Dialog statt Konfrontation
20. Oktober 2015"Verhindern ist out! Für die Zukunft setzen wir nicht nur auf das Begleiten, sondern auf das aktive Mitgestalten der künftigen Arbeitsprozesse", sagt Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen. Giesler und die neue Führungsspitze der IG Metall können belegen, dass der ständige und damit rechtzeitige Dialog zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten, die in der IG Metall organisiert sind, für die Belegschaft negative Entwicklungen in Firmen in vielen Fällen verhindern.
Ein Beispiel, das auf dem Gewerkschaftstag in Frankfurt gern präsentiert wird: Ein Unternehmen, das hochmoderne Elektronikbauteile herstellt, musste seine Produkte noch günstiger anbieten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das ging nur über effektivere Automatisierung und Robotereinsatz. Arbeitsplätze drohten wegrationalisiert zu werden. Eine Entscheidung durch die Chefetage warteten die Gewerkschafter erst gar nicht ab. Betriebsräte der IG-Metall gingen umgehend mit den Prozess-Entwicklern zusammen durch den Betrieb und überlegten, wie die neue Fertigung mit Robotern ganz konkret aussehen könnte.
Ergebnis der gemeinsamen Überlegungen, in die die Facharbeiter mit ihren Kenntnissen und Erfahrungen eingebunden waren: Eine über 400 Meter lange Produktionsstraße wurde auf 20 Meter verkürzt und Umrüstzeiten von 20 auf zwei Minuten reduziert. Von fünf Arbeitsplätzen an dieser Fertigung blieben drei erhalten und wurden für die kompliziertere Bedienung höher qualifiziert - und damit auch besser bezahlt. Die zwei vermeintlich überflüssig gewordenen Mitarbeiter konnten an anderer Stelle im Betrieb für neue Projekte eingesetzt werden. Das Geld für ihre Stellen hatte die Firma durch die modernere Automatisierung um ein vielfaches eingespart.
Blockaden durch Offenheit abbauen
Was sich unter dem Schlagwort "Industrie 4.0" abzeichnet, erzeugt bei vielen Arbeitnehmern große Sorgen und Ängste. Immer mehr Arbeitsabläufe werden von Robotern selbständig ausgeführt. In der Logistikbranche laufen jetzt schon Versuche mit Gabelstablern, die völlig automatisch ihren Weg finden. Maschinen kommunizieren untereinander - ohne Menschen. Auch die zunehmende Digitalisierung hat Folgen. Codierte Bauteile von Produkten melden zum Beispiel an Maschinen, wie sie weiter verarbeitet werden sollen. Völlig automatisiert werden die Befehle ausgeführt. Arbeitsplätze in der Produktion verändern sich.
"Wenn Sie nur ahnen, was sich in Zukunft tut, dann erzeugt diese Unsicherheit größere Ängste, als wenn Sie von Anfang an offensiv bei allen Entscheidungen dabei sind", weiß der Gewerkschafter Knut Giesler und setzt auf frühzeitigen Dialog zur Gestaltung der Arbeitszukunft.
Darauf baut auch das neue Führungsteam der IG-Metall, das eine neue Gestaltungskultur mit den Arbeitgebern weiterentwickeln möchte. Modernisierungsprozesse in Firmen könnten auf wenige Wochen verkürzt werden, die ohne Einbindung der Gewerkschaft schon einmal über ein Jahr dauerten ohne wirklichen Erfolg zu bringen, berichtet der IG-Metall-Bezirksleiter. "Unser Pfund sind und bleiben unsere Mitglieder im Betrieb".
Zukunft mit neuem Führungsteam
Zum ersten Mal ist eine Frau in die Leitung der 125 Jahre alten Gewerkschaft gewählt worden. Christiane Benner erhielt über 90 Prozent der Delegierten-Stimmen. Die Gewerkschaft wertet das als klaren Beweis für das Zutrauen in die Kompetenz der 47-jährigen Soziologin, die auch in Aufsichtsräten von Bosch und BMW sitzt und sich als geschäftsführendes Vorstandmitglied der Gewerkschaft bewährt hat. So setzte sich Benner erfolgreich für Frauen und ihr Weiterkommen in der Arbeitswelt ein. Benner gilt als Verfechterin der Frauenquote in Führungspositionen von Unternehmen.
Ihre Wahl zur zweiten Vorsitzenden der mächtigen Gewerkschaft soll aber wohl auch ein Signal für neue Zielgruppen der IG-Metall sein. Benner benennt in Frankfurt einige Zukunftsziele. Ausländer sollen gefördert und in viele Positionen gebracht werden, die derzeit noch unter Mangel an Fachpersonal klagen. An Universitäten sollen Netzwerke ausgebaut werden. Es gehe für Studierende nicht nur darum, in ihrem Fachgebiet zu brillieren, sondern besonders über Zusammenhänge von Produktionstechniken Bescheid zu wissen. Die IG-Metall biete hier einen wertvollen Austausch von Erfahrungen in den Betrieben an.
Weiterbildung als größte Chance
Vor allem soll die Veränderung der Jobs durch die Digitalisierung begleitet werden. Wo früher der Schraubenschlüssel dem Wartungspersonal weiter half, geht es künftig nur noch mit der Programmierung am Tablet. Die IG-Metall will sich als "helfende Hand" bei der Sicherung von Arbeitsplätzen noch stärker bei Arbeitnehmern positionieren. In der Initiative "Netzwerk Zukunft der Industrie" strebt die Gewerkschaft dazu auch einen Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Verbänden an.
In Angeboten zur Qualifizierung und in Hilfen zur ständigen Weiterbildung sieht auch Werner Eichhorst vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit eine Stärke, wie die IG Metall künftig erfolgreich wirken kann. Die Zukunftsstrategien der Gewerkschaft verfolgt auf der Tagung der IG-Metall in Frankfurt auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Dessen Sprecher Martin Leutz sieht die Bemühungen der IG-Metall um mehr Mitbestimmung in den Betrieben zwar schon jetzt an den verfassungsmäßigen Grenzen angekommen, meint aber zum weiteren Weg: "Am Ende haben wir immer noch eine Lösung gefunden, die beide Seiten - Arbeitgeber wie Arbeitnehmer - weiter gebracht haben".
Während andere Gewerkschaften Mitgliederschwund beklagen, gewinnt die IG-Metall das fünfte Jahr in Folge Mitglieder hinzu. Allein im vergangenen Jahr rund 10.000 auf jetzt 2,27 Millionen.