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Hoffnung im "Dschungel"

13. September 2015

Tausende Migranten harren im "Dschungel", einem Flüchtlingslager in der Hafenstadt Calais, aus. Eine kleine Schule gibt den Menschen Hoffnung. Elizabeth Bryant berichtet aus Nordfrankreich.

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Lehrerin Virginie Tiberghien unterrichtet im Flüchtlingslager in Calais (Foto: E. Bryant/DW)
Bild: DW/E. Bryant

Virginie Tiberghien zeigt auf die Worte, die mit Kreide auf der kleinen Tafel hinter ihr geschrieben stehen. "The weather", sagt sie und übersetzt ins Französische: "Le temps" - "Le temps", wiederholt die Klasse. Es sind zumeist Männer aus dem Sudan und Eritrea, die den Klassenraum der "Chemin des Dunes"-Schule füllen. Draußen schlägt der Wind an die Fenster. Die Sonne ist prasselndem Regen gewichen.

Eine Gruppe Kinder trifft ein. Eine füllige Frau mit Kopftuch folgt ihnen. Irgendwie finden sich noch Stühle und ein wenig Platz im Klassenzimmer. Vor zwei Monaten hat die Schule in dem als "Dschungel" bekannt gewordenen Flüchtlingscamp im französischen Calais ihre Pforten geöffnet. Seitdem platzen die Klassenräume aus allen Nähten.

"Sie kommen zum Lernen hierher, weil sie hier etwas Ruhe finden", sagt Virginie Tiberghien, die zur stetig wachsenden Zahl freiwilliger Lehrer gehört. "Die Schule ist eine Möglichkeit, ihre Menschlichkeit wieder herzustellen." Mit einer großen Bandbreite unterschiedlichster Unterrichtsfächer - von Tai Chi bis Französisch und Englisch - ist "Chemin des Dunes" ein leuchtendes Beispiel für Solidarität in einem zerrütteten Europa.

Die deutsche Willkommenskultur, die vielen Syrern in den vergangenen Tagen Mut gemacht hat und Ungarns neu errichteter Grenzzaun zeigen, wie gespalten Europa angesichts der schwersten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg ist. Auch Frankreichs Antwort auf die Krise ist gespalten. Präsident Francois Hollande verkündete diese Woche, dass sein Land in den kommenden zwei Jahren 24.000 weitere Flüchtlinge aufnehmen werde. "Es gibt Zeiten, in denen Entscheidungen auf Grundlage der wesentlichen Interessen eines Landes getroffen werden müssen. Es geht um die französische Idee", erklärte Hollande bei einer Pressekonferenz mit Blick auf eine aktuelle Umfrage. Diese hatte offenbart, dass die Mehrheit der Franzosen eine Lockerung der Flüchtlingsgesetze ablehnt.

Migranten als Helden

Der europäische Widerspruch zeigt sich auch in der Hafenstadt Calais, wo Möwen über dem Hafenbecken kreisen, das voll ist mit Fähren in Richtung Großbritannien. Die Stadt hat Demonstrationen für und gegen die mehreren Tausend Asylsuchenden erlebt, die hier in Camps leben. Zimako Jones ist aus Nigeria hierhin gekommen. Er ist der Gründer von "Chemin des Dunes". Die Schule sorge für Bindungen, angefangen im "Dschungel".

Zimako Jones serviert in seiner Unterkunft im 'Dschungel' genannten Flüchtlingscamp in Calais Kaffee (Foto: E. Bryant/DW)
Zimako Jones floh 2010 aus NigeriaBild: DW/E. Bryant

"Vielleicht haben sie den Mann aus dem Kosovo gesehen. Er kommt zur Schule und sitzt hier mit Menschen aus dem Sudan zusammen", sagt Jones, während er in seiner kleinen Bleibe Kaffee serviert. Sein mit einer Zeltplane überspanntes, sauber aufgeräumtes Heim liegt zwei Minuten vom Klassenraum entfernt. 2010 hat Jones die nigerianische Hauptstadt Lagos in Richtung Europa verlassen und ist seitdem immer weiter nach Norden gekommen. Im südfranzösischen Nizza hat er durch einen Fernsehbericht von den Flüchtlingen in Calais erfahren. "Da habe ich mich entschlossen, hierher zu kommen und zu helfen", sagt er. "Und gleichzeitig mir selbst dabei zu helfen, meine Papiere zu erhalten."

