Hochkaräter per Mausklick
4. August 2004Die Idee kam Mark Vadon vor fünf Jahren: Damals suchte der Berater der Consulting-Gesellschaft Bain & Company einen Verlobungsring für seine Lebensgefährtin. Das Problem: Vadon wollte weder von einem Verkäufer im Anzug schon beim Betreten eines Juwelierladens von oben herab behandelt noch einen Tausende Dollar teuren Ring aufgeschwatzt bekommen. Deshalb suchte und fand er eine Alternative im Internet - den Online-Ableger eines kleinen Juwelierladens. Dort bekam er, was er wollte: "Klare Informationen, so wie ein Juwelier mit seinen Freunden sprechen würde, um sie zu beraten." Vadon kaufte bei dem Online-Juwelier schließlich den gewünschten Ring und witterte eine Marktnische.
"Keine Ahnung von Schmuck"
"Die meisten Männer haben überhaupt keine Ahnung von Schmuck", sagte sich Vadon mit Blick auf seine eigenen Schwierigkeiten bei der Juweliersuche, lud den Inhaber des Juwelier-Geschäfts zum Abendessen und machte ihm ein Übernahmeangebot. Er akzeptierte und damit war Vadon Chef eines Juwelier-Ladens. Aus dem klassischen Juwelier-Geschäft mit Online-Anhängsel machte Vadon einen reinen Online-Shop names Blue Nile, brachte sein boomendes Unternehmen an die Börse und hat inzwischen die klassischen US-Juwelierketten wie Tiffany und Zale aufgeschreckt - und nicht nur die. Kurz vor dem Börsengang von Blue Nile gab Amazon-Chef Jeff Bezos den Einstieg des weltgrößter Online-Händlers in das Juwelier-Geschäft bekannt. Seitdem können Kunden bei Amazon nicht nur Bücher und Elektrogeräte, sondern auch Uhren und Schmuck ordern.
Trotz des neuen Wettbewerber wächst Blue Nile weiter. Im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres stieg der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um rund 30 Prozent auf 35 Millionen Dollar, wie Blue Nile vor wenigen Tagen bekannt gab. Der Ertrag erhöhte sich nach Unternehmensangaben im gleichen Zeitraum ebenfalls um rund 30 Prozent auf 2,9 Millionen Dollar.
Wachstum und Gewinn
Wie hat Blue Nile geschafft, was so vielen anderen Internet-Firmen nicht gelang - zu wachsen und gleichzeitig schwarze Zahlen zu schreiben? Die Antwort ist einfach: Eine effiziente und kostengünstige Unternehmensstruktur, gutes Personal, innovativen Service und extrem günstige Preise.
So können Kunden im Vergleich zu klassischen Juwelier-Geschäften bei Blue Nile beim Schmuckkauf rund 20 bis 40 Prozent sparen. Trotz dieser drastischen Preisunterschiede - bei Blue Nile liegt der Durchschnittseinkauf bei mehr als 5000 Dollar - hat das in Seattle ansässige Unternehmen mit rund 19 Prozent eine für die Branche einmalige Gewinnmarge. Vadon gelingt dieser scheinbare Spagat durch zwei Geschäftsregeln: Blue Nile hat die Zwischenhändler, die den End-Preis im traditionellen Geschäft um 60 bis 100 Prozent verteuern, ausgeschaltet und kauft Ware erst nach Bestellung bei Lieferanten in Israel und Indien ein.
Kundenfreundliches Geschäft
Noch vor wenigen Jahren galt es als ausgemacht, dass sich hochwertige Waren wie Schmuck, die speziell für den Kunden angefertigt werden, sich nicht per Internet verkaufen lassen. Auch diese Hürde hat Blue Nile genommen. Der Online-Juwelier will es dem Kunden noch angenehmer und sicherer machen Schmuck zu kaufen, als der dies bei einem Juwelier um die Ecke kann. Blue Nile bietet eine riesige Auswahl an Edelsteinen an, die der Kunde sich dann mit Hilfe von speziellen Internet-Tools nach eigenem Wunsch gestalten und zusammenstellen kann.
Für Ärger bei klassischen Wettbewerbern und Freude bei Kunden sorgt die Informationspolitik des Unternehmens. Blue Nile stellt nicht nur für alle Produkte eine Echtheitszertifikat aus, sondern hat eigens eine Rubrik "Education" auf der Homepage, die Kunden umfassend über Edelsteine und Schmuck informiert. "Andere Juweliere regen sich darüber auf und sagen, dass wir zu viel Information über Schmuck herausgeben", sagt Vadon und ergänzt: "Wir ziehen den Vorhang zurück und zeigen, was wirklich dahintersteckt."
Mit Erfolg: Das Wirtschaftsmagazin Forbes hat Blue Nile seit 2000 jährlich zum besten Online-Juwelier gekürt. Auch die Kundenzahl wächst; mittlerweile haben rund 55.000 Käufer - der Großteil männlich - Schmuck bei Blue Nile geordert, abgesichert durch eine 30-tägige Umtauschfrist und kostenlose Lieferung per Paketdienst.
Weiteres Wachstum
Auch wenn künftig weitere Wettbewerber auf den Internet-Markt drängen, sehen die Zukunftsaussichten für den Online-Branchenprimus Blue Nile gut aus. Nach einer Studie von Forrester Research haben die Online-Juweliere in den USA 2003 Schmuck für rund zwei Milliarden Dollar verkauft - fünf Prozent des Schmuck-Umsatzes. 2004 soll der im Internet erwirtschaftete Umsatz auf 2,8 Milliarden steigen, in vier Jahren soll rund zehn Prozent der Schmuckverkäufe online abgewickelt werden.