Hip-Hop sucht Veränderung
12. Dezember 2013"Wäre ich schwul, würde ich denken, Hip-Hop hasst mich", sagt der aus Seattle stammende Rapper Macklemore in seinem Song "Same Love". Er meint damit die im Rap alltägliche Verwendung von Wörtern wie "schwul" als Beleidigung und Herabwürdigung.
Tobias Kargoll, Chefredakteur des Online-Magazins "Hip-Hop.de" sagt, dass "die Hip-Hop-Kultur keine bestimmte Haltung zu Homosexualität beinhaltet. Hip-Hop allgemein und Rap im Speziellen hatten aber immer Wettbewerbscharakter. Um im verbalen Wettbewerb sich selbst auf - und andere abzuwerten, bot sich das Klischee des femininen Homosexuellen an, um die Männlichkeit des Kontrahenten in Frage zu stellen." Das sei zwar diskriminierend, sollte aber nicht überinterpretiert werden, so Kargoll. "Man findet sicherlich auch außerhalb von Rap eine Menge diskriminierender Ausdrücke, die nicht so gemeint sind, aber dennoch so wirken."
Die aus Amerika stammende Literaturwissenschaftlerin Dr. Cathy Waegner von der Universität Siegen erklärt, das habe seinen Ursprung in der amerikanischen Sklaverei. "Schwärze Männer sind während der Sklaverei und darüber hinaus ihrer Männlichkeit beraubt worden. Sie wurden unterdrückt und haben im Umkehrschluss selbst unterdrückt", erklärt Waegner. "Das war eben der Weg, seine Männlichkeit zu unterstreichen, seine Macht auszudrücken. Homosexualität galt in diesem Zusammenhang eher als unmännlich."
Schockieren, um etwas zu verändern
Heute ist Homosexualität in den verbreitet konservativen USA in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und eben auch im Hip-Hop. Als es bei der vergangenen Präsidentschaftswahl im November 2012 auch darum ging, in einigen Staaten gleichgeschlechtliche Ehen zu erlauben, haben sich auch Rapper dazu geäußert.
Der Rapper Murs etwa kritisiert in seinem Song "Animal Style" die amerikanische Doppelmoral gegenüber Homosexualität, vor allem von Seiten der Kirche. Murs selbst spielt in dem Video zum Song einen Homosexuellen und küsst seinen Partner. So etwas wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen im Hip-Hop. In einem Interview sagte Murs, Rap habe immer die Verhältnisse ändern wollen. Gruppen wie N.W.A. und Public Enemy hätten mit ihren Schilderungen von Gewalt aus dem Ghetto schockiert, um etwas zu bewegen. Das sei auch seine Intention gewesen. Damit steht Murs nicht alleine da. Auch Hip-Hopper Macklemore hat einen Song pro gleichgeschlechtlicher Ehe herausgebracht. "Same Love" wurde zur erfolgreichsten Single, die je zum Thema Homosexualität veröffentlicht worden ist. Er und sein Produzent Ryan Lewis sind sogar zu UN-Botschaftern für die Gleichberechtigung Homosexueller ernannt worden.
Vom Macho zum Metrosexuellen
Neben diesen Songs sorgte vor allem der junge R'n'B-Sänger Frank Ocean für Aufsehen als er sich im vergangenen Jahr per offenem Brief outete. "Vor vier Sommern traf ich jemanden. Ich war 19 Jahre alt. Er auch", schrieb Ocean damals. Oceans Anerkennung in der Hip-Hop-Szene tat das keinen Abbruch. Er ist auf Platten von Stars wie Jay Z und Kanye West vertreten, hat Zuspruch von Def Jam Label-Boss Russell Simmons erhalten. Außerdem ist Ocean Teil des Künstlerkollektivs "Odd Future" aus Los Angeles. Die Gruppe gilt als vielleicht progressivste und kontroverseste Kraft in der derzeitigen Hip-Hop-Landschaft.
Der aus dem Ruhrpott stammende Rapper MistahNice sieht Rap und Homosexualität nicht im Widerspruch zueinander: "Rap ist Teil der Popkultur und vor allem in Amerika völlig Mainstream. Homosexualität genauso. Rap spiegelt immer auch die Gesellschaft wider. Die geht heutzutage offener mit Homosexualität um. Vor kurzem hat sich ja auch schon ein NBA-Spieler geoutet. Dass das im Musikbusiness auch passiert, ist ein logischer Schritt."
Tobias Kargoll von Hip-Hop.de sieht das ähnlich. Er sagt, einerseits sei Hip-Hop mittlerweile in sehr vielen Gesellschaftsschichten angekommen, anderseits habe sich auch das Männlichkeitsbild gewandelt: vom Macho hin zum Metrosexuellen. All das habe auch Einfluss auf die Hip-Hop-Kultur.
Was in Amerika passiert, passiert auch in Deutschland
Cathy Waegner meint, dass auch die Präsidentschaft Obamas bei diesem gesellschaftlichen Wandel nicht vergessen werden dürfe. Als erster schwarzer Präsident habe er einen großen Einfluss auf Amerika und vor allem die schwarze Bevölkerung und damit auf die Hip-Hop-Szene, so Waegner. Obama ist der erste Präsident, der sich in seiner Rede zur Amtseinführung direkt zur Gleichstellung von Homosexuellen geäußert hat. Er sagte, dass wenn alle wirklich gleich seien, wie es die Verfassung verspricht, auch die Liebe zwischen zwei Menschen gleich behandelt werden müsse.
Auch in Deutschland seien Hip-Hop-Songs pro Homosexualität nicht unvorstellbar, sagt MistahNice. "Vor allem für Leute, die nicht aus dem krassen Battle- oder Gangstarap-Umfeld kommen, ist das überhaupt kein Problem. Wenn ein Rapper etwa homosexuelle Freunde hat und das in einem Song zum Thema macht, würde doch in Deutschland keiner aufschreien. Das würde auf Akzeptanz stoßen, natürlich." Der 32 Jahre alte Rapper sieht das auch nicht als bloße Möglichkeit. "Wahrscheinlich wird es auch hier bald Mainstream-Rap-Songs zu dem Thema geben. Wenn das erst einmal in Amerika passiert ist, passiert das hier auch." Den einzigen Unterschied zwischen Amerika und Deutschland in dieser Hinsicht sieht Tobias Kargoll derzeit darin, "dass amerikanische Rap-Musik einen offen-Homosexuellen mehr hat als die deutsche."