidigung steht: "Die Waffen sind nicht das Problem", sagt er. "Sondern dass es kriminelle oder verrückte Menschen gibt, die sie missbrauchen." Die Kluft zwischen beiden Lagern ist tief. So tief, dass auch eine Tragödie wie der Massenmord vom Sonntag sie nicht überbrücken kann.