IGH: Deutschland weist Anschuldigungen von Nicaragua zurück
9. April 2024Die Bundesrepublik Deutschland hat sich an diesem Dienstag vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gegen Nicaraguas Vorwürfe verteidigt, Beihilfe zu einem Verstoß gegen die Genozid-Konvention zu leisten. Die deutsche Prozessbevollmächtigte Tania von Uslar-Gleichen wies dies zurück; die Anschuldigungen hätten weder eine faktische noch rechtliche Grundlage. Außerdem warf sie Nicaragua vor, eine einseitige Sicht auf den Nahost-Konflikt einzunehmen.
Mit seiner Klage vom 1. März macht Nicaragua geltend, dass Deutschland insbesondere durch Waffenlieferungen an Israel sowie durch das Zurückhalten von Geldern für das Palästinenserhilfswerk UNRWA "Beihilfe zur Verübung eines Völkermordes" begehen würde. Zumindest verstoße es gegen seine Verpflichtung, alles zu tun, um einen solchen zu verhindern. Nicaragua beruft sich nicht nur auf die Völkermordkonvention aus dem Jahre 1948, sondern auch auf internationales humanitäres Recht wie die Genfer Konventionen sowie andere Regeln des Völkerrechts.
In den Verhandlungen zu Beginn dieser Woche ging es allerdings zunächst um von Nicaragua ebenfalls beantragte "vorläufige Maßnahmen". Nicaragua will beispielsweise, dass Deutschland seine militärische Unterstützung für Israel sofort einstellt und seine Entscheidung bezüglich der UNRWA revidiert. Auch solle der Gerichtshof anordnen, dass Deutschland jede mögliche Anstrengung unternehmen solle, um sicherzustellen, dass bereits an Israel gelieferte Waffen nicht für die vorgeworfenen Rechtsverstöße genutzt werden.
Nicaragua: Deutschland kennt Völkermord-Risiko
Deutschland "wusste und weiß zumindest von einem Risiko, dass ein Völkermord verübt wird", führte der nicaraguanische Vertreter Carlos José Aguello Gomez aus. Spätestens ab dem Zeitpunkt, als der IGH vorläufige Maßnahmen gegen Israel verhängte, hätten bei Deutschland alle Alarmglocken schrillen müssen, so der nicaraguanische Botschafter in den Niederlanden.
Im vergangenen Jahr hatte Südafrika eine Klage gegen Israel eingebracht wegen des Vorwurfes der Verletzung der Völkermordkonvention. Am 26. Januar verhängte der IGH vorläufige Maßnahmen gegen Israel und forderte das Land auf, "alle in seiner Macht stehenden Maßnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord an den Palästinensern in Gaza zu vermeiden". Im März forderte der IGH Israel erneut dazu auf, mehr Hilfe in den Gazastreifen zu lassen.
Deutsche Waffenlieferungen an Israel vor Gericht
"Export-Lizenzen für militärische Ausrüstung im Wert von fast 300 Millionen Euro wurden durch deutsche Behörden an Israel vor dem Hintergrund der speziellen Situation des israelischen Krieges in Gaza prioritär vergeben", sagte der Jurist Daniel Müller, der Nicaragua vertritt. Rüstungsgüter im Wert von 20 Millionen Euro davon seien Kriegswaffen gewesen. Unter anderem seien 3000 Panzerabwehrwaffen, 500.000 Schuss Munition für Maschinengewehre und 44 Treibladungen nach Israel geschickt worden, so Müller unter Berufung auf Zahlen der deutschen Regierung.
Deutschlang gilt neben den USA als Israels engster Verbündeter und ist nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI nach den USA Israels zweitgrößter Waffenlieferant im Zeitraum von 2019 bis 2023 gewesen. Gegen die Vereinigten Staaten kann Nicaragua nicht unmittelbar vorgehen, da sich diese nicht der Rechtsprechung des IGH unterworfen haben.
Deutschland ist sich historischer Verantwortung bewusst
Israel geht seit dem Terrorangriff der militant-islamistischen Hamas am 7. Oktober, bei dem rund 1200 Menschen getötet wurden, gegen diese vor. Bei den Angriffen im Gazastreifen sollen nach Darstellung der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 33.000 Menschen getötet worden sein. Israel beruft sich auf sein Recht auf Selbstverteidigung und hat Völkermordvorwürfe entschieden zurückgewiesen.
Auch Deutschland betont Israels Recht auf Selbstverteidigung, während es gleichzeitig auf die Einhaltung des humanitären Völkerrechts pocht. In den vergangenen Wochen wurde der Ton Deutschlands - wie auch der der USA - diesbezüglich schärfer.
Zu Beginn der Verteidigung unterstrich die deutsche Vertreterin Tania von Uslar-Gleichen nochmals die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel: "Unsere Geschichte ist der Grund, weshalb Israels Sicherheit im Zentrum der deutschen Außenpolitik steht", führte von Uslar-Gleichen einleitend aus. Mit der deutschen Einlassung wolle man aber vor allem auch "die Dinge richtigstellen", was die Angaben Nicaraguas etwa zur Anzahl und Qualität von Waffenlieferungen an Israel angehe.
Waffenlieferung ist nicht gleich Waffenlieferung
In seinen Ausführungen zur deutschen Sicht auf die Faktenlage führte Völkerrechtler Christian Tams aus, dass bei den Waffenlieferungen zwischen Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern unterschieden werde. Bei 98 Prozent der seit dem 7. Oktober lizenzierten Waffenexporte habe es sich um sonstige Rüstungsgüter gehandelt, welche normalerweise eine untergeordnete oder defensive Funktion hätten.
Seit Oktober 2023 seien weder Artilleriegranaten noch Munition für den Export nach Israel lizensiert worden, so Tams. Bei den von Nicaragua genannten lizenzierten Exporten handele es sich vorwiegend um Test- oder Trainingsmunition, die nicht für den Kriegseinsatz geeignet sei. Die deutschen Genehmigungsverfahren sollten insbesondere dazu dienen, die Einhaltung internationaler humanitärer Verpflichtungen sicherzustellen und würden über internationale Vorgaben hinausgehen.
Keine Auswirkungen der Einstellung von UNRWA-Geldern
Auch den Vorwurf, Deutschland habe der UNRWA Gelder entzogen, versuchte Tams zu entkräften. Die temporäre Entscheidung vom 27. Januar, die Zahlungen auszusetzen, hätte insbesondere deshalb keine konkreten Auswirkungen gehabt, da zu diesem Zeitpunkt gar keine einschlägigen Zahlungen angestanden hätten. Vielmehr habe Deutschland - auch über andere Organisationen - seine humanitäre Hilfe für die Palästinenser aufgestockt.
Ein weiteres Argument Deutschlands war unter anderem, dass es ohne eine Beteiligung Israels gar kein Verfahren geben könne. Deutschland hat beantragt, keine vorläufigen Maßnahmen zu verhängen sowie den Fall aus dem Register des Gerichts zu streichen. Eine Entscheidung des Gerichtshofes wird in wenigen Wochen erwartet.