Donald Trump wittert seine Chance
12. Dezember 2019"Warten Sie auch darauf, den Papst zu sehen?" fragte ein Kollege scherzhaft, als er sich in die Schlange einreihte. Und tatsächlich mutete der Weihnachtsempfang, zu dem Nancy Pelosi die im Kongress akkreditierten Journalisten eingeladen hatte, ein wenig wie eine Papstaudienz an. Man wartete geduldig, während sich die Sprecherin des Repräsentantenhauses und Trumps derzeit größte Widersacherin viel Zeit fürs Händeschütteln und Smalltalk mit den Reportern nahm. Ein kleiner Scherz hier, eine inoffizielle Anmerkung da und - natürlich - ein Toast auf die Pressefreiheit: mit Wasser.
Nüchtern und geschickt steuert die Demokratin ihre Fraktion in stürmischen, ja historischen Zeiten. Sie hat das Amtsenthebungsverfahren auf den Weg gebracht und jetzt die Anklage gegen Donald Trump formulieren lassen. Mit ernsten Mienen und festen Stimmen haben Nancy Pelosi und die Vorsitzenden der zuständigen Ausschüsse, Adam Schiff und Jerrold Nadler, am Dienstag vor der versammelten Hauptstadt-Presse dargelegt, dass aus deren Sicht die Beweise für ein Fehlverhalten des Präsidenten "überwältigend und unbestritten" seien; Beweise für Amtsmissbrauch in der Ukraine-Affäre und Behinderung des Kongresses.
Ein Geschenk für den Präsidenten
Nur eine Stunde später stand Nancy Pelosi allerdings erneut vor den Kameras. Ihre Botschaft diesmal war versöhnlich. Nach langem Streit mit den Republikanern seien die Demokraten nun bereit, das von Trumps Regierung ausgehandelte Handelsabkommen mit Mexiko und Kanada zu billigen. Man habe den Schutz der amerikanischen Arbeitnehmer darin stärken können. Da mag sich der eine oder andere Trump-Kritiker verwundert die Augen gerieben haben, aber nein, es war keine Fata Morgana: Am selben Tag, an dem die Demokraten die Anklage gegen Donald Trump präsentierten, schenkten sie dem US-Präsidenten gleichzeitig einen großen politischen Sieg.
"Großartig für unser Land!" feierte der die Entscheidung auf Twitter. Später prahlte er auf einer Wahlkampfkundgebung in Hershey im Bundesstaat Pennsylvania damit, seine Wahlversprechen zu halten: "Seid glücklich, dass ich Euer Präsident bin", rief er einer tobenden Menge zu. Die Demokraten hätten dem Abkommen nur zugestimmt, weil sie das "dumme“ Impeachment-Verfahren, das ihnen peinlich sei, herunterspielen wollten, behauptete er zudem hämisch und weidete sich am tosenden Applaus seiner Anhänger.
Kultfigur Trump
Trumps Kundgebungen erinnern an Rockkonzerte. Die Fans stehen schon in den grauen Morgenstunden vor dem Veranstaltungsort an. Viele tragen "Make America Great Again"-Käppis oder selbst gebastelte Kostüme. In der Arena oder Konzerthalle angekommen, werden sie mit ohrenbetäubendem Rock und Pop bei Laune gehalten, und von den "Vorgruppen" - Trumps Sohn Don Jr. etwa oder lokalen Politgrößen - auf den Top Act eingeschworen.
Die Stimmung erreicht ihren Höhepunkt, wenn Donald Trump - ihr Star - die Bühne betritt. Und während er über für die "nervöse" Nancy Pelosi oder den "durchtriebenen" Adam Schiff spottet, Tiraden gegen den "verschlafenen" Joe Biden und die "korrupten" Demokraten im allgemeinen loslässt und gegen Migranten, FBI-Agenten und Andersdenkende wettert, rufen sie ihm immer wieder zu - Frauen wie Männer: "We love you!"
Ein Eigentor?
Man darf annehmen, dass die Machtpolitikerin Nancy Pelosi sehr wohl voraussah, wie Trump auf den Kompromiss zum Handelsabkommen reagieren würde. Sie hielt es aber offenbar für wichtiger, den Amerikanern zu demonstrieren, dass die Demokraten trotz des Impeachment-Verfahrens arbeits- und kompromissfähig bleiben, und dass sie sich für die Interessen der amerikanischen Arbeitnehmer einsetzen. Vermutlich dachte sie auch an die demokratischen Kongressabgeordneten, die in Trump-Hochburgen 2020 zur Wiederwahl stehen, und mehr vorzeigen müssen als nur Widerstand gegen den Präsidenten. Ihr Kalkül aber könnte für die Demokraten zum Eigentor werden.
In der kommenden Woche wird das Repräsentantenhaus voraussichtlich über die Anklagepunkte abstimmen. Eine Mehrheit gegen Donald Trump gilt als sicher. Das ist aber bekanntlich nur die erste Phase. Danach folgt der Prozess im Senat, in dem die Republikaner die Mehrheit haben. Und diesem Moment scheint Donald Trump inzwischen regelrecht entgegenzufiebern.
Eine schmutzige Schlammschlacht
Ein schmutziger Schauprozess gegen seine Widersacher - das ist es offenbar, was ihm vorschwebt. Er möchte, dass nicht er, sondern seine Ankläger und diverse Nebenfiguren auf der Zeugenbank Platz nehmen. Hunter Biden etwa, Joe Bidens Sohn, den Donald Trump der Korruption in der Ukraine bezichtigt. Mit dem Verfahren gegen den Präsidenten hat er zwar direkt nichts zu tun, aber den Republikanern würde er als Zeuge helfen, von Trumps Vergehen abzulenken, und zugleich den potenziellen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden zu schädigen.
Ob es dazu kommen wird, ist nicht ausgemacht. Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, steht dieser Idee gegenüber bislang eher abgeneigt gegenüber. Die Erfahrung lehrt aber, dass die Republikaner den Launen und Wünschen ihres Präsidenten häufig nachgeben. Dann könnte das Impeachment-Verfahren Donald Trump am Ende eher nützen als schaden. Alles ist möglich in der Ära Trump.