1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Holocaust-Gedenken 2021: Marsch der Lebenden

Cristina Burack
8. April 2021

Wegen der Corona-Pandemie muss der Marsch der Lebenden 2021 online stattfinden. Das Gedenken an den Holocaust fällt nicht aus und hat sogar einen besonderen Schwerpunkt erhalten.

https://p.dw.com/p/3ri7o
Vor einem bewölkten Himmel ist der Eingang zum KZ-Auschwitz-Birkenau zu sehen, auf den Schienen hinführen. Von rechts kommt eine Frau im weißen Kittel mit einer israelischen Flagge ins Bild gelaufen
Das Bild von Auschwitz-Birkenau ist der Hintergrund für den virtuellen Marsch der Lebenden 2021Bild: Youtube/International March of the Living

Stephanie Manopla, Highschool-Lehrerin für jüdische Geschichte in Panama, widmet dem Unterricht über den Holocaust ein ganzes Jahr. Der Kurs erreicht seinen Höhepunkt, wenn etwa 60 ihrer älteren Schüler nach Polen reisen zum "March of the Living" (MOTL), dem Marsch der Lebenden, die jedes Jahr drei Kilometer gehen von Auschwitz nach Birkenau, den größten nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern.

Manopla, deren Verwandte während der Nazi-Zeit Polen, Rumänien und Deutschland verlassen haben, konnte bisher noch nicht selbst daran teilen. Aber dieses Jahr wird sie sich dem Marsch anschließen - von zu Hause aus in Panama.

Wegen der Corona-Pandemie findet der Marsch der Lebenden zum zweiten Mal virtuell statt. Das Ereignis fällt immer zusammen mit Yom HaShoah, dem israelischen Holocaust-Gedenktag. Der Marsch erinnert an die Opfer des Holocaust, darunter sechs Millionen ermordete Juden. Er ehrt die Überlebenden mit dem Ziel, gegen Gleichgültigkeit, Antisemitismus, Rassismus und Ungerechtigkeit zu kämpfen.

In diesem Jahr ehrt der Marsch der Lebenden auch medizinisches Personal - diejenigen, "die ihr eigenes Leben riskiert haben, um Verfolgte während des Holocausts zu retten und die Menschen, die das heute im Kampf gegen Corona tun", twitterten die March-of-the-Living-Organisatoren.

Der israelische Präsident Reuven Rivlin leitet die Gedächtnisfeier nach dem Marsch. Zu den Teilnehmenden gehört Nachman Ash, Israels Corona-Beauftragter und einer der Nachkommen von Ärzten, die den Holocaust überlebten. Auch Albert Bourla nimmt teil. Der Chef des US-Pharmaziekonzerns Pfizer ist der Sohn von Holocaust-Überlebenden.

Anthony Fauci, der führende Mediziner im US-amerikanischen Kampf gegen COVID-19, ist ebenfalls dabei. Bereits am Mittwochabend ehrte ihn der Marsch der Lebenden für seine Zivilcourage als Mediziner bei einer Fachtagung über Medizin und Moral.

Digitale Anpassung für den Marsch der Lebenden

Während 2020 der persönliche Marsch in Auschwitz in letzter Minute abgesagt werden musste, konnte das digitale Gedenken in diesem Jahr vorbereitet werden. Trotzdem ist es immer noch eine emotionale Herausforderung für die Organisatoren, ein weiteres Mal nicht an Ort und Stelle sein zu können.

"Ich denke, dass wir größtenteils glauben, dass wir auf einer Art geistigen Ebene Leben nach Auschwitz bringen am Yom HaShoah", sagte Phyliss Greenberg Heidemann, Präsidentin des March of the Living (MOTL) der DW: "Es war traurig, aber es hat unser Verständnis dafür gestärkt, dass wir uns anpassen müssen an die neuen Regeln, in denen wir alle leben."

Drei handbeschriebene hölzerne Schilder, auf denen unter anderem die Zahl sechs Millionen zu lesen ist, stehen und liegen auf den Schwellen eines Schienenstrangs
Vor-Corona-Gedenken 2019: Handgeschriebene Schilder mit Botschaften von Teilnehmer am Marsch der LebendenBild: Damian Klamka/Zuma/picture alliance

Der virtuelle Marsch entstand, indem ausgewählte Teilnehmer aus aller Welt vor einem "Greenscreen", einem grünen Hintergrund, gefilmt wurden. Diese Aufnahmen wurden kombiniert mit digitalisierten Hintergrundbildern aus Auschwitz und Birkenau. Jeder Interessierte konnte persönliche Schilder gestalten, die auf den digitalisierten Fotos der Schienen gezeigt werden, die in das Lager Auschwitz-Birkenau führen.

Es ist eine Übertragung des jährlichen Gedenkens an Ort und Stelle in die digitale Welt. Stephanie Manopla und etwa 30 ihrer Schüler haben Nachrichten eingereicht. Die Lehrerin hat ihre Botschaft bei Twitter ins Netz gestellt und hofft, dass viele Menschen an dem Online-Ereignis teilnehmen.

