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Politik

China: "Super-Gau für die Menschenrechte"

14. Januar 2020

Unterdrückung, Zensur, Manipulation: Human Rights Watch stellt im World Report 2020 sehr deutlich und eindringlich China an den Pranger. Das Land bedrohe existentiell internationale Menschenrechte.

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Flagge von China mit Stacheldraht
Bild: picture-alliance/dpa/K. Ohlenschläger

Es war eine Steilvorlage für den Geschäftsführer von Human Rights Watch (HRW), Kenneth Roth, der mit der Absicht nach Hongkong gereist war, den jährlichen World Report seiner Organisation vorzustellen. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt des Berichts auf der Volksrepublik China.

Doch dann geschieht Folgendes: Roth wird die Einreise verwehrt. Laut seiner Darstellung ohne Angaben von Gründen. Auf Twitter bezieht Roth Stellung, kritisiert die chinesische Führung, die die Einreiseverweigerung mit dem Hinweis auf ihr "souveränes Recht" verteidigt hatte. Roth hält dagegen: "Peking sollte zuhören, nicht zensieren."

Angriff auf die Menschenrechte

Es ist ein Streit, der den diesjährigen World Report von HRW wie unter einem Brennglas zusammenfasst. Denn der konzentriert sich mit aller Schärfe auf China und kommt zu einem beunruhigenden Schluss. Das Land betreibe den "intensivsten Angriff auf das globale System der Menschenrechte", den die Welt seit Mitte des 20. Jahrhunderts gesehen habe, schreibt Roth im Vorwort des Berichts. Sollte kein Land dem etwas entgegensetzen, drohe eine "dystopische Zukunft", ein "Supergau für die Menschenrechte".

China verfolge bei der Aushöhlung der Menschenrechte laut HRW eine klare Strategie: sich als attraktiver Handelspartner zu präsentieren und gleichzeitig ein Netz der globalen Zensur zu spannen. Dies sei eine gefährliche Mischung, denn einerseits binde China so auch westliche Partner an sich und verhindere gleichzeitig öffentliche Kritik an den Vorgängen im Inneren des ostasiatischen Landes.

Schicksal der Uiguren

Kenneth Roth Human Rights Watch
HRW-Direktor Kenneth Roth durfte nicht nach Hongkong einreisenBild: Getty Images/AFP/J. MacDougall

Vor allem die Zustände im Nordwesten Chinas seien laut HRW bedenklich. Dort, in der Region Xinjiang, wird die muslimische Minderheit der Uiguren im sogenannten Umerziehungslagern drangsaliert und interniert. "In der größten Welle willkürlicher Inhaftierungen seit Jahrzehnten wurden über eine Million turkstämmiger Muslime festgenommen und auf unbestimmte Zeit zur Zwangsindoktrinierung inhaftiert", schreibt Human Rights Watch. Dabei nutze China Technologie als "zentrales Instrument ihrer Repression" und habe den "durchdringendsten Überwachungsstaat, den die Welt je gesehen hat", geschaffen. Videokameras erkennen Gesichter, Beamte verknüpfen mittels Apps ihr Wissen und es gibt elektronische Checkpoints.

Feature-Titel:  Ein Volk in Gefahr  – Uiguren in China | 10499
Uiguren in einem "Umerziehungslager" in der Provinz XinjiangBild: WeChat/Xinjiang Judicial Administration

Ergänzt werde diese virtuelle Überwachung durch physische Präsenz. Eine Million Funktionäre und Parteikader seien mobilisiert worden, um muslimische Familien regelmäßig zu "besuchen", einige Zeit bei ihnen einzuziehen und zu melden, wenn eine Familie beispielsweise betet oder anderweitig ihren Glauben auslebt. Außerdem nutze China mitunter auch sein Veto im UN-Sicherheitsrat dazu, Maßnahmen der Vereinten Nationen zum Schutz der am schwersten verfolgten Menschen weltweit zu blockieren.

Zivilisten unter Beschuss im Jemen und Syrien

Der HRW-Bericht zeigt auch: China ist bei weitem nicht der einzige Staat, der Menschenrechte aussetzt. Der Bericht untersucht die Menschenrechte in über 90 Ländern. Auch in Syrien und im Jemen missachten Konfliktparteien "unverhohlen internationale Regeln". In Syrien prangert der World Report 2020 sowohl Regierungstruppen als auch oppositionelle bewaffnete Gruppen an.

Beide begingen Menschenrechtsverletzungen. Die Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad hätten bei den Militäroperationen in der Region Idlib verbotene Waffen genutzt, Eigentum konfisziert und wahllos Menschen verhaftet. Auch oppositionellen Gruppen wirft HRW vor, Zivilisten in Gebieten angegriffen zu haben, die unter der Kontrolle der Regierung stehen.

