Ideen für ein Kino von morgen
12. Februar 2014Wie lange braucht man, um eine Filmidee vorzustellen? Sharofat Arabova hat dafür drei Minuten Zeit. Die 29-Jährige aus Tadschikistan sitzt auf einem Pappquader im Berliner Theater "Hebbel am Ufer" und redet gegen die Uhr an. Ihr gegenüber hat eine junge Produzentin aus Frankreich Platz genommen, einen Kuli in der Hand, und macht sich Notizen.
Die Stühle im Saal sind zu zwei Ringen aufgestellt: außen sitzen junge Regisseure, innen die Geldgeber und Verleiher. Gerade als Arabova ihre Visitenkarte zückt, erklingt eine Tröte. "Die Zeit ist um, alle Regisseure müssen einen Platz weiterrücken", sagt die Aufseherin. Handschütteln. Lächeln. Weiterziehen. Und wieder beginnt Sharofat Arabova von vorne, diesmal im Gespräch mit einem Verleiher aus Mexiko. Bekanntschaften schließen, so lautet das Ziel der "Berlinale Talents". 300 junge Filmemacher – vom Drehbuchautor bis zum Cutter – wurden während der Festivaltage nach Berlin geladen, um sich zu vernetzen.
Die beste Möglichkeit, viele Teilnehmer kennen zu lernen, bildet das "Speed Matching". Jeden Tag kommen andere Berufsgruppen in den Theatersälen zusammen. "Es ist ein großes Geschenk, hier mitmachen zu dürfen", sagt Sharofat Arabova. Ihren letzten Kurzfilm hat sie in Indien gedreht. Jetzt hofft sie, frische Ideen von Kollegen aus dem Westen zu erhalten.
Tipps von den Profis
Zum zwölften Mal findet die Talentschmiede statt, mit neuem Namen und Konzept. Früher hieß sie "Talent Campus", jetzt einfach "Berlinale Talents." "Der Begriff 'Campus' wird eher mit Studenten in Zusammenhang gebracht", sagte Sektionsleiter Matthijs Wouter Knol bei einem Interview kurz vor Beginn der Aktion. "Unser Programm aber repräsentiert nichts dezidiert Schulisches oder Universitäres mehr."
Die Praxis steht im Vordergrund – und die bekommen die Nachwuchsfilmer mithilfe von Workshops an die Hand. Schauspieler erhalten Unterricht von Profis, Kameramänner dürfen sich Tipps zur Lichtführung holen. Die Anfrage war dementsprechend groß: 4167 Männer und Frauen hatten sich für die 300 Plätze der "Berlinale Talents" beworben.
Neue Erzählformen ausprobieren
Die Kurse finden auf Englisch statt, kommen die Teilnehmer doch aus 79 verschiedenen Ländern. Austragungsort ist das "Hebbel am Ufer". Das Berliner Theater gilt als Deutschlands bekannteste Spielstätte für experimentelle Shows. Und ist damit der perfekte Ort für eine Tagung, die sich mit neuen Kinoformen beschäftigt. "Ready to Play? Breaking the Rules" lautet das diesjährige Motto. Es soll darum gehen, etablierte Filmmuster zu hinterfragen und kreative Alternativen zu finden.
Katerina Cizek ist das bereits gelungen. Die kanadische Dokumentarfilmerin entwickelt seit einigen Jahren Projekte fürs Internet. Ihre Web-Doku "Out My Window", in der sie Hochhausbewohner in verschiedenen Städten der Welt porträtierte, brachte ihr einen "Emmy Award" ein. "Das Internet ist ein Dokumentarfilm", sagt Cizek, die als Gastsprecherin eingeflogen wurde. Rund 100 Teilnehmer haben sich für ihren Kurs eingetragen und lauschen gebannt, wie Cizek über crossmediales Geschichtenerzählen redet. "Mithilfe des Internets könnt ihr mehr Leute erreichen als mit einem normalen Kinofilm", sagt sie. "Ihr müsst aber auf eure Zuschauer eingehen. Fragt sie nach deren Meinung. Ändert das Thema, wenn das Feedback schlecht ist. Und seid euch bewusst, dass ein Projekt scheitern kann."
Von der Talentschmiede zu internationalem Ruhm
Trotz Cizeks Warnung hoffen die Talente auf einen Erfolg. Auf internationalen Ruhm, wie ihn Ritesh Batra erfahren durfte: Der indische Regisseur war vor zwei Jahren auf den "Talent Campus" gekommen. Seine Filmidee: Eine Hausfrau schickt ihrem Mann per Kurier sein Mittagessen – eine gängige Praxis in Mumbai. Doch wegen eines Fehlers kommen die Speisen nicht beim Ehemann an, sondern bei einem Witwer. Die Freundschaft dieser beiden einsamen Menschen sollte im Zentrum des Films stehen. Batras Drehbuch kam in Berlin gut an: Ein deutscher Produzent stieg als Co-Investor ein. "The Lunchbox" erhielt in Cannes einen Publikumspreis und wurde zum Sundance Film Festival eingeladen. "Berlin war für mich ganz entscheidend, um das Projekt zu realisieren", sagt Batra. Deswegen sei er in diesem Jahr zurückgekehrt, um über seinen Film zu sprechen.
Gleichgesinnte auf einer einsamen Reise
Das gleiche gilt für Anthony Chen aus Singapur, ebenfalls preisgekrönter Talent-Absolvent von 2012. Für seinen Film "Ilo Ilo" erhielt er letztes Jahr die Goldene Kamera in Cannes, die Auszeichnung für das beste Spielfilm-Debut. "Filmemachen ist für mich wie eine einsame Reise, auf der man unterwegs ist", sagt Chen im Gespräch mit der DW. "Immer wieder fragt man sich, ob man nicht doch etwas anderes machen sollte. Hier in Berlin habe ich Gleichgesinnte getroffen und gemerkt, dass ich doch nicht allein bin. Das hat mir Mut gemacht." Das Gemeinschaftsgefühl ist auch für Marie-Emmanuelle Hartness wichtig. "Es herrscht hier kein Konkurrenzdruck", sagt die französische Talent-Teilnehmerin. "Wir brauchen einander, um unsere Pläne zu verwirklichen."
Die Produzentin ist das erste Mal bei den "Berlinale Talents" und von den Angeboten begeistert. Nur wenn sie über die Kurszeiten spricht, wird sie ein wenig wehmütig: "Wir sind hier so lange am Arbeiten, dass wir die eigentliche Berlinale verpassen." Bis 18 Uhr dauern die Workshops und Vorträge an, danach gibt es Kennenlern-Feiern. Für den Wettbewerb bleibt da keine Zeit. Doch wer will schon die Filme von heute sehen, wenn er das Kino von morgen entwickelt?