Schwarze Häftlinge in den USA
20. Juni 2020Eine Forderung, die in den USA im Zuge der "Black Lives Matter"-Massendemos nach dem Tod von George Floyd immer lauter wird, richtet sich gegen ausufernde Polizei-Budgets. "Defund the police", weniger Geld für die Polizei, ist auf Protest-Schildern in Washington, Minneapolis und Los Angeles zu lesen. Zu viel rassistische Gewalt habe es von Polizeibeamten gegen Afroamerikaner und andere Minderheiten gegeben, dagegen müsse endlich gehandelt werden, sagen die Aktivisten. Einige große Städte haben bereits reagiert und angekündigt, ihre Polizei komplett umzustrukturieren oder Budgets herunterzufahren.
Was aktuell weniger Medienaufmerksamkeit bekommt, aber genauso zum Leben in den USA dazugehört wie Polizeigewalt gegen Schwarze: Auch das Justizsystem im Land benachteiligt Menschen mit dunkler Hautfarbe. In den frühen 2010er Jahren wurde die Statistik populär, dass einer von drei schwarzen Männern eine Zeit seines Lebens im Gefängnis verbringen wird, aber nur einer von 17 weißen Männern. Diese Zahlen sind umstritten.
Im Mai veröffentlichte das renommierte Pew Research Center jedoch Statistiken, die eine klare Sprache sprechen. 2018 stellten Schwarze 12 Prozent der erwachsenen US-Bevölkerung, aber 33 Prozent der Menschen, die eine Haftstrafe absitzen. Weiße machten 63 Prozent der erwachsenen US-Bevölkerung und 30 Prozent der Menschen im Gefängnis aus. Die Zahlen beruhen auf Berichten der Statistikagentur des US-Justizministeriums. Bestimmte Altersgruppen sind besonders betroffen. Einer von rund 21 schwarzen Männern zwischen 35 und 39 saß 2018 laut dem Pew Research Center im Gefängnis.
Immerhin, die Ungleichheit scheint langsam abzunehmen. Laut eines Berichts der Denkfabrik "Council on Criminal Justice" sank der Unterschied zwischen der Anzahl inhaftierter Schwarzer und Weißer zwischen 2000 und 2016 beträchtlich. Im Jahr 2000 lag das Verhältnis in bundesstaatlichen Gefängnissen noch bei mehr als 8-zu-1, also acht schwarze Insassen für jeden weißen. Im Jahr 2016 lag es bei gut 5-zu-1.
Geschichte der Ungerechtigkeit
Das ist natürlich immer noch ein erheblicher Unterschied. Rassismus ist im Gefängnissystem der USA, dem Land, in dem mit mehr als 2,2 Millionen Menschen im Knast mehr als 20 Prozent der weltweiten Gefängnisinsassen einsitzen, historisch verankert.
Die Dokumentation "Der 13." von Ava DuVernay aus dem Jahr 2016 zeigt, wie nach der Befreiung der Sklaven am Ende des Bürgerkriegs der 13. Verfassungszusatz ausgenutzt wurde. Darin heißt es, dass Sklaverei und Zwangsarbeit in den USA verboten sei - "außer als Strafe für ein Verbrechen". Wohlhabende Weiße hatten auf einen Schlag ihre Arbeitskräfte verloren, wussten sich aber zu helfen. In den Jahren nach dem Bürgerkrieg wurden Afroamerikaner in großen Zahlen für nichtige Kleinigkeiten verhaftet und mussten als Teil ihrer Gefängnisstrafe schuften.
In den 1970ern erklärte Präsident Richard Nixon den "War on Drugs". Der Krieg gegen Drogenkriminalität traf die schwarze Community hart - und das war beabsichtigt. In "Der 13." ist der ehemalige Nixon-Berater John Ehrlichman zu hören. Er sagte, Afroamerikaner gehörten zu den "Feinden" der Nixon-Regierung. "Wir wussten, dass wir es nicht illegal machen konnten, schwarz zu sein", so Ehrlichman. Aber man habe dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit Afroamerikaner mit Heroin assoziiere. "So konnten wir dann ihre Führungspersönlichkeiten verhaften, ihre Häuser durchsuchen und sie Abend für Abend in den Nachrichten verteufeln."
Außerdem wurden "mandatory minimums" eingeführt: Mindeststrafen, die schon für geringen Drogenbesitz lange Gefängnisstrafen vorschrieben. Für Drogen wie Crack, die öfter bei Afroamerikanern gefunden wurden, waren diese Pflichtstrafen sehr viel länger, und griffen schon bei geringeren Mengen als für Drogen wie Kokain, mit denen Weiße häufiger erwischt wurden. Die "mandatory minimums" lassen Richtern so gut wie keinen Handlungsspielraum. Auch wenn sie den Betroffenen eine zweite Chance geben wollen, sind sie gezwungen, jahrzehntelange Haftstrafen zu verhängen.
Armut wird ebenfalls bestraft. Wer sich die Kaution nicht leisten kann, muss bis zum Gerichtsverfahren im Gefängnis sitzen, oft Monate oder sogar Jahre lang. Besonders betroffen auch hier: Afroamerikaner.
Vor der Kriminalisierung ansetzen
Die Probleme reichen also lange zurück. Die "Defund the police"-Aktivisten lassen sich dadurch aber nicht abschrecken. "Anstatt so viel Geld für Tränengas und militärähnliches Equipment auszugeben", sollten Städte zum Beispiel in Schulen, Gesundheitssysteme und Jobtrainingsprogramme investieren, sagte Cori Bush der DW.
Bush, eine Demokratin, kandidiert für einen Sitz im US-Repräsentantenhaus. Sie will den Wahlbezirk Missouris vertreten, in dem auch Ferguson liegt - die Stadt in der die Black Lives Matter-Bewegung 2014 erstmals nationale Berühmtheit erlangte, nachdem der schwarze Teenager Michael Brown dort von einem weißen Polizisten erschossen worden war.
Die Umverteilung von Polizei-Budgets auf lokale Hilfsangebote "wird einen direkten Effekt" auf die hohe Anzahl von Afroamerikanern im Gefängnis haben, so Bush. "Ich war selbst mal in einer Lage, in der ich nicht wusste, wo meine nächste Mahlzeit herkommen sollte. Ich habe sichergestellt, dass meine Kinder zu Essen hatten, aber ich wusste nicht, was ich essen sollte", sagt die Politikerin. "Das macht mental etwas mit einem Menschen." Wenn es in schwarzen Communities weniger Armut, weniger Jugendliche ohne Zukunftsperspektive und weniger hungrige Kinder gäbe, folgert Bush, dann würden auch weniger Menschen im Gefängnis landen.