Syrien Binnish Angriffe auf syrisches Rebellengebiet
Zerstörung in Idlib, Syrien: Immer mehr Menschen fliehen vor LuftangriffenBild: picture-alliance/dpa/A. Alkharboutli

Von allen Seiten hofiert

Im Jemen beklagt der HRW-Bericht die "größte humanitäre Krise" der Welt. Tausende Zivilisten seien getötet oder verwundet worden. HRW wirft allen Beteiligten Verbrechen gegen die jemenitischen Bevölkerung vor, entweder durch die Drangsalierung von Journalisten und Aktivisten oder, indem "willkürlich Menschen verschwinden". In Bezug zu China hebt Human Rights Watch einen entscheidenden Unterschied hervor: Der sozialistische Staat in den Händen der Kommunistischen Partei werde international hofiert. In vielen Fällen hängt das mit der wirtschaftlichen Überlegenheit Chinas zusammen, analysiert HRW.

Unternehmen in China stünden unter dem Diktat der Kommunistischen Partei. Entscheidet diese ein Land abzustrafen, indem es dessen Güter boykottiert, müssten sich die Unternehmen fügen. Das bedeutet: Ein Land, das sich wagt, Kritik zu äußern, riskiert den Zugang zum gesamten chinesischen Markt, der immerhin 16 Prozent der Weltwirtschaft ausmacht.

Pakistan Der Schnellstraßenteil des KKH-Projekts
Die mehrspurige Schnellstraße Karakorum Highway, ein Seidenstraßen-Projekt in Pakistan, gebaut mit Geldern aus ChinaBild: picture-alliance/Xinhua/L. Tian

In anderen Fällen geschehe die Einflussnahme subtiler. Ein Beispiel dafür sei Pakistan. Das Land ist eng verbunden mit China, denn es empfängt viele Mittel aus Chinas Seidenstraßen-Projekt, einem billionenschweren Infrastrukturprogramm. Es soll China Zugang zu noch mehr Märkten verschaffen. Pakistan ist dabei ein wichtiges Bindeglied. Und das beweist seine Verbundenheit durch Schweigen. Weder bei einem Besuch des Premierministers Imran Khan in Peking, noch in seiner Rolle als Koordinator der Organisation für Islamische Kooperation (OIC) hat sich Pakistan kritisch zum Zustand seiner muslimischen Glaubensbrüder in China geäußert. Im Gegenteil: pakistanische Diplomaten lobten China für seine "Fürsorge für muslimische Brüder". 

Demokratien halten sich zu sehr zurück 

Aber auch Europa und die Vereinigten Staaten machen im Umgang mit China laut HRW keine gute Figur. Die EU-Staaten hätten sich in eine "stille Diplomatie" zurückgezogen. Westliche Staatsoberhäupter würden behaupten, Menschenrechtsfragen bei Besuchen in China abseits der Öffentlichkeit zu besprechen. Eine Bilanz werde nie gezogen. Was bleibt sei der Eindruck, ein weiteres Handelsabkommen abgeschlossen zu haben.

Die USA hätten zwar dem HRW-Bericht zufolge, China mittels Sanktionen Gegenwind geboten, allerdings sei der zu unzuverlässig und inkonsequent gewesen. Ohnehin seien zu viele Demokratien bereit, "den Strick zu verkaufen, an dem das Rechtssystem, für das sie angeblich einstehen, erhängt wird".

Frankreich Beaulieu-sur-Mer Xi Jinping bei Macron
Frankreichs Präsident Macron zu Gast bei seinem chinesischen Amtskollegen Xi JinpingBild: Reuters/J. Pelissier

Es ist ein düsteres Bild, das der HRW-Bericht zeichnet, allerdings sei Chinas "Aufstieg zu einer globalen Bedrohung nicht unaufhaltsam". Dies verlange aber nach einer "beispiellosen Antwort". Dafür müssten kritische Stimmen in China gestärkt und auf stille Diplomatie verzichtet werden. Außerdem sollten gerade Regierungen, denen Menschenrechte wichtig sind, auf doppelte Standards verzichten. Warum werde US-Präsident Donald Trump zurecht verurteilt für die Trennung von Kindern und Eltern an der mexikanischen Grenze, die chinesische Regierung aber nicht, wenn sie dasselbe in Xinjiang betreibe, fragt HRW.

China brauche eine Gegenfront, resümiert HRW. Staaten sollten sich zusammentun, um starke gemeinsame Standards, zu entwickeln und zu formulieren. Es sei an der Zeit zu erkennen, dass "die chinesische Regierung darauf hinarbeitet, das System der internationalen Menschenrechte zu verwerfen und neu zu gestalten". 

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