1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gemeinsam gegen Hochwasser

Karin Jäger24. Oktober 2014

2002 und 2013 kämpften Bürger und Behörden gegen das Elbe-Hochwasser. Um gegen zukünftige Überschwemmungen gewappnet zu sein, wollen die Länder den Bund in die Pflicht nehmen.

https://p.dw.com/p/1DbWt
Rhein-Hochwasser 2012 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Hessen ist ein Reizwort für Reinhard Vogt, wenn es um Hochwasserschutz geht. Denn das Bundesland hätte von seiner Fläche her Möglichkeiten, Rückhalteräume zu schaffen, um Hochwasser flussabwärts - im benachbarten Bundesland Rheinland-Pfalz - zu verhindern. Aber Hessens Landesregierung habe sich bisher geweigert, dafür Geld auszugeben, beklagt Vogt.

Als langjähriger Leiter der städtischen Hochwasserschutzzentrale Kölns trug er die Verantwortung, als dort der Rhein über die Ufer trat. Seither gilt er als Hochwasser-Papst, berät trotz Pensionierung Behörden und Kommissionen an Elbe, Rhein, Donau, in China, Thailand, Indonesien und El Salvador. "Es passiert zu wenig, besonders wenn es lange kein Hochwasser gab, wird einfach kein Hochwasserschutz mehr durchgeführt", so Vogt.

So wie an der Elbe. Dort wurden 2002 nach der Jahrhundert-Flut viele Maßnahmen geplant, aber nur wenige umgesetzt - wie das verheerende Hochwasser 2013 zeigte.

Reinhard Vogt (Foto: Reinhard Vogt)
Ein Leben rund um Hochwasserschutz: Reinhard VogtBild: Reinhard Vogt

Hochwasserschutz als nationale Aufgabe

Das soll sich jetzt ändern. Mit einem nationalen Hochwasserschutzprogramm sollen Katastrophen an Rhein, Elbe, Oder, Donau oder Weser künftig vermieden werden.

Das beschlossen die Umweltminister von Bund und Ländern in Heidelberg. In den nächsten Jahren sollen Deiche rückverlegt und Flutpolder angelegt werden. "Jetzt sind die Voraussetzungen geschaffen, den Flüssen mehr Raum zu geben und das Risiko einer Hochwasserkatastrophe auf mittlere Sicht entscheidend zu vermindern", sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD).

Flüsse sollen 20.000 Hektar mehr Raum haben - durch renaturierte Auen. Durch steuerbare Polder sollen rund 1180 Millionen Kubikmeter zusätzliches Rückhaltevolumenvolumen entstehen. Durch die geplanten Maßnahmen könnte der Pegel an der Elbe theoretisch um bis zu 79 Zentimeter gesenkt werden. Die Scheitelabsenkung für die Donau wäre sogar um bis zu 1,60 Meter möglich.

Barbara Hendricks (Foto: Jens Wolf)
Ortsbesichtigung an Wasserschutzschleuse: Bundesumweltministerin HendricksBild: picture-alliance/dpa

Reinhard Vogt fordert seit langem die Renaturierung von Flüssen. Gäbe es in Hessen mehr Feuchtgebiete, in denen sich das Hochwasser ausbreiten könnte, wären die Rheinanrainer flussabwärts, in Lahnstein etwa, weniger von Überschwemmungen betroffen. Die Stadt bei Koblenz, an der Mündung von Lahn und Rhein gelegen, ist bis ans Ufer verbaut, auch ein Fehler, den Vogt bemängelt.

Ambivalentes Verhältnis zum Fluss

Das Leben am Fluss ist sehr beliebt, es kann aber auch bedrohlich werden. Trotzdem vergeben Kommunen in potenziellen Hochwasserlagen immer noch Baugenehmigungen. Die Verantwortung wälzen sie an die Bundesländer ab, die für Hochwasserschutz-Maßnahmen zahlen.

Elbe-Hochwasser in Meißen (Foto: dpa)
Nah am Wasser gebaut: Altstadt von Meißen an der ElbeBild: picture-alliance/dpa

Bei Schutzmaßnahmen orientieren Behörden sich an statistischen Vorgaben für Höchstwasserstände aus der Vergangenheit. Doch die Abflussgeschwindigkeiten haben sich in der jüngsten Zeit verändert, weil Flüsse begradigt und Flussauen bebaut wurden. "Am Oberrhein beispielsweise gab es Überschwemmungsbereiche. Der Fluss konnte sich dort bis zu vier Kilometer ausbreiten. Für die Schifffahrt wurde das Flussbett begradigt", erzählt Vogt.

