Hitlers "Mein Kampf" - in L.A. versteigert
26. März 2015Philipp Bouhler war ein Nazi der ersten Stunde. 1922 trat er als nur zwölftes Mitglied in die neu gegründete NSDAP ein und wurde Zweiter Geschäftsführer der Partei. Auch beim versuchten Hitlerputsch am 9. November 1923 in München war er dabei. Kein Wunder also, dass Adolf Hitler ihm eine handsignierte Erstausgabe seines Manifests "Mein Kampf" schenkte. Später wurde Bouhler Hitlers Beauftragter für die sogenannte "Aktion T4", die systematische Ermordung von Kranken und Behinderten, auch als "Euthanasie" bekannt. Der Name Bouhler hingegen war lange Zeit vergessen. Erst jetzt erlangt er erneut zweifelhafte Aufmerksamkeit.
In Los Angeles versteigert das Auktionshaus Nate D. Sanders jene von Hitler an Bouhler signierte "Mein Kampf"-Ausgabe. Das Startgebot liegt bei 35.000 US Dollar. Auch Online kann mit gewettet werden, berichtete CNN in Vorfeld. Ein riesen Spektakel. "Obszön", nennt der Sozialwissenschaftler und emeritierte Journalistik-Professor der Universität Dortmund, Horst Pöttker solch einen Devotionalienhandel.
Dabei ist Pöttker durchaus der Meinung, dass Hitlers Manifest frei zum Verkauf angeboten werden sollte – auch in Deutschland. "Um zu verstehen, warum so viele Menschen in den 30er und auch schon 20er Jahren dem Nationalsozialismus gefolgt sind." Darum müsse das Buch gelesen werden, am besten in einer kommentierten Ausgabe, meint Pöttker.
Er selbst hat vor einigen Jahren an der Kommentierung von Passagen aus Hitlers "Mein Kampf" gearbeitet. Im Rahmen des Projekts "Zeitungszeugen" sollten diese publiziert werden.
"Mein Kampf" – darf ab 2016 theoretisch frei verkauft werden
Genau dies ist in Deutschland bislang jedoch nicht möglich – bis zum 31. Dezember diesen Jahres. Dann endet der Urheberschutz, 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Im Falle von "Mein Kampf" gingen die Rechte nach Ende des Zweiten Weltkriegs vom Eher-Verlag auf den Freistaat Bayern über – und der hat bislang jegliche Publikation unterbunden. Auch die Veröffentlichung der "Mein Kampf"-Auszüge bei den "Zeitungszeugen" wurde per einstweiliger Verfügung gestoppt.
Wird das Buch jedoch "gemeinfrei" kann es grundsätzlich von jedem nachgedruckt und verbreitet werden. In Deutschland ist dieses Szenario bereits seit Jahren ein Aufregerthema. Von Bundestagsabgeordneten über den Zentralrat der Juden in Deutschland bis hin zum Deutschen Historikerverband sorgt das Thema wieder für Diskussionen. Dass die "Hetzschrift" in deutschen Buchläden verkauft oder von Rechtsextremisten in Fußgängerzonen verteilt würde, käme einer "Verhöhnung der Holocaust-Opfer" gleich, war eines der Argumente.
Im Sommer 2014 entschieden die Justizminister der Bundesländer dann tatsächlich, die unkommentierte Verbreitung von "Mein Kampf" solle auch nach dem Auslaufen der Urheberschutzfrist in Deutschland verboten bleiben. Ein Sondergesetz, so entschieden die Justizminister, soll es zwar nicht geben, die geltende Rechtslage aber, etwa der Straftatbestand der Volksverhetzung, reiche aus, um den Nachdruck zu verhindern. Allein wenn eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe sich klar von dem Inhalt abgrenze, sei eine nicht-strafbare Veröffentlichung unter Umständen möglich. Dies müsse im Einzelfall von Gerichten beurteilt werden, hieß es.
Seit 2009 arbeiten Wissenschaftler an einer kommentierten Ausgabe
Der prominenteste Einzelfall, auf den diese Auseinandersetzung Anfang 2016 wohl zukommen wird, ist die geplante historisch-kritische Ausgabe des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in München. Dort arbeiten zwei Dutzend Wissenschaftler bereits seit 2009 an einer kommentierten Version des Textes. Sie wollen die Schrift in den historischen Kontext einbetten und offen legen, welche Quellen Hitlers Rassismus und Antisemitismus hatte. Anfangs wurde das Institut dabei finanziell vom Freistaat Bayern unterstützt – mit einer halben Million Euro. Dann zog die Regierung die Zuwendung überraschend zurück. Man habe das Vorhaben nach Gesprächen mit Holocaust-Überlebenden in Israel neu bewertet, hieß es zur Begründung. Man könne aus Respekt vor dem Leid der Opfer selbst eine wissenschaftliche Edition dieser "Schandschrift" nicht im Auftrag des Freistaates Bayern verbreiten.
Das IfZ meldete im Februar diesen Jahres schließlich, ihre kritische wissenschaftliche Edition Anfang 2016 im Eigenverlag auf den Buchmarkt zu bringen. 1600 Seiten und knapp 5000 Anmerkungen dick soll sie sein – die Normalausgabe von "Mein Kampf" hat 780 Seiten. "Hitlers Mein Kampf – eine kritische Edition", wird das Werk heißen. Als Herausgeber firmieren die Wissenschaftler – Hitler soll bibliographisch nicht als Autor erscheinen.
Sozialwissenschaftler Horst Pöttker hält von einer solchen Ausgabe nichts. "Wir brauchen keine historisch-kritische Ausgabe, weil wir gar nicht so genau wissen müssen, was der Autor Hitler nun eigentlich gemeint hat." Anstatt einen "Urtext" Hitlers freizulegen, sei es doch viel wichtiger, "dass eine breite Öffentlichkeit endlich mal von den Inhalten dieses Buchs erfährt. Auf kritischer Grundlage."
In Deutschland verboten – im Internet verkauft
Der Kern des Textes bilde Hitlers Rassenideologie, so Pöttker. Die "jüdische Rasse" beschreibe Hitler als Hauptfeind, den man um der "Selbsterhaltungswillen der Germanen" vernichten müsse. "Man konnte also schon 1925, als dieses Buch erstmals erschienen ist, wissen, dass die Nationalsozialisten planten, die 'jüdische Rasse' zu 'vernichten'." Das Argument vieler Deutscher nach 1945, man habe von all dem nichts gewusst, werde dadurch hinfällig. Denn das Buch ist bis Kriegsende in einer Auflage von 13 Millionen verbreitet worden.
Die Tabuisierung des Werkes hält Pöttker daher für gefährlich, so könne eine Faszination entstehen. Im Internet sind seit langem Auszüge aus Hitlers Kampfschrift frei verfügbar, unkommentiert und ohne dass die Justiz viel dagegen unternehmen könnte. Auf legal in Deutschland operierenden Internetplattformen, wie ebay werden antiquarische Auflagen von "Mein Kampf" angeboten. In zahlreichen Ländern wird Hitlers Kampfschrift ohne Einschränkungen im Buchhandel verkauft – oder für viel Geld als von Hitler signierte Trophäe verkauft.