Viele Menschen im "Dschungel" warten darauf, ihr Wunschziel zu erreichen: England. Waseem Mohammad will hingegen in Frankreich bleiben. "Ich habe ein paar Freunde in Paris und Lille", erzählt der Pakistaner, der vor zwei Monaten hier angekommen ist. Er sei vor der Gewalt in seiner Heimatstadt Karatschi geflohen, sagt er. "Sie haben mit gesagt, wenn du herkommst, versuchen wir, Arbeit für dich zu finden. Darum will ich Französisch lernen."

Für Virginie Tiberghien sind die Flüchtlinge eine Quelle der Inspiration. Die Sprachtherapeutin aus der Gegend um Calais arbeitet bereits seit Längerem in den Flüchtlingslagern. "Ich habe immer wieder Menschen auf den Straßen gesehen. Ich wollte sie treffen und erfahren, wie sie leben", erzählt sie. "Ich bewundere sie dafür, wie sie alle Härten ihrer Reise bewältigt haben. Sie sind wahre Helden. Weil sie es hierhin geschafft haben. Und weil sie dabei ihr Lächeln nicht verloren haben und fest entschlossen sind, zu lernen."

Hilfe von der anderen Seite des Kanals

Auch aus Großbritannien sind freiwillige Helfer nach Calais gekommen. Niamh McMahon hat den Kanal mit der Fähre überquert. Im Gepäck hatte die Lehrerin aus Kent einen kleinen Koffer mit Lebensmitteln, Kleidung und Unterrichtsmaterialien. "Ich wollte hierher kommen und eine Verbindung zwischen der Schule hier und meiner Schule in England aufbauen", sagt sie. "In meiner Schule gibt es Kinder, die sehr voreingenommen gegen Immigranten sind - obwohl 30 Prozent von ihnen selbst Kinder von Immigranten sind. Ich glaube es würde ihnen guttun, mehr über die Lebensumstände gleichaltriger Kinder hier zu erfahren."

Lehrerin Niamh McMahon beobachtet im 'Dschungel' genannten Flüchtlingscamp in Calais, wie eine Lehrerin und Flüchtlingskinder spielen (Foto: E. Bryant/DW)
Niamh McMahon (im Hintergrund) kam aus England, um in Calais zu helfenBild: DW/E. Bryant

Aus ihrem Koffer holt Zimako Jones ein paar Schuhe. Dann fördert er eine Tüte mit Süßigkeiten zu Tage, die er an kreischende Kinder verteilt. Ein paar weitere Frauen aus Großbritannien treffen ein und bringen den Kindern ein Lied bei. "Es ist eine Schande, wie diese Menschen in Europa behandelt wurden", sagt Niamh McMahon während sie den Kindern beim Spielen zusieht. "Sie haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Sie sind vor Krieg, vor Gewalt und vor den Folgen des Klimawandels geflohen. In vielen Fällen hat die Politik des Westens dies ausgelöst."

Später am Tag bringt Jones einige Lebensmittel und Vorräte zu einer Frau, die in einem Zelt am Rand des "Dschungels" untergekommen ist. In der Nähe steht ein Zentrum, dass zu einer Unterkunft für Frauen und Kinder umgewandelt wurde. Aber es gibt nicht genug Platz für jeden. Der Nigerianer ist stolz auf das, was er bisher geleistet hat. Doch es gibt noch viel zu tun. Sein nächstes Projekt ist ein Klassenzimmer nur für Frauen und Kinder. Außerdem will er den Namen des "Dschungels" ändern, der inzwischen eine Kirche, eine Moschee und mehrere Geschäfte aufweist. "Die Menschen sehen, dass Flüchtlinge hier etwas Positives aufbauen können. Wie die Schule", sagt Jones. "Egal welche Religion, egal welche Hautfarbe. Sie ist für alle offen. Genau wie eine französische Schule."