Hoffen auf Rückkehr
18. Januar 2013Gabriel Garces dreht seinen Kopf, blickt in die Ferne. Der 55-Jährige wirkt müde, wenn er von seinem Schicksal erzählt: "Die Paramilitärs haben mich vertrieben. Sie drohten, mich umzubringen, und gaben mir drei Tage, um meine Farm zu verlassen. Ihr Kommandant war ein berüchtigter Killer." Garces ist frühzeitig gealtert, sein Gesicht ist gezeichnet von Krieg, Gewalt und Vertreibung.
Garces lebt in Urabá. Die Küstenregion im Nordwesten Kolumbiens gehört zu den Brennpunkten des Bürgerkriegs. Seit Jahrzehnten kämpfen hier linke Guerilleros, rechtsextreme paramilitärische Milizen und die Regierung um die Vorherrschaft. Zehntausende Menschen wurden getötet, Hunderttausende vertrieben.
Auch die 43-jährige Alicia Pacheco: "Ich bin von der Guerilla vertrieben worden, zusammen mit meiner Familie." Pacheco war damals noch ein Kind. "Später habe ich versucht, unser Land zurück zu bekommen. Da haben die neuen Besitzer mich bedroht. Ich habe alles bei den Behörden angezeigt, aber die haben mich nicht beachtet."
Hilfe für die Opfer
Jetzt soll alles anders werden. Vor einem Jahr trat ein Gesetz in Kraft, das Menschen wie Gabriel Garces und Alicia Pacheco entschädigen und ihnen eine Rückkehr auf ihr Land ermöglichen soll.
Viele der Opfer haben alles verloren. Ihre Angehörigen wurden ermordet, ihr Land geraubt. Sie leben im Elend der Großstädte oder als Billiglöhner auf den Plantagen der großen Landbesitzer. Zum ersten Mal, so die Regierung, stünden diese Menschen nun ganz oben auf der Prioritätenliste.
Demonstrativ reiste Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos mit seinem gesamten Kabinett in die Krisenregion Urabá, um dort für das Entschädigungsgesetz zu werben: "Wir wollen Versöhnung, Frieden und Entwicklung", erklärte der Präsident vor rund 20.000 Vertriebenen. "Dabei wird uns niemand aufhalten. Unsere Vision ist, dass jeder Vertriebene, der einen gerechtfertigten Anspruch auf sein Land hat, zurückkehren kann."
Im Vorfeld hatte es anonyme Drohungen gegen die Teilnehmer der Veranstaltung gegeben. Trotzdem kamen Vertriebene aus der gesamten Region. Präsident Santos, hellblaues Hemd, helle Hose, trat betont leger auf. Auch seine Wortwahl war für einen konservativen Politiker eher ungewöhnlich. Es gehe seiner Regierung nicht nur um ein Entschädigungsgesetz, erklärte Santos. "Es geht um eine Agrar-Revolution. Sie wird die ländlichen Regionen in ein Gebiet der Entwicklung und des Wohlstands verwandeln. Es ist eine Revolution ohne Waffen – mit der Verfassung und dem Recht in der Hand."
Ungerechte Landverteilung
In kaum einem Staat ist das Land so ungerecht verteilt wie in Kolumbien. 3000 Großgrundbesitzer kontrollieren rund die Hälfte des landwirtschaftlich genutzten Bodens. Und so kamen die Ankündigungen des Präsidenten bei Vertriebenen wie Alicia Pacheco gut an. "Der Auftritt des Präsidenten hat uns Hoffnung gemacht. Wie er zu uns gesprochen hat, dass er uns helfen wird, dass er es ernst meint, das freut uns.“
Carmen Palencia leitet die Vertriebenenorganisation Tierra y Vida. Auch sie begrüßt das Entschädigungsgesetz: "Wir erwarten, dass damit endlich das geraubte Land den rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben wird."
Rund fünf Millionen Menschen wurden in den vergangenen Jahren in Kolumbien vertrieben. Nach Angaben von Palencia haben davon etwa 1,6 Millionen Land verloren. Die gestohlenen Ländereien haben zusammengenommen fast die Größe Österreichs. Häufig wurden die Grundstücke weiterverkauft. Viele befinden sich heute in der Hand von einflussreichen Großgrundbesitzern. All das macht das Vorhaben der Regierung zu einer Mammutaufgabe.
Das Gesetz gilt seit Anfang 2012. Innerhalb von zehn Jahren sollen Entschädigung und Landrückgabe abgeschlossen sein. Doch bisher ist trotz der hohen Erwartungen noch nicht viel passiert. Viel Zeit verging mit dem Aufbau der notwendigen Bürokratie. Im Dezember vergangenen Jahres erhielten die ersten 31 Familien Titel für das Land, das ihnen geraubt wurde. Außerdem bekamen sie jeweils rund 10.000 Euro Entschädigung für ihre zerstörten Häuser.
Angst vor neuer Gewalt
Doch die Rückkehr auf die eigene Scholle ist damit noch lange nicht gesichert. Das größte Problem, so die Vertriebenen-Aktivistin Carmen Palencia, sei die extreme Rechte. "Die ist organisiert und bewaffnet. Die wollen es nicht zulassen, dass man ihnen das geraubte Land wieder wegnimmt. Dafür töten sie Anführer der Vertriebenen und Antragsteller. Sie machen alles, um das Land nicht zurückgeben zu müssen."
Seit 2010 wurden mehr als 30 Anführer der Vertriebenenbewegung ermordet. Viele mussten ihre Heimatregionen verlassen. Auch Carmen Palencia bekam Todesdrohungen. Heute lebt sie in der Hauptstadt Bogota. Nach Urabá kommt sie nur noch mit Bodyguards der Zentralregierung. "In Urabá ist der Einfluss der Paramilitärs und der illegalen Landbesitzer immer noch sehr groß,"erklärt Palencia, "ihre Hintermänner finanzieren Abgeordnete, Bürgermeister und Gouverneure."
Und so haben viele Vertriebene noch immer Angst. Auch Gabriel Garces: "Ein Bauer zählt hier nichts. Ohne Sicherheit sind wir Freiwild. Diese Banditen sind ja noch immer da. Wenn die Regierung uns keine Sicherheit gewährt, dann wäre es gefährlich zurückzukehren. Es kostet diese Leute nichts, einen zu erschießen und irgendwo in den Bergen zurückzulassen."
Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos hat den Vertriebenen Sicherheit versprochen. Es ist sein Verdienst, dass Menschen wie Gabriel Garces und Alicia Pacheco wieder Hoffnung schöpfen. Jetzt muss Santos dafür sorgen, dass dieses neue Vertrauen in die Politik nicht enttäuscht wird. Doch das wird schwierig: Zu gering ist der Einfluss der Zentralregierung in den Konfliktregionen. Denn der Bürgerkrieg, in dessen Schatten Millionen Menschen vertrieben wurden, geht weiter. Umso wichtiger wäre ein Erfolg der in Havanna laufenden Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der linken FARC-Guerilla. Auch dort steht das Thema Land im Mittelpunkt.