Hymne an die Geduld: "This too shall pass"
9. Juli 2021"This too shall pass" ist ein einfacher Spruch, der schon seit Urzeiten als Ausdruck von Hoffnung in schwierigen Zeiten dient: Auch das geht irgendwann mal vorbei. Seine genauen Ursprünge sind umstritten: Der Ausdruck wird verschiedenen Kulturen und Traditionen zugeordnet, vom persischen Dichter und Sufi-Mystiker Rumi über amerikanische Ureinwohner bis hin zum Neuen Testament. Doch auch in der heutigen Zeit können diese paar Worte leidenden Menschen Trost spenden - besonders inmitten einer globalen Pandemie.
In diesem trans- und interkulturellen Geist schuf auch der nigerianische Künstler Emeka Ogboh sein gleichnamiges Klangbild im Zentrum der deutschen Finanzmetropole Frankfurt. Es soll uns an das COVID-19-Pandemiejahr 2020 erinnern und zum Nachdenken anregen. Das Kunstwerk "This too shall pass" wird als Klangteppich beschrieben, der sich vom Frankfurter Römer über den Main bis zur Dreikönigskirche am Südufer des Flusses in Sachsenhausen erstreckt. Das eindringliche Klangbild besteht aus einem eigens für die stadtweite Ausstellung komponierten Musikstück, das von Chören aus Nigerias Hauptstadt Lagos und auch aus Frankfurt für diesen Anlass aufgenommen wurde.
Das Werk verkündet auf eine hymnische Art den Aufbruch in eine neue Zeit und steht damit in der Tradition zahlloser solch zukunftsbeschwörender Musikwerke, die immer schon Themen der Revolution, des Umbruchs und der radikalen Veränderung aufgegriffen haben. Es klingt nach Hoffnung und Aufbruch, sogar ein bisschen nach Glückseligkeit. Die Eröffnung der Klanginstallation fällt mit dem 09.07.2021 allerdings auch auf den Tag, an dem weltweit 4 Millionen offizielle Corona-Todesfälle gemeldet wurden, was dem Werk einen seltsamen Beigeschmack verleiht.
Alles ändert sich ohnehin ständig
"Fest definierte sakrale und weltliche Orte sowie der Main als fließendes, kollektives Stadtgedächtnis sollen sich zu einem übergreifenden kosmopolitischen Raum per Klang verbinden", heißt es in einer Mitteilung der Stiftung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, die das Projekt mit dem Kulturfonds Rhein-Main initiiert hat. Das Publikum reist dabei durch verschiedene Orte in Frankfurt und folgt der Musik, während soziale Normen und künstliche Grenzen bewusst dekonstruiert werden. Neben der physischen Entfernung zwischen Lagos und Frankfurt versucht Ogboh, die gefühlte Distanz zwischen den Menschen, die in diesen beiden Kulturen leben, zu thematisieren, indem er sich auf Gemeinsamkeiten anstatt auf Unterschiede konzentriert.
Ogboh will mit seiner Arbeit auch dem Nachdenken über die Migration von Menschen und ihrem Kulturgut sowie Fragen nach Gleichheit, Teilhabe und Identität begegnen und dabei besonderes Augenmerk auf das Prinzip der kulturellen Aneignung in westlichen Kulturen legen. Genau diese Gegensätze thematisieren ebenso den ständigen Wandel, mit dem sich das Werk besonders auseinander setzt. "Alles geht vorbei, nicht nur das Schlechte, auch das Gute. Nichts bleibt, wie es ist" sagte der Künstler im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und fügte hinzu, dass es in Nigeria ein weiteres bekanntes Sprichwort gibt, das dem Satz "This too shall pass” sehr ähnlich sei: "No condition is permanent". Und davon hat er sich auch schon inspirieren lassen: 2018 schuf er eine gleichnamige Ausstellung, in der er den Wandel der nigerianischen Hauptstadt Lagos über die Jahrzehnte hinweg mit Geräuschkulissen und musischen Elementen festhielt.
Das Gedenken an Corona
In Frankfurt geht es noch musischer zu, denn die Sound-Ausstellung "This too shall pass" ist nicht nur eine Fortsetzung desselben Gedankens, sondern zugleich auch eine Fortführung, die sich mit hochaktuellen Themen im Zusammenhang mit COVID-19 beschäftigt: Ogbohs Werk präsentiert mehrere Bedeutungs- und Interpretationsebenen, die sich auf das Motto "social distancing" während der COVID-19-Pandemie beziehen. Schließlich ist das Publikum gezwungen, zeitgleich "sozial" und "distanziert" zu sein: Obwohl das Erlebnis eindringlich das Publikum wie eine musikalische Schatzsuche durch die alten Gassen Frankfurts unter freiem Himmel mitnimmt, hält Ogbohs Klanglandschaft die Quelle der Musik auch bewusst auf Distanz zum Publikum. Man ist schließlich eben nicht in einem Konzertsaal oder in einer Arena als Teil eines mitfiebernden Publikums, das die Atmosphäre eines Events mit Applaus und Jubel zum Beispiel mitgestaltet. Man bewahrt die Distanz und findet somit passiv, fast schon privat zur Musik.
Und schließlich verweist die Tatsache, dass der Chorgesang im Mittelpunkt von Ogbohs Installation steht, auch auf einer Metaebene auf die COVID-Thematik: Auch während der Lockerungen der diversen Lockdownmaßnahmen in Zeiten, wo die Coronafälle eher rückläufig waren, blieb in vielen Ländern das gemeinsame Singen wegen der möglichen Verbreitung von Aerosolen verboten. Selbst die royale Beerdigung von Prinz Philip in Windsor Castle musste ohne Chor stattfinden.
Kunst für die Sinne
Öffentliche Räume spielen, wie auch bei der Frankfurter Klanginstallation, allgemein eine große Rolle in Ogbohs Kunst: Gerne holt er das Publikum raus aus Orten wie Museen und Ausstellungshallen, um vermeintliche Grenzen und Distanzierungen in den Köpfen der Menschen zu sprengen. Oft thematisiert er auch das koloniale Erbe der Raubkunst aus dem afrikanischen Kontinent oder auch das Thema Rassismus.
So hat der Künstler mit seiner Herangehensweise schon an zahlreichen internationalen Ausstellungen teilgenommen. Er wurde schon bei der Biennale in Venedig und der documenta 14 vorgestellt. Sein Leben und seine Arbeit teilt er zwischen Lagos und Berlin und bezeichnet beide Städte als seine Heimat - wie es nur ein Weltbürger wie Ogboh, der gezielt über Grenzen hinweg sieht, kann.
Die Klanginstallation läuft noch bis zum 03. Oktober.