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"Im deutschen Sport steckt noch viel DDR"

Joscha Weber7. November 2014

Henry Maske hat viel gesehen: kleine Hinterhof-Boxhallen der DDR und das Scheinwerferlicht der großen WM-Kämpfe. Im Interview spricht der Ex-Boxweltmeister über das Sportvermächtnis der DDR und neue Perspektiven.

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Box Weltmeister Henry Maske
Bild: picture-alliance/dpa/J. Lübke

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DW: Henry Maske, Sie haben beide Systeme des deutschen Sports kennengelernt, sowohl das getrennte als auch das geeinte. Ist der deutsche Sport 25 Jahre nach dem Mauerfall wiedervereinigt?

Henry Maske: Den ersten Teil habe ich natürlich sehr gut kennengelernt, aber dann bin ich (nach der Wende, Anm. d. Red.) Profi geworden. Insofern habe ich natürlich nicht die persönliche Erfahrung gemacht, wie es dann für die ehemaligen DDR-Amateur-Sportler weiter ging, beziehungsweise wie sich das Ganze für die Sportler aus den alten Bundesländern dargestellt hat. Natürlich habe ich viel Kontakt zu Athleten, aber es fällt mir dennoch schwer, mir ein echtes Urteil zu bilden.

Wie war denn für Sie ganz persönlich dieser Transformationsprozess, wie es heute sperrig heißt, wurden Sie mit offenen Armen im Westen empfangen?

Mich hat man als einen der ersten Profisportler aus der ehemaligen DDR ganz anders betrachtet. Wir dürfen nicht vergessen, dass zu Zeiten der Wiedervereinigung das Boxen in Deutschland kaum jemand auf dem Schirm hatte. Wenn überhaupt, dann hat man sich dafür interessiert, wer da an Prominenten in den ersten drei Reihen um dem Ring saß. Das hat dann eine ganze Weile gebraucht, bis man uns Boxer ins richtige Licht rücken konnte. Heute stellt niemand mehr in Frage, ob Boxen auch Sport ist.

Henry Maske (Photo by Theo Klein/Getty Images)
Der strahlende Held: Henry Maske legte nach der Wende eine Bilderbuchkarriere hin und wurde zum gesamtdeutschen StarBild: Getty Images

Wie ist das wiedervereinte Deutschland mit dem Sportler aus Ostdeutschland umgegangen? Hat man sie geschätzt oder ein bisschen belächelt, wie war da das Entgegenkommen der westdeutschen Kollegen?

Ich glaube, mit großem Respekt. Denn worum geht's denn im Sport? Es geht vor allem um Leistung. In der Regel war es so, dass wir dem anderen System einfach überlegen sein mussten, weil wir den Sport deutlich professioneller betreiben konnten. Wer zwei, drei Mal am Tag trainieren kann, der hat gegenüber anderen de facto Vorteile. Es entwickelte sich relativ schnell Respekt auf einer völlig anderen Ebene: Nicht mehr der Unterschied zwischen Ost und West gab den Ausschlag, sondern der zwischen leistungsfähig und nicht leistungsfähig.

Wie viel DDR steckt heute noch im deutschen Sportsystem?

Ich bin davon überzeugt, dass da noch eine ganze Menge DDR drin steckt. Wenn die Sportfachverbände klug waren, dann sind sie mit den positiven Argumenten des DDR-Sports, die es ohne Frage gab, sehr bewusst umgegangen. Das Wissen des Ostens wurde angenommen, mitgenommen und die Vorteile daraus wurden ins Sportsystem integriert. Vor allem in Sportarten, in denen die damalige DDR führend war. Die vorhandene Qualität wurde also übernommen. In anderen Sportarten wart ihr deutlich führend: Da denke ich zum Beispiel an Fechten oder Fußball. In diesen Disziplinen mussten wir einiges tun, um mitzuhalten.

Box Weltmeister Henry Maske im kampf gegen Virgil Hill (Foto: Theo Klein/Getty Images)
Der bitterste Moment: 1996 schlägt Virgil Hill den "Gentleman". Maske verlässt den Boxring dennoch als gefeierter HeldBild: picture-alliance/dpa/J. Lübke

Sie haben gerade "Ihr" und "Wir" gesagt. Ist die Herkunft, also Ost oder West, heute noch ein Thema bei den jungen Sportlern? Ist die Frage, woher man kommt, noch relevant für die Erfolgschancen?

Ich kann mir vorstellen, dass es nach wie vor noch Relevanz hat. Aber nicht mehr nur zwischen Ost und West. Nord und Süd spielen da genauso eine Rolle. Dahinter steckt ja vielmehr die Frage: Wo ist zum Beispiel ein Olympiastützpunkt? Welche Strukturen gibt es dort? Und deswegen glaube ich ganz klar, dass der Unterschied auf der Ebene Ost und West nicht mehr gemacht wird.

Hat sich der deutsche Sport seit der Wende in die richtige Richtung entwickelt?

Wenn man sich die Zahlen anschaut, ist allen klar: Es geht nach hinten, es wird weniger (gemeint sind zum Beispiel die Medaillen bei Olympischen Spielen, Anm. d. Red). Nach der Wende haben wir im deutschen Sport nicht nur, aber in einem gewissen Maß von dem gelebt, was aus dem ehemaligen DDR-Sport noch resultierte. Aber diese Basis wird immer dünner.

Was kann der wiedervereinte deutsche Sport aus seiner Geschichte für die Zukunft lernen?

Ich glaube, das hat man in großem Maß vernachlässigt: Sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart ist Grundlage der Analyse. Man hat verstanden, dass es im DDR-Sport auch Doping gab. Man hat mittlerweile aber auch verstanden, dass das Dopingproblem nicht an der Grenze haltgemacht hat. Man hat aber auch verstanden, dass es bei weitem nicht im großen Maße der Fall war, und ausschließlich über die Schiene Doping der Erfolg produziert wurde. Um mithalten zu können, um Spitzenkräfte fördern und entwickeln zu können, muss man mehr in die Breite gehen. Das heißt, die Förderung im deutschen Sport muss rechtzeitig beginnen, um dann vielleicht Spitzenleistungen zu generieren. Dieser Gedanke ist in der Wirtschaft selbstverständlich. Wenn man diesen Gedanken im Sport vernachlässigt und nach wie vor glaubt, dass man erst den fördern muss, der schon Spitze ist - dann wird man scheitern.

Robert Harting und Henry Maske (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa pixel)
Engagiert für eine bessere Sportförderung dank Sportlotterie: Henry Maske (r.) und Robert HartingBild: picture-alliance/dpa

Henry Maske ist der größte deutsche Boxer seit der Legende Max Schmeling. Er kämpfte sich zunächst als Amateur erfolgreich im DDR-System nach oben und schaffte dann das, wovon viele Sportler aus Ostdeutschland träumten: Nach dem Mauerfall, von dem Maske im Studio einer Potsdamer Talkshow erfuhr, wurde er im wiedervereinigten Deutschland als Profi zum Sportstar. Dank seiner insgesamt 30 Siege erlebte das Boxen in der BRD einen ungeahnten Boom, seine Kämpfe waren ein echter Straßenfeger. Der "Gentleman", wie ihn Fans und Medien wegen seiner eleganten Art zu boxen nannten, musste während seiner gesamten Profikarriere nur eine Niederlage kassieren - 1996 gegen den US-Amerikaner Virgil Hill. Heute hat Henry Maske eine eigene Stiftung und ist Gesellschafter der Deutschen Sportlotterie, mit der er die Sportförderung in Deutschland verbessern will.

Das Interview führte Joscha Weber.