"Die Hoffnung stirbt zuletzt"
6. April 2017Es sind diese Zahlen, die den Schrecken im Südsudan widerspiegeln: Fünf Millionen Menschen sind in dem ostafrikanischen Land auf Lebensmittel-Hilfe angewiesen, hunderttausend vom akuten Hungertod bedroht. Rund 50.000 Südsudanesen wurden in Kämpfen und ethnisch motivierten Massakern getötet. Weitere 3,4 Millionen Menschen fliehen vor dem Bürgerkrieg aus ihrer Heimat.
DW: Frau Roßbach, wie konnte es im Südsudan so weit kommen?
Manuela Roßbach: Der Südsudan ist eigentlich aufgrund seiner Ressourcen in der Lage, sich selbst zu ernähren. Seit 2013 gab es dann aber immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen, auch zwischen der Präsidentschaftsgarde und den Rebellen. Das hat dazu geführt, dass die Menschen fliehen müssen. Wenn Bauern fliehen müssen, können sie ihre Gärten nicht mehr bewirtschaften. Dann haben wir ein massives Problem, weil es eben keine Ernte mehr gibt. Das war ein Auslöser.
Dann gab es in der gesamten Region in den vergangenen Jahren kurz aufeinanderfolgende Dürrezeiten. Viele Klimawissenschaftler, die ich kenne, sagen: Das hängt klar mit dem Klimawandel zusammen. Im vergangenen Jahr kam noch das El-Nino-Phänomen dazu. Das verschiebt die Regenzeiten, was zu mehr Dürren innerhalb kürzerer Zeit führte.
Außerdem ist das Land doppelt so groß wie die Bundesrepublik und hat zwölf Millionen Einwohner. Es gibt aber nur eine einzige richtig befestigte Straße im Südsudan und keine einheitliche Stromversorgung oder Versorgung mit Wasser.
Was tun Sie und Ihre Kollegen von "Aktion Deutschland hilft", um den Menschen im Südsudan zu helfen?
Wir verteilen Trinkwasser, packen Lebensmittelpakete und führen Schulspeisungen durch. Außerdem werden Brunnen und Wasserquellen instand gesetzt und gereinigt. Es gibt mobile Ärzeteams und medizinische Stationen für unterernährte Kinder und schwangere Frauen. Wir klären auch über die Hygienesituation auf, damit die Kinder sich zum Beispiel vor dem Essen die Hände waschen und sich nicht anstecken.
Im Moment leiden die Menschen am meisten unter der Lebensmittelknappheit. Zuletzt haben die Vereinten Nationen offiziell eine Hungersnot für das gesamte Land ausgerufen. Wie haben Sie das Leid der Menschen wahrgenommen?
In den Lagern der Vertriebenen haben wir mit Menschen gesprochen, die davon erzählen, dass sie nicht genug zu essen haben und auch nichts anbauen können. Viele Kinder haben dünne Beinchen. Wir waren bei Schulprojekten der Malteser, die für Kinder und Lehrer Schulspeisungen machen. Das sieht so aus: Vor der Schule gibt es einen Schulhof mit zwei Wasserstellen, wo sie sich die Hände waschen müssen. Dann bekommen sie einen Klacks Reis und Bohnen. Ich habe Mädchen gesehen, die hatten Plastiktüten dabei, um von dem Essen etwas nach Hause mitzunehmen. Andere haben sich Schuluniformen geliehen, damit sie etwas zu essen bekommen. Ohne Schuluniformen bekommen sie nichts, weil das bedeutet, dass ihre Eltern nicht den vollständigen Beitrag zahlen. Viele Kinder können dann nicht mehr so gut lernen, sind insgesamt geschwächt und anfällig für Krankheiten.
Inzwischen sollen mehr als 3000 Menschen an Cholera erkrankt sein. Verbreitet sich die Krankheit weiter?
Überall wo die Cholera ausbricht, herrscht sofort Alarmstufe Rot. Dann wird geguckt, dass man das Wasser mit Tabletten keimfrei bekommt. Außerdem werden den Kranken Lösungen mit Mineralstoffen verabreicht, damit sie nicht vertrocknen. Das ist das allerwichtigste. Ich hab nicht gehört, dass sich die Cholera weiter verbreitet, aber auch nicht, dass sie zurückgeht.
Mit ihrer Arbeit im Südsudan versuchen Sie dem Land langfristig zu mehr Eigenständigkeit zu verhelfen. Auf der anderen Seite wird der ostafrikanische Staat seit Jahren durch rivalisierende Gruppen destabilisiert. Eine politische Lösung ist nicht in Sicht. Was bringt Ihre Hilfe da überhaupt?
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Flüchtlinge wollen alle Frieden und irgendwann zurück in ihr Land. Das ist für uns eine gute Motivation. Solange die Rebellen und die Präsidentschaftsgarde mit Waffen durchs Land ziehen, geht natürlich keiner zurück. Wenn die Politiker ein Waffenembargo erreichen könnten, wäre den Menschen schon sehr geholfen.
Im Moment ist es so, dass wir nur Nahrungsmittel- und medizinische Hilfe leisten können, wenn wir nicht wollen, dass tausende von Menschen verhungern. Wir müssen aber vorbereitet sein für den Fall, dass die politische Arbeit Wirkung zeigt, um mit den langfristigen Maßnahmen weiterzumachen.
Die UN beklagen seit Monaten, die Weltgemeinschaft beteilige sich finanziell nicht genug an den Hilfsprogrammen für die Region. Wo fehlt das Geld?
Die Programme können nicht ausgebaut werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Spenden bekommen. Erst damit können wir die eine Mahlzeit, die die Menschen bekommen, für längere Zeit garantieren.
Wieso war es Ihnen wichtig, sich vor Ort ein eigenes Bild zu machen?
Aus zwei Gründen. Zum einen bin ich zwar von Hause aus Ethnologin und kann mir viele Situationen vorstellen. Aber erst wenn ich es gesehen habe, bekomme ich ein gutes Gespür für die Menschen. In meiner Rolle als Geschäftsführerin muss ich zum anderen sagen: Wir kümmern uns um Menschen in Not. Und ich kann natürlich überzeugender sein und es besser erklären, wenn ich etwas mit eigenen Augen gesehen habe.
Manuela Roßmann ist Geschäftsführerin von "Aktion Deutschland hilft". Das Bündnis von derzeit 13 deutschen Hilfsorganisationen leistet bei Notsituationen schnelle Hilfe für die betroffenen Menschen.
Das Interview führte Nina Niebergall.