Was kommt nach dem START-Vertrag?
3. Dezember 2009Russland und die USA versichern, dass man noch bis Ende des Jahres einen neuen Vertrag über strategische Offensivwaffen schließen wolle. Käme dieser nicht zustande, würde es keine internationale Rechtsgrundlage mehr zur Kontrolle strategischer Waffen geben. Formal würden dann für keine Seite mehr Begrenzungen in Hinblick auf die Anzahl der Atomsprengköpfe und deren Trägersysteme gelten. Der weltweite Abrüstungsprozess würde zum Stillstand kommen.
Interessen Russlands und der USA
In Genf verhandeln derzeit Vertreter beider Länder über ein neues Abkommen. Beobachter gehen davon aus, dass weder die USA noch Russland derzeit ihr Arsenal an strategischen Atomwaffen ausbauen wollen. Doch für jede der Seiten hat der Vertrag unterschiedliche Bedeutung. Der unabhängige Militärexperte Pawel Felgengauer sagte im Gespräch mit der Deutschen Welle, das russische Atomarsenal verringere sich sowieso mit jedem Jahr, und das habe konkrete Gründe: Der Großteil russischer Raketen sei noch in der Sowjetzeit gebaut worden, und mit der Zeit müssten sie nach und nach ausgemustert werden, denn sie würden ohnehin nicht mehr als einsatzfähig gelten. Deswegen wolle Moskau, dass die USA, was die Anzahl der Atomwaffen angehe, Russland folge.
Moskau, so Felgengauer, stelle auch noch andere Bedingungen: "Russland möchte auch, dass die Amerikaner ihre Raketenabwehr begrenzen, mit der man natürlich nicht heute und auch nicht morgen, sondern etwa im Jahr 2030 versuchen könnte, das russische Potential nuklearer Angriffswaffen auszuschalten, was man in Russland als totale strategische Katastrophe betrachten würde."
Aber auch für die USA sei der Vertrag von taktischer Bedeutung, erläutert Felgengauer: "Obama braucht ihn, um die Beziehungen zu Moskau überhaupt zu verbessern, um in einer besseren Atmosphäre Fragen voranzutreiben, die für die USA tatsächlich wichtig sind, darunter Iran und Afghanistan. Die Amerikaner haben gehofft, dass, wenn sie den Vertrag unterzeichnen, Russland sich gleichwertig fühlen wird, die Russen bessere Laune bekommen und sich besser verhalten werden. Aber das Ergebnis ist, dass es heute keinen Vertrag gibt, und das, was die Atmosphäre verbessern sollte, diese sogar noch verschlechtern könnte." Grund dafür könnten die vielen technischen Fragen sein, über die man sich bislang nicht einigen konnte, so der Experte.
Frage der Raketenabwehr
Die Presse ist von den Vertragsverhandlungen ausgeschlossen. Die Seiten wollen keine Details bekannt geben, deswegen dringt sehr wenig nach außen. Trotzdem sind die Hauptprobleme bekannt: die Frage der Raketenabwehr. So möchte Russland einen Zusammenhang zwischen den Defensiv- und Offensivwaffen herstellen.
Aus Sicht des Leiters der Abteilung für Abrüstung und Konfliktregelung des Zentrums für internationale Sicherheit IMEMO, Aleksandr Pikajew, ist die Frage der Raketenabwehr nicht einmal die wichtigste. Der Deutschen Welle sagte er, es habe sich als sehr viel schwieriger erwiesen, sich in zwei vermeintlich einfachen Fragen zu einigen: erstens, die Regel, nach der die Waffen gezählt werden, und zweitens, die Methode, nach der abgerüstet wird.
Im Juli einigten sich Barack Obama und Dmitrij Medwedjew bei ihrem Gipfeltreffen in Moskau auf eine Reduzierung der Atomwaffen auf 500 bis 1100 Trägersysteme und 1500 bis 1675 Sprengköpfe. Das Problem sei aber, so der Experte, dass die USA nur im Einsatz befindliche Systeme berücksichtigen wollten: Wenn ein U-Boot im Einsatz sei, werde es berücksichtigt, wenn es aber an Dock sei, wo beispielsweise ein Reaktorkern ausgetauscht werde, dann nicht. "Ein und dasselbe U-Boot kann also gezählt und auch nicht gezählt werden. Die Amerikaner können auf diese Weise bis zu 1500 Sprengköpfe von der Zählung ausschließen", so Pikajew.
Aber auch die USA stellen Bedingungen, mit denen sich Russland nicht einverstanden erklärt: beispielsweise eine strenge amerikanische Kontrolle über die russischen mobilen interkontinentalen ballistischen Topol-Raketen.
Chancen einer Ratifizierung
Auch wenn Dmitrij Medwedjew und Barack Obama einen neuen Vertrag fristgerecht unterzeichnen, ist das Problem nicht vom Tisch. Der Vertrag muss von der Staatsduma in Moskau und dem Senat in Washington ratifiziert werden. In der Staatsduma wird es wohl eher keine Probleme geben, aber im Senat könnte es Schwierigkeiten geben.
60 Demokraten im Senat reichen für eine Ratifizierung nicht aus. Benötigt wird die Unterstützung eines Teils der republikanischen Senatoren. Wenn Obama ernste Zugeständnisse gegenüber Russland macht, dann wird die Wahrscheinlichkeit einer Ratifizierung durch den Senat geringer. "Nicht nur Republikaner werden Obama angreifen, sondern auch möglicherweise ein Teil der Demokraten", so Felgengauer. Innenpolitisch könnte die Ratifizierung in den USA scheitern. Deswegen müsse Obama sich sehr anstrengen, um sich gleichzeitig mit Russland zu einigen und eine Ratifizierung des Vertrags zu erreichen.
Autor: Wladimir Sergejew / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Birgit Görtz