Humboldt Forum: Klarheit über koloniales Erbe?
21. September 2021Das Berliner Humboldt Forum stand bereits in der Kritik, als es noch gar nicht eröffnet war. Neben den auf mehr als 680 Millionen Euro explodierten Baukosten steht das Museum im Mittelpunkt der aktuellen Debatte über Ausstellungsstücke aus der Kolonialzeit.
Die Bemühungen des Kuratorenteams, das heikle Thema angemessen einzubinden, stehen mit der Eröffnung von zwei neuen Abteilungen wieder auf der Tagesordnung. In den Ausstellungsräumen sind nun auch rund 20.000 afrikanische und asiatische Artefakte zu sehen, die zuvor im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst im südwestlichen Stadtteil Berlin-Dahlem untergebracht waren.
"Die Wahrheit ist: Wenn es um die Kolonialzeit geht, haben wir sonst so geschichtsbewussten Deutschen allzu viele Leerstellen. Wir haben blinde Flecken in unserer Erinnerung und unserer Selbstwahrnehmung", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch (22. September 2021) bei der feierlichen Eröffnung der beiden Museen im Humboldt Forum, an der auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters und die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie teilnahmen.
Das Humboldt Forum dürfe "nicht nur die Idee der Aufklärung feiern, sondern es muss selbst aufklären. Und das bedeutet, die historische Realität der Aufklärung, die politische Geschichte der westlichen Moderne kritisch zu hinterfragen", sagte Steinmeier weiter, der auch einen Bogen in die Gegenwart zog.
"Das Unrecht, das Deutsche in der Kolonialzeit begangen haben, geht uns als ganze Gesellschaft etwas an". Mit Blick auf aktuellen Rassismus bis hin zu Gewalttaten unterstrich der Bundespräsident, dass Menschen aus allen Teilen der Welt "Teil unserer nationalen Identität" seien.
Fokus auf Restitution
Die Auseinandersetzung mit der schwierigen Geschichte mancher Exponate dürfe nicht als Last empfunden werden, sondern als "echte Chance für einen neuen interkulturellen Dialog", hatte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, bereits am Montag anlässlich eines Pressetermins betont.
Das Museum sei "grundsätzlich bereit, Exponate zu restituieren", sagte Parzinger und nannte beispielhaft die berüchtigten Benin-Bronzen, die nach einer kurzen Ausstellung in Berlin im kommenden Jahr an das heutige Nigeria zurückgegeben werden sollen.
Einige der Stücke, die sich derzeit im Museum befinden, würden "vielleicht eines Tages nicht mehr zu sehen sein", sagte Parzinger weiter. Museen müssten völlig neu definiert werden. Hier scheint ein Umdenken stattgefunden zu haben, sprach der Stiftungspräsident früher doch eher von der "Zirkulation von Objekten" als über deren tatsächliche Rückgabe.
Neues Team für neue Prozesse
Um die Prozesse voranzutreiben, wurden auch zusätzliche dauerhafte Stellen geschaffen. Die neue Beauftragte für transkulturelle Zusammenarbeit, Andrea Scholz, bezeichnet es als ihre Aufgabe, "die Tür immer noch ein Stückchen weiter aufzuschieben, auch wenn das Haus selbst umgebaut werden muss".
Zu ihrem seit November 2019 aufgebauten Team zählen auch vier Provenienzforscher unter der Leitung von Christine Howald. Priorität hätten "Bestände, die aus dem Kontext des deutschen Kolonialismus stammen", sagte Howald der DW. "Und dann natürlich kulturell sensible Objekte und menschliche Überreste."
Broschüren und Multimedia
Eine kostenlose Broschüre führt mit den Dauerausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst durch die postkoloniale Provenienzforschung. Informationen über die Herkunft von Objekten sind auch über QR-Codes zugänglich, zudem erklären Multimediastationen den Kolonialismus für Kinder.
Auch die Wechselausstellung, mit der das neue Völkerkundemuseum eröffnet wird, wurde als Reaktion auf die anhaltende Kritik konzipiert. Sie beschäftigt sich mit den Spuren der Kolonialisierung in den ehemaligen deutschen Gebieten Kameruns, Namibias und Ozeaniens.
Unter dem Titel "Ansichtssache(n)" untersucht die Installation die Sichtweisen, die nicht nur zum Kolonialismus beigetragen haben, sondern auch heute noch westliche und weiße Blickwinkel prägen.
