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Menschenrechte: Mutige Kleine, feige Große

18. Januar 2018

Im "World Report 2018" fasst Human Rights Watch die Menschenrechtslage weltweit zusammen. Wenzel Michalski nennt im DW-Interview Missstände, Wünsche an Deutschland und Erfolge - etwa gegen US-Präsident Donald Trump.

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Grenze Ungarn - Österreich 2015, Hand von Flüchtling
Bild: picture-alliance/dpa/Tatif/Wostok Press/Maxppp Hongrie

DW: "Kampf für Menschenrechte ist erfolgreich", so lautet dieses Jahr Ihre Schlagzeile für die Medien. Doch ständig werden Menschenrechte verletzt: im Jemen, Myanmar, der Türkei... Wo genau liegt der Erfolg?

Wenzel Michalski: Der Erfolg liegt dort, wo es starken Widerstand gibt gegen rechten Populismus und Autokraten, die versuchen, Menschenrechte mit Füßen zu treten. Zum Beispiel konnte US-Präsident Donald Trump bei weitem nicht erreichen, was er wollte: etwa eine weitgehende Blockade von Muslimen, die in die USA einreisen wollen. Die Mauer nach Mexiko steht immer noch nicht, auch die Rückführung der sogenannten "Dreamers", der Migranten, die als Kinder illegal in die USA gekommen sind, ist noch nicht vollzogen. Daran zeigt sich, dass sich Widerstand lohnt.

Wo es das nicht gab, zum Beispiel auf den Philippinen, oder wo die traditionellen Verteidiger der Menschenrechte, die westlichen Demokratien, nicht lautstark protestiert oder unter Druck gesetzt haben, sehen wir schlimme Menschenrechtsverletzungen wie z.B. im Jemen oder in der Türkei.

Man darf also nicht nur auf Regierungen setzen?

Zivilgesellschaft muss sich formieren, aber auch Leute in der Rechtsprechung, Abgeordnete, die Opposition. Alle sind gefordert, dem nationalistischen und menschenverachtenden Populismus die Stirn zu bieten. Wo das passiert, gelingt es auch. Ein Beispiel ist der Sieg von Emmanuel Macron in Frankreich gegen Marine Le Pen. Mit einer rechtspopulistischen Regierung hätte sich die Menschenrechtsituation in Frankreich stark verschlimmert. Das ist abgewendet worden, indem Macron klare Kante und Alternativen gezeigt hat gegen Rechtspopulismus und die Mehrheit mobilisieren konnte.

Wenzel Michalski Direktor von Human Rights Watch Deutschland
Wenzel Michalski, in Deutschland Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights WatchBild: DW

Das Gegen-Beispiel ist Österreich, wo die Mainstream-Parteien die Sprüche der Rechtspopulisten kopieren. Da hat man das Original gewählt. Jetzt ist die Mainstream-Partei ÖVP in den rechten Populismus abgerutscht und regiert zusammen mit der rechtsradikalen FPÖ.

In deutschen Bundesländern, wo man sich klar abgegrenzt hat von flüchtlingsfeindlichen Aussagen der AfD, haben die Kandidaten bei der Bundestagswahl viel mehr Stimmen bekommen als dort, wo man ihnen nach dem Mund geredet hat wie bei der CDU in Sachsen oder in Bayern, wo die CSU in Opposition ging zur flüchtlingsfreundlichen Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Da gab es sehr viele AfD-Stimmen.

Wie beurteilen Sie die Menschenrechtslage in Deutschland?

Insgesamt ist sie im internationalen Vergleich gut. Wir müssen aufpassen, dass sie sich nicht verschlechtert. Stichwort Meinungsfreiheit: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist kein guter Weg. Facebook, Google, Youtube und Twitter sind dabei, alles zu blockieren, was angezeigt wurde und nach Volksverhetzung riechen könnte, das trifft auch Satire. Wenn es Hassrede gibt, müssen Firmen selbst mehr Verantwortung zeigen. Vor allem aber muss man Gegenstimmen mobilisieren.

