Bangladesch arbeitet Vergangenheit auf
26. März 2012Bangladesch ist in vielen deutschen Kleiderschränken zu Hause - der Textildiscounter Kik und andere billige Modeketten lassen grüßen. Das überbevölkerte Armenhaus hat sich in den vergangenen Jahren in die Nähstube des Westens verwandelt und ist auf dem Weg, ein Schwellenland zu werden. In dem extrem flachen Land, das etwa so groß ist wie die beiden Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg zusammen, leben rund 160 Millionen Menschen – fast doppelt so viele wie in ganz Deutschland.
Abtrennung von PakistanBis zur einseitigen Unabhängigkeitserklärung vom 26. März 1971 gehörte Bangladesch zu Pakistan - aber "eine Nation waren wir nie", betont die heutige Premierministerin Sheikh Hasina: "Bangladesch ist Bangladesch. Unsere Bevölkerung ist offen, tolerant und säkular. Kulturell und religiös sind wir ganz anders als Pakistan. Wir sind demokratisch. Wir dulden keinen Terrorismus."
Sheikh Hasinas Awami-Liga holte bei der letzten Parlaments-Wahl im Dezember 2008 eine überwältigende Mehrheit. Sie war mit dem Versprechen angetreten, die Verbrechen der Vergangenheit aufzuarbeiten. "In den neun Monaten unseres Freiheitskampfes haben die pakistanische Armee und ihre islamistischen Kollaborateure drei Millionen unschuldige Menschen ermordet. Sie haben eine viertel Million Frauen vergewaltigt und etwa zehn Millionen Menschen in die Flucht getrieben", erinnert Aktivist Shahriar Kabir an die Zeit zwischen März und Dezember 1971. Wie viele andere Aktivisten hat auch er lange für die Aufarbeitung der Vergangenheit gekämpft. "Für mich ist das das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem Zweiten Weltkrieg."
Kriegsverbrecher vor GerichtAls Bangladesch dann mit Hilfe Indiens die pakistanische Armee besiegte und seine Unabhängigkeit besiegelte, blieben die Kriegsverbrecher unangetastet. Doch nach vier Jahrzehnten sollen die Opfer nun Gerechtigkeit erfahren, fordert Menschenrechtler Kabir. "Die Zeit ist reif für Gerechtigkeit und für Rechtstaatlichkeit. Aber es ist natürlich eine große Herausforderung, die Verbrecher nach vierzig Jahren zur Verantwortung zu ziehen. Opfer und Augenzeugen sind verstorben, Täter sind verstorben, wichtige Beweise lagern im Ausland."
Pakistan und sein mächtiges Militär sind für Bangladesch unerreichbar. Vor dem Tribunal, das die Regierung ins Leben gerufen hat, stehen die greisen Kollaborateure von damals - und diese Personengruppe ist bis heute deckungsgleich mit der politischen Opposition in Bangladesch.
Dauerzwist: Regierung und OppositionDeren Anführerin Khalida Zia spricht denn auch von einem Rachefeldzug der Regierung. Es gehe nicht um Gerechtigkeit, sondern darum, den politischen Gegner zu vernichten. Auf einer Massendemonstration Mitte März forderte die Oppositionschefin den Rücktritt der Regierung und vorgezogene Neuwahlen. Vor mehreren zehntausend Anhängern drohte sie, das Land mit Streiks und Demonstrationen zu überziehen, falls ihre Forderungen nicht erfüllt würden.
Die Antwort der Regierung ließ nicht lange auf sich warten. Auch Premierministerin Sheikh Hasina rief ihre Anhänger auf die Straße. Der politischen Rivalin Khalida Zia rief sie zu, dass niemand mehr seine schützende Hand über die Kriegsverbrecher halten könne. "Und wenn du Pakistan so sehr liebst", so Sheikh Hasina bissig, "dann solltest du umziehen und nicht den Boden unserer Heimat verschmutzen".
Allerdings muss die Regierung noch den Beweis antreten, dass es ihr wirklich um die Aufarbeitung der Vergangenheit geht - und nicht um politische Rache. Auch Premierministerin Sheikh Hasina hat ihre Familie im bengalischen Freiheitskampf verloren. Am Montag (26.03.2012) feierte Bangladesch die Erklärung seiner Unabhängigkeit vor 41 Jahren. Kein anderes Land hat bisher versucht, seine Vergangenheit so spät aufzuarbeiten.