Hungersnot in Madaja gebannt - vorerst
11. Januar 2016Einer Koalition von Hilfsorganisationen ist es gelungen, 330 Tonnen Hilfsgüter in drei belagerte syrische Städte zu bringen. Monatelang waren die Menschen dort von der Außenwelt abgeschnitten. Nun konnten erstmals wieder Lebensmittel, Medikamente und medizinische Ausrüstung in die Städte gebracht werden.
Das Schicksal der eingekesselten Menschen hatte weltweite Aufmerksamkeit erregt, nachdem Fotos von bis auf die Knochen ausgemergelten Kindern aus der Stadt Madaja durch die Presse gingen. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen berichteten, dass Grundnahrungsmittel wie Milch und Reis für dreistellige Dollarsummen angeboten wurden. Zuletzt sollen die Menschen sich von Katzen, Insekten und Laub ernährt haben. Hinzu kommt, dass mitten im Winter die Heizmittel ausgehen. Ähnliche Szenen spielen sich in den nordöstlichen Städten Fua und Kefraja ab.
Strategische Punkte
Der Grund für den akuten Notstand ist die Belagerung durch verschiedene Kriegsparteien: Um rund 125 sunnitische Kämpfer in Madaja auszuhungern, belagern schiitische Hizbollah-Milizionäre und Truppen des syrischen Diktators Baschar al-Assad eine ganze Kleinstadt. Etwa 40.000 Menschen sollen sich in Madaja aufhalten - mindestens doppelt so viele wie zu Friedenszeiten, weil Menschen aus der ebenfalls umkämpften Nachbarstadt Zabadani hierher geflüchtet sind.
Beide Städte sind strategisch wichtig, um die libanesische Hizbollah mit Waffen aus dem verbündeten Iran zu versorgen. Beide gehören zum Umland der Hauptstadt Damaskus, in der sich das Assad-Regime verschanzt.
Ähnlich dramatisch wird die Lage von Zivilisten im Nordwesten Syriens beschrieben, der weitgehend von Assad-Gegnern kontrolliert wird. Unter anderem haben dort die sunnitischen Terrormilizen Ahrar al-Sham und Al-Nusra-Front das Sagen, die ihrerseits die zumeist regimetreuen, schiitischen Bewohner der Städte Fua und Kefraja belagern.
Hunger als Waffe
Allein in diesen drei Städten werden also etwa 60.000 Zivilisten systematisch ausgehungert. "In ganz Syrien leben mehr als 400.000 Menschen in belagerten Orten", sagt Marianne Gasser, Leiterin der Mission, die das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und dessen Partnerorganisation Roter Halbmond anführen.
Nach dem Völkerrecht ist das vorsätzliche Aushungern von Zivilpersonen ein Kriegsverbrechen. Und dennoch wird das Schicksal Hunderttausender Zivilisten als Verhandlungsmasse zwischen den Kriegsparteien eingesetzt - auch wenn die Vereinten Nationen mit am Tisch sitzen. Dass beide Seiten nun Hilfslieferungen zulassen, kann als positives Signal für die geplante Verhandlungsrunde am 25. Januar in Genf gesehen werden. Für ihre Teilnahme haben die Assad-Gegner jedoch bereits das Ende der Belagerung von Madaja zur Bedingung erklärt. Gespräche über einen zeitgleichen, friedlichen Abzug der jeweiligen Zivilbevölkerungen der drei Städte waren gescheitert.
Kritische Ernährung
Nach Monaten des Hungerns erhalten die Menschen nun wieder ausreichend Nahrung. Neben Grundnahrungsmitteln dürften die Lieferungen auch therapeutische Fertignahrung enthalten, die die Weltgesundheitsorganisation bei akuter Mangelernährung empfiehlt. Solche Spezialnahrung auf Basis von Weizenmehl oder Erdnüssen enthalten besonders viel Kalorien sowie Mineralien und Vitamine, deren Zusammensetzung auf die Behandlung von Mangelernährung zugeschnitten ist.
Bei besonders schwerer Mangelernährung muss das Essen genau rationiert werden, da in diesem Zustand die plötzliche Aufnahme größerer Nahrungsmengen - insbesondere bei Kindern - zum Tode führen kann. In extremen Fällen müssen der oralen Nahrungsaufnahme sogar Infusionen vorausgehen.
Gefahr nicht endgültig gebannt
Ob Hilfsorganisationen solche Zustände in Zukunft verhindern können, hängt maßgeblich von den Kriegsparteien ab. "Um das Leid dieser Menschen dauerhaft zu lindern, brauchen wir regelmäßigen Zugang zu diesen Gebieten", sagt Delegations-Leiterin Gasser.
Die Hilfsgüter, die in diesen Tagen nach in Madaja, Fua und Kefraja gelangen, genügen nach Angaben des Welthungerprogramms der Vereinten Nationen, um die Menschen in den weiterhin belagerten Städten für etwa 40 Tage zu ernähren. Die medizinischen Lieferungen könnten sogar für drei Monate reichen. Für die Zeit danach muss neu verhandelt werden.
Am Montagabend wurde bekannt, dass 400 vom Hungertod bedrohte Menschen so schnell wie möglich aus Madaja herausgebracht werden sollen. Die Betroffenen seien fast tot und bräuchten dringend medizinische Hilfe, sagten UN-Diplomaten nach einer Sicherheitsratssitzung in New York.