Ein anderer Punkt ist der Familiennachzug für Asylbewerber, der für Menschen mit subsidiärem Schutz wohl eingeschränkt bleiben soll. Es gibt ein Recht auf Familie. Das hilft auch bei der Integration.

Wenn es um Islamfeindlichkeit oder Antisemitismus geht, erleben wir, dass zuständige Institutionen wie zum Beispiel Schulen ganz schlecht vorbereitet sind. Es mangelt an moralischer und fachlicher Kompetenz.

Wie lautet die außenpolitische Bilanz etwa in Bezug auf China und Russland?

Die Menschenrechtsverletzungen dort werden von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit klaren Worten angesprochen, wenn sie in die Länder reist, das begrüßen wir sehr.

Bei vielen anderen Ländern bleibt viel zu wünschen übrig, zum Beispiel bei Ägypten, wo Deutschland in einer Sicherheitskooperation steht. Die deutsche Polizei bildet die ägyptische Polizei aus und Geheimdienstler. Was wir aus Ägypten wissen, ist, dass man überhaupt nicht sicher sein kann, dass diese Polizisten oder Geheimdienstler nicht später dieses Wissen anwenden bei der Unterdrückung von Menschenrechten, bei der Massenüberwachung oder bei Verfolgung und Folter. Da ist ein großes Risiko der Komplizenschaft. Wir warnen die Bundesregierung sehr eindringlich wegen dieser Sicherheitskooperation mit Ägypten.

Wer zählt neben Russland, China oder Ägypten zu den Sorgen-Ländern von Human Rights Watch?

Wir haben noch keine robuste Kritik von der Bundesregierung gehört gegenüber Myanmar, gegenüber Vietnam und Kambodscha, die strategisch und wirtschaftlich eine große Rolle spielen. Da sieht man ständig davon ab, die Menschenrechtsverletzungen, die dort immer schlimmer werden, an den Pranger zu stellen oder Druck auf diese Länder auszuüben.

Wir können noch nicht absehen, wie sich die Türkei-Politik entwickelt. Die Botschaft in der Türkei macht einen sehr guten Job, indem sie sich um die politischen Gefangenen kümmern, nicht nur um die deutschen. Aber wenn jetzt wieder Waffendeals gemacht werden mit der Türkei und Waffen vielleicht für die Unterdrückung der kurdischen Minderheit eingesetzt werden, dann muss man sagen, dass ein besseres Verhältnis zu teuer erkauft wird.

In der Einleitung zum "World Report 2018" heißt es, frühere Befürworter der Menschenrechte wie die USA oder Großbritannien fielen aus. Wer springt ein?

Kleine Länder: Die Niederländer waren es, die dafür gesorgt haben, dass die Gräueltaten im Jemen durch die von Saudi-Arabien geführte Koalition scharf kritisiert werden. Liechtenstein hat dafür gesorgt, dass die Generalversammlung der UN einen Strafverfolger bestimmt hat für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien - die mutigen Kleinen und die feigen Großen.

Die Hälfte der Weltbevölkerung sind Frauen - wie steht es um die Frauenrechte?

Es gibt schleppende kleine Verbesserungen zum Beispiel in Saudi-Arabien, wo Frauen in Fußballstadien dürfen. Sehr beunruhigend ist das Beispiel Tansania: Jede Schülerin muss einen medizinischen Check über sich ergehen lassen. Wenn sie schwanger ist, fliegt sie von der Schule. So bleiben die Mädchen für den Rest ihres Lebens ohne Schulbildung. Das ist ein Dekret des Präsidenten. International steht es um die Frauenrechte nach wie vor sehr schlecht.

Die #metoo-Debatte im Westen hat gezeigt, dass im Alltagsleben die Gleichstellung zwischen Mann und Frau noch nicht absehbar ist, die männlich-patriarchalischen Vorstellungen dominieren weltweit.

Zurück zur Anfangsfrage: Was ist das Positive?

Das Positive ist: Der Widerstand gegen Rechtspopulismus, gegen Nationalismus und gegen Menschenrechtsverbrechen hat begonnen.

Wenzel Michalski ist Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Deutschland.

Das Interview führte Andrea Grunau.