1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Gesellschaft

Im Sog der Verschwörungstheorien

Viola Röser
9. Juni 2018

Die Verbreitung von Verschwörungstheorien im Netz nimmt zu. Welche Vorstellungen dominieren den Diskurs? Gefährden Verschwörungstheorien die Demokratie in Deutschland? Einblicke in eine fremde Welt.

https://p.dw.com/p/2xkIb
Symbolbild Illuminati Verschwörungstheorien
Bild: Imago/Chromorange

Die hartnäckigste Verschwörungstheorie, die zurzeit den politischen Diskurs beeinflusst, ist die sogenannte "Islamisierungsthese". Sie besagt, Muslime würden gezielt Europa unterwandern. Niedrige Geburtenraten hierzulande und massive Zuwanderung von Muslimen würden die deutsche Bevölkerung schrittweise verdrängen.

Experte Michael Butter ist Amerikanist und forscht an der Universität Tübingen zum Thema Verschwörungstheorien. Für ihn liegt ihre Gefahr in der verabsolutierten Wahrnehmung ihrer Anhänger. Solche Theorien folgen laut Butter drei zentralen Annahmen: Nichts ist Zufall, nichts ist so wie es scheint und alles ist miteinander verbunden. 

Wie die Welt wirklich funktioniert

Verschwörungstheorien haben eine lange Tradition. Sie entstehen besonders in Krisenzeiten oder infolge großer Veränderungen und geben eine einfache Antwort auf  schwer begreifliche Situationen. Die Welt wird in Gut und Böse eingeteilt. "Man ist plötzlich einer der wenigen, die verstanden haben, wie die Welt wirklich funktioniert, während die breite Masse angeblich schlafend und mit geschlossenen Augen durchs Leben läuft." sagt Experte Butter. Häufig lägen den Verschwörungstheorien anti-amerikanische und antisemitische Einstellungen zugrunde.

Eine Studie des Forschungsschwerpunktes Medienkonvergenz der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat Zahlen zum Glauben an Verschwörungstheorien in der deutschen Gesellschaft aus dem Jahr 2016 vorgelegt. Daraus geht hervor, dass 18 Prozent der Bevölkerung glaubten, Flugzeuge würden im Auftrag von Regierungen Chemikalien versprühen, um Wetter und Klima zu verändern. 17  Prozent der Deutschen verdächtigten zudem die USA, die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 selbst inszeniert zu haben. Der "Islamisierungsthese" hingen neun Prozent an.

Berlin - Verschwörungstheoretiker protestieren in Berlin gegen Chemtrails
Verschwörungstheoretiker protestieren gegen sogenannte ChemtrailsBild: Imago/C. Mang

"Ich glaube dass die Zahl mittlerweile deutlich höher ist." mutmaßte der Experte Michael Butter im DW-Interview. Welche Theorie momentan am weitesten verbreitet ist, sei schwer zu sagen, da es nur wenige vergleichbare Untersuchungen gebe.

Immun gegen Beweise

Auch Edward Snowden schien ein Verschwörungstheoretiker zu sein. Der berühmte Whistleblower enthüllte im Jahr 2013, dass die NSA und weitere Geheimdienste in eine Abhöraffäre verwickelt waren. Ohne die Beweise, die er vorgebracht hat, wäre auch seine Theorie unglaublich gewesen.

Doch im Gegensatz zu Snowdon, der seine Behauptungen mit Beweisen belegte, lassen sich Verschwörungstheoretiker nicht von Gegenargumenten überzeugen. Sie vertrauen nur den Medien, die ihre Überzeugung teilen und bezeichnen alle, die etwas anderes sagen, als vom "System" gekauft.

Auch Journalisten werden dadurch zu Opfern von Verschwörungstheorien. Wie der Journalist Richard Gutjahr. Er war durch Zufall bei dem Lastwagen-Attentat in Nizza und dem Amoklauf in München als einer der ersten Berichterstatter vor Ort. Danach wurde ihm vorgeworfen, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. Seine Familie und er litten danach unter schlimmsten Anfeindungen im Netz.

Extremismus und Verschwörung

In den vergangenen Jahren hat die Verbreitung und politische Instrumentalisierung von Verschwörungstheorien insbesondere im Netz zugenommen. "Identitäre" vertreten zum Beispiel das Konzept des Ethnopluralismus, der, ähnlich dem Rassismus, eine kulturelle "Reinhaltung" von Ethnien zum Leitbild hat

Identitäre Bewegung Deutschland Symbol Berlin
Die Identitäre Bewegung vertritt die Verschwörungstheorie des "großen Austauschs"Bild: Imago

"Der Zusammenhang zwischen Verschwörungstheorien und Extremismus ist schwierig," erklärt Butter. "Die Identitäre Bewegung ist klar extremistisch, aber das strahlt natürlich ab in Bereiche der Bevölkerung, die eigentlich gar nicht so extremistisch sind im klassischen Sinne. Und vielleicht radikalisiert das dann auch die Leute über diese Verschwörungstheorie."

Es komme dabei aber sehr auf die Theorie an. Bei anderen Verschwörungstheorien, wie beim Beispiel 9/11, sei die Verbindung zu Extremismus nicht so offensichtlich, wie bei der sehr islam- und muslimfeindlichen "Theorie des großen Austauschs," sagt Butter gegenüber der DW.

Spiele locken Jugendliche

Welche Theorie für Jugendliche momentan am gefährlichsten ist, kann man nur vermuten, sagte Michael Butter der DW. "Was ich sagen kann ist, dass die Identitäre Bewegung, die letztendlich auch diese Idee des großen Austausches verbreitet, sich in ihrer Bildsprache und Rhetorik ganz gezielt an Jugendliche richtet und diese als potenzielle Anhänger betrachtet."