Horrorfilm
10. März 2009Es gibt wohl keine andere Filmgattung - Sex- und Pornofilm einmal ausgenommen -, deren Fans und Feinde sich so unversöhnlich gegenüberstehen. Zumindest trifft das auf Horrorfilme modernen Zuschnitts zu. Wenn Blut literweise fließt, wenn Köpfe rollen und Gedärme platzen, wenn Serienmörder ihr Unwesen treiben und Untote Menschen jagen, dann spaltet sich die Kinogemeinde. Auf der einen Seite gibt es die meist jugendlichen, männlichen Gruselfilm-Fans, die ihre neuesten Favoriten eher in Videotheken auf DVD´s finden als im normalen Kinoalltag. Auf der anderen Seite warnen Medienpädagogen und Jugendschützer vor den Folgen eines ungehemmten Konsums brutaler Horrorfilme.
Abgesehen von diesem immer wieder aktuellen Streit um Kunst und Kommerz, um Verführung, Affektabbau und Mißbrauch steht doch eines zumindest fest. Das Bedürfnis der Menschen, sich Angst und Schrecken einjagen zu lassen, ist viel älter als die Erfindung des Kinos. Auch darauf weisen die Autoren des Bandes "Horror Cinema" des Taschen-Verlages in ihren einleitenden Texten hin. Englische Schauerromane aus dem 18. und 19. Jahrhundert standen Pate für viele frühe Gruselfilme. Was das Medium Film mit all seinen Möglichkeiten dann damit machte, ist freilich eine andere Sache.
Frühe Meisterwerke
Ob "Dracula" oder "Frankenstein" - die Pioniere des Films stürzten sich geradezu begierig auf die Stoffe der Literatur, spürten sie doch, dass das neue Medium gerade den Schrecken bei den Zuschauern noch um ein vielfaches steigern konnte. Und so steht zu Beginn eines jeden Kapitels auch das ein oder andere Werk aus der Frühzeit der Kinematografie. Hannibal Lecter, die Hauptfigur in dem Film "Das Schweigen der Lämmer", basiert auf dem Kindermörder in Fritz Langs "M" von 1931. Die Aliens der Neuzeit zitieren die heute meist nur noch lächerlich wirkenden Wesen aus den Hollywood-Filmen der 1950er Jahre.
Das Horrorhaus des Norman Bates in Alfred Hitchcocks Klassiker "Psycho" mag Vorbild für Generationen von Nachfolgern gewesen sein, doch auch zu Stummfilmzeiten hat es das natürlich schon gegeben: allein stehende Häuser, in denen sich die Protagonisten verirrten, das Licht ging aus und die Zuschauer standen allein und verlassen da. Und dann begann der Horror: Urängste bahnten sich ihren Weg, lange verschwundene Kindheitserinnerungen machten sich plötzlich wieder breit, tief verwurzelte Vorstellungen von einer bösen, gefährlichen Welt kamen ans Tageslicht. Und so funktionieren Horrorfilme auch heute noch. Das läßt sich auf vielfache Art deuten und interpretieren: psychoanalytisch und kulturell, soziologisch und historisch.
Bilder mit Sogwirkung
Herausgeber Paul Duncan und dem Autorenduo Jonathan Penner und Steven Jay Schneider geht es aber in ihrem Buch nicht in erster Linie um tiefschürfende Analysen. Traditionell punkten die Bücher dieses Verlags mehr mit den Bildern. Und das gelingt auch hier wieder auf eindrucksvolle Weise. Manchmal muß man schon zweimal hinschauen, um in den Fleisch- und Blutgebilden so mancher moderner Horrorfilme noch ein menschliches Wesen zu erkennen. Die alte Filme waren da noch dezenter. Die Geschichte des Genres ist auch eine Geschichte der Tabuverschiebungen. Was heute noch schrecklich wirkt, ist morgen schon "normal".
Tröstlich immerhin, dass der Leser auch in diesem Buch immer mal wieder darauf gestoßen wird, dass alles schließlich nur Pappmaché und Kulissenzauber ist. Das machen vor allem die Bilder vom Set deutlich. Wenn Tippi Hedren eingezwängt in einer Telefonzelle den Angriff der Killermöwen aus Hitchcocks "Vögel" abwehrt, drumherum aber Dutzende von Teammitgliedern stehen, die die Szenerie ausleuchten, Anweisungen erteilen und Kulissen aufbauen, dann sagt das viel aus über die Künstlichkeit beim Film. Und wenn Horror-Altstar Vincent Price elegant in einer Drehpause mit einem Skelett tanzt, dann wird eines deutlich: der Schrecken ist vom Spaß oft gar nicht so weit entfernt, die Angst ist eine Schwester der Freude - nicht umsonst spricht man ja vom "wohligen Gruseln"!
Jonathan Penner/Steven Jay Schneider: Horror Cinema (Hrsg. Paul Duncan), Taschen Verlag 2008, 192 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 3822831530.