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Häppchen und Partyfeeling

Katherine Sacks / Anne Termèche16. Oktober 2014

Berlins Food-Szene boomt. Metropolen wie London, Paris oder New York schauen gespannt auf das, was sich zur Zeit in der Hauptstadt tut. Food-Events und Startups machen Berlin zu einem Genusslabor.

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Berlin Food Week
Bild: Ralph Bergmann

"Foodie": So heißt neudeutsch der kulinarisch interessierte Berliner. Als Cathrin Brandes, Foodbloggerin, Gastronomieberaterin und Gastgeberin von Supper Clubs Anfang der 90er Jahre nach Berlin zog, gab es diesen Begriff im deutschen Sprachgebrauch noch nicht. Dazu passt, dass sie in Berlin eine kulinarische Wüste vorfand. Damals habe es in Westberlin nur traditionelle und konservative Restaurants gegeben und in Mitte, dem heutigen Zentrum von Berlin einfach gar nichts.

Erst mit den Touristen kam die Veränderung. Neue Restaurants eröffneten, zunächst nur eine Handvoll, Startups folgten und langsam entwickelte sich so etwas wie Aufbruchstimmung in der Gastro-Szene.

Berlin Food Week
Startups bringen Berlins kulinarische Szene in SchwungBild: Ralph Bergmann

Plötzlich gab es in Berlin experimentierfreudige Foodies, Genießer und Entrepreneurs. Genau dieses Ambiente lockte Jörn Gutowski nach Berlin. Er machte sich mit seinem Startup Try Foods selbständig. Seine Idee: Probiersets mit Variationen zu nur einem Produkt anzubieten. Ein Set besteht aus fünf Proben, dazu gibt es ein Booklet mit Infos und praktischen Tipps.

Gutowski war 2003 nach Berlin gezogen. Er bestätigt, was auch Cathrin Brandes schildert: kulinarisch betrachtet war die Hauptstadt eine Katastrophe. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft, im Stadtteil Friedrichshain, gab es weit und breit kein Restaurant. "Damals ging man nicht aus, um Essen zu gehen, man aß etwas, damit man ausgehen konnte", stellt Gutowski klar. "Essen war nur dafür da, dass man mehr trinken konnte."

Food ist die neue Party

Das hat sich geändert. Essen ist keine Nebensache mehr. "Das Berliner Nachtleben war schon immer innovativ", sagt Gutowski. "Aber die Leute, die die guten Ideen haben, werden eben auch älter. Und viele von denen entdecken gerade als Unternehmer das Thema Food.“

Ein gutes Beispiel dafür ist die Eventlocation Neue Heimat im Stadtteil Friedrichshain, einem der Szene-Kieze Berlins. Die Inhaber betreiben seit mehr als zehn Jahren den Techno Club Bar 25. Jetzt haben sie das Essen für sich entdeckt. Jeden Sonntag veranstalten sie in der Neuen Heimat auf einem verfallenen Industriegelände den Berlin Village Market. Ab 12 Uhr kann man sich hier an zig Imbissbuden einmal rund um die Welt futtern. Dazu gibt es Live-Acts, Peformances und DJ's legen auf. Food trifft auf Party.

Angebote wie dieses sind voll auf die Zielgruppe der jungen Leute ausgerichtet, die nach Berlin kommen, um das legendäre Nachtleben auszukosten. "Food-Events sind ein Gemeinschaftserlebnis", so Gutowski. "Sie schaffen Orte, wo sich Gleichgesinnte treffen. Solche Orte sind ganz wichtig für Leute in einer Stadt wie Berlin."

Von Märkten und Messen

Der Berlin Village Market ist noch ganz frisch. Erst im August hat er eröffnet. Es ist der jüngste einer ganzen Reihe von Street Food-Märkten, die in den letzten Jahren in Berlin eröffnet haben.

