Seltener Shakespeare-Band entdeckt
26. November 2014Der Bibliothekar Rémy Cordonnier ist im nordfranzösischen Saint-Omer für eine Sammlung von über 50.000 historischen Büchern und Manuskripten verantwortlich. Er war gerade dabei, eine Ausstellung über englische Literatur vorzubereiten, als ihm eine sehr alte Ausgabe der Theaterstücke von William Shakespeare in die Hände fiel.
Zunächst falsch katalogisiert
"Wir wussten zwar von dieser Sammelausgabe, aber sie war falsch katalogisiert worden. Man war bisher davon ausgegangen, dass sie aus dem 18. Jahrhundert stammt. Als ich sie in Händen hielt, fielen mir Details auf, die auf ein wesentlich höheres Alter hindeuteten, wie zum Beispiel Fehler bei der Nummerierung der Seiten", sagte Cordonnier der DW.
Er kontaktierte den Shakespeare-Experten Eric Rasmussen von der University of Nevada, der das Buch als eines der wertvollsten und begehrtesten Bücher der Welt identifizierte: eine sogenannte First Folio-Ausgabe von 1623, von der es insgesamt nur 750 Exemplare gibt - jedes davon ein Einzelstück mit kleinen Fehlern und Unregelmäßigkeiten. Die von Cordonnier bemerkten Details erleichterten die Identifikation des Buches ungemein, wie Rasmussen der Nachrichtenagentur AFP mitteilte.
Handgeschriebene Randnotizen
Rasmussen hat zwei aufregende Jahrzehnte auf der Jagd nach den letzten verbliebenen Exemplaren dieser ersten ledergebundenen Ausgabe von Shakespeares Werken verbracht. Sein Buch "The Shakespeare Thefts" handelt laut seinem Verlag Palgrave Macmillan Trade "von Begegnungen mit schwer tätowierten Mitgliedern von Straßengangs in Tokio, skurrilen Treffen mit exzentrischen Milliardären und handfesten Diskussionen mit verschwiegenen Bibliothekaren".
Das von Rémy Cordonnier gefundene Werk wäre laut Rasmussen das 233., das bislang gefunden wurde. "Am interessantesten an diesem Exemplar ist, dass das Stück 'Heinrich IV.' handgeschriebene Notizen für eine Aufführung enthält, die vielleicht in den 1620ern stattgefunden hat. Einige weibliche Rollen wurden in Männerrollen umgeschrieben", ergänzt Cordonnier.
Zufluchtsort im Mittelalter
Saint-Omer war im Mittelalter ein bedeutender Hafen mit regem Handel und kulturellem Austausch und sei "lange Zeit die letzte katholische Bastion in der Region gewesen", erläuterte Cordonnier der AFP. "Viele englische Katholiken, die von den Anglikanern verfolgt wurden, haben hier Zuflucht gefunden." Das Buch sei womöglich von Engländern in die Stadt gebracht worden.
Obwohl die Shakespeare-Folianten aus jener Zeit auf dem freien Markt zwischen 2,5 und 5 Millionen Euro wert sind, will die Bibliothek das Buch für Recherchezwecke behalten. Bei der von Cordonnier vorbereiteten Ausstellung über englische Literatur, die im Sommer 2015 stattfinden wird, ist das Buch jedenfalls schon jetzt der Star.
eg/pj (Deutsche Welle/AFP)