Hochwasser: Besuch von Kanzler Scholz - und viele Sorgen
3. Juni 2024Wenn ein Bundeskanzler mit Gummistiefeln in vom Hochwasser betroffenen Gebieten unterwegs ist, heißt das: Die Lage ist ernst. Sehr ernst sogar. Und wenn er dann noch den bayerischen Ministerpräsidenten und die Bundesinnenministerin im Schlepptau hat, muss die Situation ganz besonders angespannt sein. Und so tritt Olaf Scholz mit Markus Söder und Nancy Faeser vor dem Feuerwehrhaus im oberbayerischen Reichertshofen vor die Kameras und sagt mit betroffener Miene:
"Die Naturgewalten sind groß, sie sind stark und sie können große Zerstörung anrichten. Hochwasser ganz besonders, dies ist in diesem Jahr das vierte Mal, dass ich in ein konkretes Einsatzgebiet gehe. Wir werden alles dazu beitragen, auch mit den Möglichkeiten des Bundes, dass hier schnell weitergeholfen werden kann."
Reichertshofen, ein 8500-Einwohner-Örtchen, gehört zu den Gemeinden, die am stärksten vom Hochwasser in Süddeutschland betroffen sind. Das einst so harmlose Flüsschen Paar, ein Nebenfluss der Donau, ist zu einem reißenden Fluss geworden, mehrere Dämme sind gebrochen. Gemeinden mussten evakuiert werden, Hunderte Keller und Erdgeschosse sind vollgelaufen, die Elektrizität ausgefallen.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sagt: "Die Lage ist und bleibt ernst. Auch wenn an einigen Stellen das Wasser zurückgeht und die Aufräumarbeiten beginnen, haben wir immer wieder Durchbrüche. Wir sehen das Durchweichen von Dämmen, neue Überflutungen, viele Evakuierungen. Im Moment sind über 3000 Menschen in der Evakuierung, die Zahl wächst da eher."
Feuerwehrleute und Hilfskräfte am Limit
20.000 Helfer seien derzeit im Einsatz, über 50.000 seien es insgesamt gewesen, lobt Söder die freiwilligen Helfer in Bayern. Einer von ihnen ist Christian Nitschke. In einer der wenigen ruhigen Minuten der vergangenen Tage und Stunden zieht der Kreisbrandrat, der höchste Feuerwehrmann des Landkreises also, hektisch an seiner Zigarette. Nitschke könnte eigentlich ziemlich stolz sein auf sich und sein Team, tausende Menschen konnten sie in Sicherheit bringen.
Wäre da nicht der Feuerwehrmann, der bei einem Rettungseinsatz mit seinem Schlauchboot kenterte und nur noch tot geborgen werden konnte. Nitschke sagt der DW: "Das ist der Albtraum dieses Einsatzes, das Schlimmste, was passieren kann, wenn man einen Kollegen verliert. Wir sind sehr betroffen, bestürzt und erschüttert. Aber wir kämpfen bis zum Schluss, auch in den Gebieten, in denen wir gegen das Wasser verloren haben."
10.000 Menschen kurz vor Evakuierung
An Nitschke ist es auch, dem Kanzler die dramatische Situation in Oberbayern zu erklären - und an Landrat Albert Gürtner. Müsste man ein Stahlbad für einen Kommunalpolitiker erfinden, eine maximale Abhärtung: Gürtner wäre schon durchgegangen. Vor vier Jahren trat er sein Amt an, genau zwischen erstem und zweitem Corona-Lockdown, nun wartet mit dem Hochwasser die nächste riesige Herausforderung.
Er sagt der DW: "Wir hatten gestern die Befürchtung, dass eine ganze Ortschaft mit 10.000 Menschen überschwemmt wird, das hat sich Gott sei Dank nicht bestätigt, auch weil die Rettungskräfte tolle Arbeit geleistet haben. Man muss in der Zukunft auf alle Fälle diese ehrenamtlichen Strukturen, die wir haben, weiterhin fördern, weil wir viel zu wenig hauptamtliche Kräfte haben."
Aufbauarbeiten in Süddeutschland wichtiger als Scholz-Besuch
An Durchatmen sei noch nicht zu denken, so Gürtner. Die nächsten ein, zwei Tage könnte die Donau noch viel neues Wasser bringen. Der Landrat ist mit seiner Vorsicht nicht allein, ganz Reichertshofen schaut in diesen Stunden immer noch gebannt auf die Pegelstände.
Dass sich die höchsten Politiker des Landes in dem Örtchen die Ehre geben, wird eher beiläufig zur Kenntnis genommen. Man hat schließlich gerade wichtigere Dinge zu tun.
Da ist die Frau, deren Keller vollgelaufen ist und die verzweifelt ein Notstromaggregat sucht, weil sie seit 24 Stunden keine Elektrizität mehr hat. Da ist der Mann, der keinen Schimmer hat, wie er sein Haus direkt an der Paar betreten soll, weil der Zugang jetzt ein einziger kleiner See ist. Und der noch den Todeskampf einiger Rehe und eines Hirschs vor Augen hat, die von den Wassermassen mitgerissen wurden. Und da ist schließlich Martin Lorenz, der - mal wieder - vor den Trümmern seiner Existenz steht.
Schnelle Unterstützung statt Corona-Bürokratie
Vor vier Jahren war es die Corona-Pandemie, die sein kleines Fitnessstudio beinahe in die Knie zwang, nun setzt ihm das Hochwasser zu. Knöchelhoch stand es dort, wo sich normalerweise seine 60 Kunden mit persönlichem Training die Pfunde abtrainieren. Lorenz sagt der DW: "Nach Corona läuft das Geschäft seit einem Jahr wieder gut und jetzt das. All' die elektrischen Sachen, Fitnessgeräte und die Böden sind defekt."
Dass Olaf Scholz sich die Situation in Reichertshofen mit eigenen Augen anschaue, finde er gut, erklärt Lorenz. Aber der Bundeskanzler müsse sich jetzt an seinen Worten messen lassen, den Geschädigten schnell zu helfen. Davon hänge auch ab, ob er sein Fitnessstudio wieder aufbauen könne.
"Die Politiker sollen sich einfach einen realistischen Überblick verschaffen und keine leeren Versprechen abgeben. Nicht so wie bei Corona, wo oft Sachen total kompliziert waren. Und dass man nicht wieder Angst haben muss, 1000 Sachen falsch zu machen und danach wieder 100 Sachen zurückzahlen zu müssen."