Vielleicht wird man Schülerinnen und Schüler digital besser erreichen können, sagt sie: "Wir können das noch nicht wissen. Vielleicht werden mir in ein paar Jahren Schüler über den Weg laufen und mir erzählen, dass sie sich erinnern, wie sie den Holocaust-Gedenktag Yom HaShoah über Zoom verfolgt haben."

Eine Frau mit langen Jahren, in dunkler Jacke und kariertem Rock steht auf einer Art  gepflastertem Platz und mit Bäumen im Hintergrund und hält ein Schild mit der Aufschrift "We remember" in den Händen
2018: Stephanie Manopla arbeitet jedes Jahr als Freiwillige in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad VashemBild: Privat

Die Gesamtzahl der Teilnehmer am Marsch der Lebenden ist noch nicht bekannt. Zehntausende Menschen aus aller Welt haben sich aber schon vor Beginn dafür angemeldet, sagt Greenberg Heideman. "Digitale Technologie hat uns eine Möglichkeit gegeben, so viel mehr Menschen zu erreichen - Menschen, die ihr Zuhause aus verschiedensten Gründen nicht verlassen oder verlassen können, um mit uns nach Polen zu reisen", stellt sie fest.

Ein weniger bekannter Aspekt im Holocaust

Zusätzlich zur Ansprache des weitreichenden globalen Netzwerks der Ehemaligen und Anhänger des Marsches der Lebenden, hat die Organisation sich diesmal auch an Medizinstudierende, Schulen und Krankenhäuser gewendet, um sie in ein Ereignis einzubinden, das ihren lebensrettenden Einsatz in der Corona-Pandemie würdigt. Der besondere Fokus auf den medizinischen Bereich beleuchtet zugleich einen weniger bekannten Aspekt im Holocaust.

"Zum Allgemeinwissen über Medizin im Holocaust gehört, dass sie destruktiv, für medizinische Experimente, eingesetzt wurde", sagt MOTL-Präsidentin Phyllis Greenberg Heideman und nennt den berüchtigten NS-Arzt Josef Mengele als Beispiel.

Medizin sei aber nicht nur "eine Waffe der Vernichtung" gewesen, sondern auch "ein Mittel, um Leben zu retten", erläutert sie. "Während des Holocausts gab es Mediziner, Sanitäter, Techniker, die ihre eigene Sicherheit aufs Spiel setzen, um in den Konzentrations- und Todeslagern medizinische Versorgung anzubieten." Einige der Holocaust-Überlebenden berichten, wie ihnen medizinisches Personal geholfen hat.

Im Vordergrund sind eine Frau und Mann zu sehen, die in die Kamera lächeln, im Hintergrund laufen viele Menschen, teils mit israelischen Flaggen, durch eine Lagerstraßen mit Ziegelbauten rechts und links
2018: Phyllis Greenberg Heidemann mit ihrem Mann Richard beim Marsch der Lebenden in der Gedenkstätte AuschwitzBild: Privat

Greenberg Heideman schlägt einen Bogen zwischen diesen Medizinfachleuten und denen, die heute COVID-19 bekämpfen. "Die Ärzte, die Pflegekräfte, die jeden Tag ins Krankenhaus gehen, um Patienten zu versorgen, setzen auch ihre eigene Gesundheit aufs Spiel. Sie mögen nicht ihren eigenen Tod durch die Nazis riskieren, aber sie setzen sich definitiv Gefahren aus", sagt sie.

Marsch der Lebenden 2022 in Polen?

Der Marsch der Lebenden plant schon wieder für den März des nächsten Jahres. Die Organisatoren hoffen auf eine Präsenzveranstaltung, bereiten sich aber auch auf eine digitale Version vor. "Wir beten für die Welt, für die Völker der Welt, dass wir freier sein werden von dieser Pandemie, so dass wir Flugzeuge besteigen können, in Polen landen und tun können, was wir seit mehr als drei Jahrzehnten getan haben", sagt Greenberg Heideman.

Lehrerin Stephanie Manopla hat sich vorgenommen, alles zu tun, um in der Zukunft zum Marsch der Lebenden nach Polen zu reisen. "Ich würde mir wünschen, dass Polen und Auschwitz als erstes nach der Corona-Pandemie wieder öffnen, weil ich spüre, dass Jahre versäumt werden", sagt sie mit Blick auf die immer kleinere Zahl von Holocaust-Überlebenden: "In wenigen Jahren werden sie nicht mehr da sein."

Manopla ist trotzdem felsenfest davon überzeugt, dass nicht physisch dabei sein zu können, kein Grund ist, sich nicht noch mehr für den Marsch der Lebenden und die Holocaust-Bildung zu engagieren: "Es gibt immer Wege zur Unterstützung und zum digitalen Lernen, auch wenn man nicht zum Ereignis hingehen kann."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.

Die letzten Zeugen: Rückkehr nach Auschwitz