Die Strecke zwischen Basel und Karlsruhe wurde für die Schifffahrt um 70 Kilometer kürzer. Durch die Begradigung der Flussstreifen und durch den Bau von Deichen wurde der Ausdehnungsbereich eingeschränkt. Die Strömung hat durch die Eingriffe deutlich zugenommen. Eine Welle zwischen der Schweizer Grenze und Karlsruhe braucht heute 24 bis 30, vor der baulichen Veränderung 64 Stunden. Durch die Erhöhung der Abfließgeschwindigkeit kann der Hochwasserpegel potenziell um einen Meter steigen. Durch die geplanten Renaturierungsräume sollen länderübergreifend Rückhaltemöglichkeiten geschaffen werden.

Reinhard Vogt mahnt allerdings einheitliche Standards bei Schutz- und Deichhöhen an. Im nationalen Programm sind auch keine Maßnahmen zum mobilen Hochwasserschutz wie Stahlwandelemente, Sandsäcke und ein aufpumpbares Schlauchsystem als Deichersatz vorgesehen.

Elbe-Hochwasser bei Fischbeck (Foto: Reuters)
Wo Wasser fließen kann: Dammbruch an der ElbeBild: Reuters

Renaturierung - der beste Hochwasserschutz

Dämme oder Deiche bieten längst keine Hochwasserschutz-Garantie mehr. Das zeigten die Deichbrüche an der Elbe. Sie waren noch zu DDR-Zeiten errichtet worden, viele zu nah am Fluss angelegt oder zu steil: "Die Bürger an Elbe oder Oder haben einen Deichbruch als natürliches Ereignis empfunden, das fand ich erschreckend", erinnert sich Reinhard Vogt, der von sich sagt, bekennender Anhänger der Verlangsamung der Fließgeschwindigkeit zu sein.

Wenn die Flächen nun renaturiert werden, kann Wasser in den Auen versickern, die Fließgeschwindigkeit kann sich verringern.

Bürger informieren und Bewusstsein schaffen

Bisher waren auch die Schutzmaßnahmen nicht einheitlich und an die Nutzung angepasst. "Für Golfplätze und Kleingärten braucht es doch nicht die gleichen Überflutungsräume wie für ein Krankenhaus oder eine Chemieanlage", argumentiert Vogt. "Eine Tankstelle, aus der Öl auslaufen könnte, gehört ebenfalls nicht in Flussnähe."

Auch die Bürger müssten in die Pflicht genommen werden, meint Vogt, um sich baulich und durch ihr Verhalten besser auf Hochwasser einzustellen: "Sie vergessen zu schnell." Der Experte erinnert an den Hochwasser-Pass, der kaum bekannt sei. Jeder Immobilienbesitzer kann durch Gutachter für sein Grundstück eine Gefährdungsabschätzung berechnen und eintragen lassen. "Der Pass hilft Bürgern, sich mit einer potenziellen Gefahrenlage auseinanderzusetzen. Dann sind sie auch eher bereit, Schutzmaßnahmen zu ergreifen", argumentiert Vogt.

Bisher bekommen Gebäude in gefährdeten Bereichen keinen ausreichenden Versicherungsschutz. Sei das Haus aber durch Stufen erreichbar, liege der Wohnbereich entsprechend hoch, sei er durch Wandfliesen besser geschützt und zu reinigen oder habe der Eigentümer eine Umwallung im Garten, könnte das Grundstück individuell bewertet werden und doch noch einen Versicherungsschutz bekommen, sagt Vogt.

Er rät Öltanks oder Stromleitungen niemals in Kellernähe zu installieren. Anlieger sollten ihre Heizung auf andere Energieträger - wie Erdgas - umstellen, die Tanks unter dem Dach unterbringen. Flächen sollten nicht durch Asphalt versiegelt werden, weil Wasser dann nicht in tiefere Bodenschichten versickern könne. Reinhard Vogt jedenfalls ist gespannt, ob Deutschland nicht doch vom nächsten Hochwasser wieder überrumpelt wird. Denn für die Umsetzung der auf 5,4 Milliarden Euro veranschlagten Maßnahmen sind 20 Jahre geplant.