Street Food Thursday in der Markthalle Neun in Kreuzberg
Street Food Thursday - einer von vielen Street Food-Märkten BerlinsBild: Sean Gallup/Getty Images

Auch ein Verdienst von Kavita Meelu, Britin mit indischen Wurzeln und Wahlberlinerin. Ihre große Leidenschaft ist die Kulinarik, ihr Talent das Netzwerken. Als sie in Berlin ankam, vermisste sie ziemlich schnell die kreative, internationale Weltküche, die sie aus ihrer Heimatstadt London kannte. Kavita Meelu begann damit, Leute mit Leidenschaft für Esskultur zusammen zu bringen. Sie gab der Szene viele kreative Impulse. Meelu ist es zu verdanken, dass es im Stadtteil Kreuzberg den Street Food Thursday gibt, den ersten Street Food-Markt Berlins. Jeden Donnerstag gibt es in der Markthalle 9 Fingerfood aus aller Welt für kleines Geld. Wer hier kocht, muss kein großes Startkapital aufbringen, hier kann sich jeder trauen, der eine Idee hat.

Aber das ist noch nicht alles. So wie es die Berlin Fashion Week für Mode gibt, gibt es seit 2013 die Berlin Food Week für Essen. Die Location, ein heruntergekommenes Kaufhaus mit Shabby-Chic-Appeal in Mitte, das Kaufhaus Jahndorf. Kochen wird hier als Happening inszeniert, dazu Events wie den Food Swapping Day – Leute tauschen Eingemachtes – Pop up-Dinners, Verkostungen, Kampagnen, dazu thematische Kooperationen mit Restaurants im ganzen Stadtgebiet.

Couscous präsentiert bei Stadt, Land, Food
Berlins Stärke: internationale Esskultur für kleines GeldBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Diese Veranstaltung soll Berlin in die erste Liga der kulinarischen Metropolen katapultieren, wünscht sich Alexander van Hessen, einer der Gründer der Food Week. "Die Welt weiß noch nichts von der große Vielfalt und Kreativität der Berliner Food-Szene. Das Potential ist da und wir arbeiten daran, dass die Welt erfährt, was hier los ist."

Heimat im Kochtopf

Essen made in Germany ist der neue Trend der Hauptstadt. Viele Startups und Köche besinnen sich auf die eigenen Wurzeln, entdecken regionale Produkte. In der ganzen Stadt eröffnen Manufakturen mit heimischen Produkten. Da ist der Käsehändler Fritz Blomeyer, er verkauft nur deutschen Käse. Er hat Kollegen aus den Bereichen Wurst, Brot, Gemüse oder Obst. Das andere Zauberwort ist Nachhaltigkeit. Culinary Misfits zum Beispiel verkaufen Biogemüse, das es nicht ins Supermarktregal schafft, weil es zu groß, zu klein oder deformiert ist. Das betrifft im Schnitt immerhin rund ein Drittel einer Ernte!

Zum ersten Mal fand in diesem Oktober in Berlin das Festival Stadt Land Food statt. Es wurde intensiv über die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft diskutiert, darüber wie man Bauern und Verbraucher zusammenbringen kann. Tausende drängten sich auf dem Gelände, schauten zu beim Kaffee rösten, Wurst machen, Bier brauen, Käse schöpfen. Zum ersten Mal wurde der Berlin Street Food Award verliehen.

"Man findet jetzt immer mehr traditionelle Gerichte auf den Speisekarten, das wäre vor 10 Jahren völlig undenkbar gewesen, völlig out", so Gutowski. Die regionale Küche boomt, das Interesse für traditionelles Genusshandwerk wächst. Gutowski hat sich intensiv mit der Foodszene in Berlin beschäftigt. Vor kurzem hat er ein Booklet dazu herausgegeben, es ist das Begleitheft zu seinem neuestes Probierset, diesmal ausschließlich mit Lebensmitteln aus Berlin. Die da wären Honig, Blutwurst, Berliner Weisse, Lokum, eine orientalische Süßigkeit und eine Gourmetsauce, die Pommes oder Currywurst adeln könnte.

Berlin hat noch längst nicht das kulinarische Niveau von London, Paris oder New York erreicht. Es ist einfach nicht die Stadt der Reichen, die irre viel Geld für schickes Essen hinlegen. Hier spielt sich die Innovation im unteren Preissegment ab. In Berlin ist Essen demokratischer. Und das Angebot beschränkt sich nicht auf einige wenige Hotspots. "Wer Berlin richtig kennen lernen will, muss sich die Hinterhöfe anschauen und viel Zeit mitbringen", empfiehlt Gutowski "Genauso ist es mit dem Essen. Es passiert eine Menge, aber es drängt sich nicht auf, man muss danach suchen."