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Ich bin zwei Menschen

1. März 2003

Noch sind geklonte Menschen ungewöhnlich – einzigartig aber sind sie nie. Denn genetisch existieren sie ja doppelt. Das ist seelisch nicht leicht zu verkraften, warnen Psychologen.

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Klone - nicht einmalig, nicht glücklichBild: dpa

"Das, was einen Menschen ausmacht, ist seine Einmaligkeit - die hat ein Klon nicht", sagt die Diplom-Psychologin Hildegard Belardi aus Bergisch-Gladbach. Für jeden Menschen sei es von zentraler Wichtigkeit, sich seiner Einzigartigkeit bewusst zu sein. Gerade einander sehr ähnliche Personen wie eineiige Zwillinge versuchten, ihre Abtrennung voneinander deutlich zu machen. "Gelingt das nicht, entstehen Identitätsprobleme."

Der Lebensweg ist vorgezeichnet

Der Blick auf seinen genetisch identischen Elternteil kann für einen Klon zudem wie der Blick in eine Glaskugel sein, die das eigene Ich in einigen Jahrzehnten zeigt. "Bei eineiigen Zwillingen hat man erhebliche Übereinstimmungen im Lebenslauf gefunden, auch wenn sie getrennt aufwuchsen", erklärt Belardi. Dies betreffe neben charakterlichen Eigenschaften auch Begabungen, Vorzüge bei der Partnerwahl - und Krankheiten. Der Psychologe Reinhard Tausch, emeritierter Professor an der Universität Hamburg, nennt ein Beispiel: "Ist ein Zwilling depressiv, wird es der andere mit 80 Prozent Wahrscheinlichkeit auch."

Was bin ich?

Psychisch problematisch sei auch die technische Herkunft eines Klons. "Wer bin ich, woher komme ich? - das sind Grundfragen der Existenz", sagt Belardi. Schon Fortpflanzungsmethoden wie die künstliche Besamung oder Leihmutterschaften seien für die daraus hervorgehenden Kinder häufig psychisch schwer zu verarbeiten. Mit Grübeleien über ihre Herkunft belastete Menschen seien oft unsicher und unglücklich. "Ich prognostiziere, dass ein Klonkind psychisch nicht so gut in die Welt eingebettet sein wird wie das normal gezeugte."

Die Umwelt macht den Unterschied

Dass ein Klonmensch zwangsläufig seelisch erkranken müsse, glaubt Tausch dagegen nicht. "Menschen akzeptieren vieles, was eben nicht zu ändern ist", sagt er. Auch adoptierte Kinder nähmen ihre Herkunft in vielen Fällen ohne psychische Probleme hin. "Außerdem kann sich auch ein Klon als eigene Identität erfahren. Die Entwicklung eines Menschen wird ja ganz erheblich von Umwelteinflüssen geprägt - und die verändern sich rasant." Entscheidend für den Lebensweg seien Liebe und Betreuung während der Kindheit. "Wenn es da große Unterschiede gibt, ist es gar nicht gesagt, dass das Kind genauso wird wie sein erwachsenes Ebenbild", erklärt Tausch.

Menschen gibt es schon genug

Aus psychologischer Sicht sei weniger das Schicksal des Kindes als vielmehr die Mentalität des Geklonten fragwürdig. "Das muss ein Mensch sein, der sich selbst sehr hoch einschätzt - überschätzt", so Tausch. Hinzu komme der weltfremde Anspruch, in einem anderen Menschen weiterleben zu wollen. "Außerdem besteht absolut keine Notwendigkeit für das reproduktive Klonen, solange täglich 20.000 Kinder an Hunger oder Arzneimangel sterben", kritisiert Tausch. "Den Kindern, die wir haben, sollte es erst einmal besser gehen."