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Houellebecq, die Fiktion und der Islam

Kersten Knipp20. Januar 2015

Auf einer Lesung der Kölner lit.Cologne präsentierte sich der französische Schriftsteller Michel Houellebecq erstmals nach den Pariser Terroranschlägen wieder der Öffentlichkeit. Das wichtigste Thema: der Islam.

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Michel Houellebecq in Köln (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/W. Rattay

Da saß er nun, der derzeit wohl gefragteste Autor überhaupt. Nach den Anschlägen von Paris hatte er sich rar gemacht, sei "aufs Land" gefahren, wie es hieß, um sich von dem Schrecken und der Trauer zu erholen. Auch ein enger Freund war bei den Attentaten auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo ermordet worden.

Knapp zwei Wochen später, beim ersten öffentlichen Auftritt Houellebecqs auf der Kölner Literaturveranstaltung lit.Cologne, wirkte die Dramatik der vergangenen Tage wie weggeblasen. Zwar habe sie angemessene Sicherheitsmaßnahmen getroffen, erklärte die Polizei. Aber davon sah man als Laie wenig. Sicherheit ist vielleicht dann am größten, wenn sie unsichtbar ist.

Entspannte Atmosphäre

Auch das Gespräch selbst lief in überraschend entspannter Atmosphäre. Ganz zu Anfang stellte Houellebecq eines klar. Um sich nicht ständig wiederholen zu müssen, habe er eine Erklärung veröffentlicht. Darin stehe zweierlei: "Erstens, dass mein Buch kein islamophobes Buch ist. Und zweitens, dass man das Recht dazu hat, ein solches Buch zu schreiben." Fast aber, erklärte der Schriftsteller, hätte er sich gewünscht, dass das Buch islamophob wäre. "Denn dann wäre es viel einfacher für mich gewesen. Aber eigentlich steht es dafür, dass man sich von keiner Seite beeinflussen lassen soll."

Damit deutete er an, wie sehr es ihm darauf ankam, die Aussage des Buches in der Schwebe zu lassen. Denn es dürfte schwierig sein, darin eindeutig islamophobe Passagen nachzuweisen. Allerdings kann man auch nicht sagen, dass es ausgesprochen islamophil ist. Genau diese Ambivalenz macht aber große Literatur aus.

Buchcover Unterwerfung von Michel Houellebecq (Foto: AP)
Die deutsche Ausgabe "Unterwerfung" wurde bei der Lit.Cologne vorgestelltBild: picture-alliance/AP Photo/M. Meissner

Auch zu Charlie Hebdo ging Houellebecq auf Distanz, zumindest solidarisierte er sich nicht völlig mit dem Blatt. Für viele Franzosen sei Freiheit ein hohes Gut. Sie seien aber auch der Ansicht, man solle die Dinge nicht übertreiben, nicht auch noch Öl ins Feuer gießen. "Aber Charlie Hebdo hat Öl und Feuer vermischt. Auf diese Weise wollte es die Menschen zum Nachdenken anregen." Eines habe Charlie Hebdo immer schon erkennen lassen. "Nämlich, dass es ein Journal ohne Verantwortung ist."

Was aber ist Verantwortung heute? Wo zeigt sie sich? Houellebecq ließ das Publikum wissen, wo sie sich auf jeden Fall nicht zeige: in der Politik, bei den Politikern. Die Parteien ständen für nichts mehr, hätten jede programmatische Verbindlichkeit aufgegeben.

Ein islamophobes Werk?

Houellebecq antwortete auf die Fragen von Moderator Nils Minkmar in oft kurzen, holzschnittartigen Sätzen. Entweder hatte er an diesem Abend keine Lust auf politische Analysen. Oder er gehört zu jenen Autoren, die die großen Umwälzungen ihrer Zeit mit ausschließlich künstlerischen Mitteln zu erfassen vermögen. Grandios die Romanszenen, in denen der Ich-Erzähler die Veränderungen unter der Herrschaft des islamischen Präsidenten Mohammed Ben Abbes registriert. Die Frauen tragen auf einmal keine modernen Kleider oder Röcke mehr, sondern nur noch Hosen. Und weit geschnittene Blusen verhüllen alle Formen. Und die Pariser Universität hat ihr laizistisches Selbstverständnis aufgegeben.

Sind solche Schilderungen nun islamophob? Houellebecq gab in Köln einen hilfreichen Hinweis. Der frisch gewählte Präsident, erklärte er, habe sich für einen islamistischen Kurs entschieden. Auch andere Optionen hätte er bedacht, dann aber diese bevorzugt.

Die Religion in den Händen von Demagogen - und seien es zurückhaltende Demagogen wie Ben Abbes - gerinnt leicht zur Fratze. Aber liegt das an der Religion? Oder an der Art und Weise, in der Politiker diese deuten? Houellebecq ließ die Frage letztlich offen. Aber er deutete mit seiner Bemerkung doch an, dass Religion - jede Religion - auf das Engste mit ihrer Zeit verbunden ist. Und darum in vielerlei Hinsicht machtlos gegenüber denen, die sie für ihre Zwecke einspannen, sie als probates Mittel sehen, die eigenen Anhänger zu mobilisieren.

Freilich ist mit dem Hinweis auf den Missbrauch der Religion noch nicht viel gewonnen. Denn die Einschränkungen werden Bürgern religiös ausgerichteter Staaten ja trotzdem aufgelegt. Teils brachial wie in Theokratien, wie im - realen - Saudi-Arabien. Teils aber auch sanft wie in der französischen Zukunftsvision Michel Houellebecqs. Dass viele seiner Landsleute Angst vor einer solchen Entwicklung haben, mochte er ihnen nicht übel nehmen.

Wenig Freundliches hatte er hingegen zur Politik des derzeitigen - realen - Präsidenten François Hollande zu sagen. Käme der 2017 noch einmal an die Macht, würde sich die politische Lage in Frankreich massiv verschlechtern. Indirekt warf Houellebecq Hollande dessen zauderhaften Kurs vor - einen Kurs, der ganz offenbar geeignet ist, dem Front National weitere Anhänger in die Arme zu treiben.

François Hollande (Foto: Reuters)
François Hollande: zu zauderhaft?Bild: Reuters//I. Langsdon

Der Raum der Kunst

Viele seiner Landsleute verspürten eine nostalgische Erinnerung an die Regierungszeit von Präsident Charles de Gaulle in den Jahren 1959 bis 1969, erklärte Houellebecq. Damals habe Frankreich nicht an seiner Identität gezweifelt. Jetzt aber sei diese unsicher geworden. Und Präsident Hollande traut Houellebecq offenbar am wenigsten zu, das Bedürfnis der Franzosen nach stabiler Identität zu befriedigen.

All dies deutet Houellebecq eher an, als es ausführlich darzulegen. Um so stärker wirkten die aus dem Buch gelesenen Passagen. Islamophob - so der Eindruck - ist der Roman nicht. Wie alle anderen Romane erkundet er mögliche Welten, die Spielräume des Möglichen, das aber (noch?) keine Wirklichkeit ist. Ob man diese Wirklichkeit dann begrüßen oder vielleicht lieber verhindern will - dies ist der Punkt, an dem die Literatur politisch wird. Aber der Raum der Antworten liegt nicht im Buch, sondern außerhalb von ihm. Der Roman entwirft Szenarien - wie auf diese zu reagieren ist, entscheidet die Politik.