Eine weitere temporäre Ausstellung präsentiert die Ergebnisse einer Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern aus Berlin und des Museums Association of Namibia, die sich mit dem Völkermord an den Herero und Nama beschäftigt haben. Die Schau umfasst Arbeiten der international bekannten namibischen Modedesignerin Cynthia Schimming.
Sprachliche Verklärung des Kolonialismus
Ob diese Maßnahmen die Kritiker des Humboldt Forums überzeugen werden? Darüber diskutierten der deutsche Historiker Götz Aly, die ghanaische Kuratorin Nana Oforiatta Ayim und die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy kürzlich auf einer Podiumsdiskussion des Internationalen Literaturfestivals Berlin unter dem Titel "Decolonizing Worlds: Raub - Beute - Kunst".
Bénédicte Savoy, die 2017 aus Protest gegen dessen Umgang mit der Kolonialgeschichte aus einem Beirat des Humboldt Forums ausgetreten war, warnte vor einer "falschen Transparenz", die vom Humboldt Forum infolge des öffentlichen Drucks demonstriert werde. "Es muss eine ehrliche Transparenz sein."
Als Beispiel verwies sie auf das euphemistische Vokabular, das auf den kurzen Erklärtafeln der Ausstellung verwendet werde und etwa gewalttätige Kolonialisten in der Sprache des 19. Jahrhunderts lediglich als Sammler beschreibe. "Das ist sehr gefährlich, das ist fast schlimmer als gar nichts", meint Savoy.
Gut dokumentiert - aber keinen interessiert es
Eines der beeindruckendsten Exponate des Ethnologischen Museums ist ein mehr als 15 Meter langes Boot, das 1904 von der Insel Luf (Teil des heutigen Papua-Neuguineas) nach Berlin transportiert wurde. Der Historiker Götz Aly hat untersucht, wie das Boot in das Berliner Museum kam. In seinem Buch "Das Prachtboot" beschreibt er das Massaker der deutschen Armee auf der Insel, 20 Jahre vor dem Transport des Bootes.
Es sei "unglaublich einfach gewesen", Informationen über den Einfluss Deutschlands auf die Insel zu finden, vor allem im Vergleich zu seiner früheren Arbeit über die Nazizeit, deren Dokumente weitgehend vernichtet worden waren. "Das wurde genau dokumentiert und die Akten sind alle da", sagte er der DW auf dem Berliner Literaturfestival. "Bloß hat sich dafür niemand mehr interessiert."
Die im Mai veröffentlichten Recherchen von Aly waren Wasser auf die Mühlen der Kritiker des Humboldt Forums. Vielfach wurde das Museum dafür gescholten, dass es die gewalttätige Kolonialgeschichte, die mit dem Boot verbunden ist, nicht thematisierte.
Inzwischen hat das Humboldt Forum reagiert und den Filmemacher Martin Maden auf die Suche geschickt. Maden ist es gelungen, Nachfahren der Menschen ausfindig zu machen, die das Boot einst gebaut haben. Weil ihnen die Mittel für seine Erhaltung und Ausstellung fehlen, fordern sie das Boot selbst nicht zurück. Sie wollen es aber in Berlin begutachten, um eine verlorene Tradition wieder zu erlangen - und es nachbauen.
Maden und Aly sind eingeladen, am 20. Oktober im Museum über ihre Recherchen über das Boot der Insel Luf zu sprechen.
Restitution nicht nur im Unrechtskontext
In dem, was das Museum als "fortlaufenden Prozess" bezeichnet, wird es auch künftig Raum für Verbesserungen geben. Die Provenienzforscherin Christine Howald ist sich aber sicher: "Wir haben einen Paradigmenwechsel gemacht, gesellschaftlich, und das ist bei uns absolut angekommen." Es gehe beim Kuratieren nicht mehr darum, die Sammlungen für immer zu bewahren.
"Wir sind wahnsinnig offen", sagte Howald. Das Humboldt Forum wolle restituieren - nicht nur dort, wo ein Erwerb in einem Unrechtskontext stehe, sondern auch, wenn Objekte kulturell bedeutsam für eine Gesellschaft seien. "Da sind ganz viel Schritte gegangen."
Deutsche Adaption: Torsten Landsberg