Impfaktionswoche in Deutschland: eine Bilanz
20. September 2021Mit "Impfen im Döner-Imbiss" warb der Berliner Senat in den Lokalmedien. Wie jetzt? "Einmal Döner, ohne Zwiebeln, mit scharfer Soße - und Moderna, bitte."? Vor Ort klärt sich das auf. Die Impfung findet 100 Meter weiter, auf einem belebten Platz statt. Wer möchte, kriegt dort einen Döner-Gutschein als Belohnung - aha.
Zweiter Tag der Aktion in der vergangenen Woche, früher Nachmittag. Viel los ist nicht vor der Impfstation. Rundherum aber schon auf dem auch sonst immer sehr belebten Leopoldplatz im Berliner Wedding. Zuerst kommt eine spanischsprachige Touristin, deren Gastgeber erklärt, sie nutze die Gelegenheit, sich beim Berlin-Besuch impfen zu lassen. Ein Mann sagt, eigentlich wolle er sich nicht impfen lassen. Nun zwinge ihn aber die Regierung praktisch dazu durch die 2G-Regel, das heißt, dass nur Geimpfte und Genesene Zutritt zum Restaurant bekommen.
Im Gegensatz zu ihm hat Linus keine Scheu, seinen Namen zu nennen und sich fotografieren zu lassen. "Ich habe meinen Impftermin einfach verpennt", erzählt er, "und es dann nicht geschafft, mich um Ersatz zu kümmern." Ein Freund habe ihm einen Link geschickt, dass er sich hier einfach impfen lassen könne, schließlich wohne er gleich in der Nähe. "Es wurde jetzt auch Zeit."
Linus bestätigt, was Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als eine Motivation für dieImpfaktionswoche ausgegeben hatte. "Es gibt immer noch diejenigen, die eigentlich gar nichts gegen das Impfen haben, die vielleicht sogar schon mal einen Termin hatten, den haben sie verpasst und sie haben sich einfach keinen neuen gemacht", sagte Spahn in einem WDR-Interview.
Impfen ohne Termin noch relativ neu
Rund 70 Impfungen seien am ersten Tag zusammengekommen, erzählt die diensthabende Ärztin am Leopoldplatz. Darunter seien auch viele Ältere gewesen, die vom Berliner Senat eine Einladung zu einer Auffrischungsimpfung bekommen hatten. Das bestätigt auch eine Sprecherin des Arbeiter-Samariter-Bundes im Telefonat mit der DW - es gebe viele Drittimpfungen. Mit insgesamt elf Standorten beteiligt sich die Hilfs- und Wohlfahrtorganisation an der Impfaktionswoche. Überraschend für sie sei, so die Sprecherin, dass die Anreize wie ein Döner oder andernorts ein Glas Honig gar nicht so gefragt seien. Die Leute kämen auch so.
Was in anderen Ländern relativ früh möglich war, sich zum Beispiel neben dem Supermarkt impfen zu lassen, ist in Deutschland noch relativ neu. Der zunächst knappe Impfstoff sollte nach festen Regeln verimpft werden - zunächst die besonders Gefährdeten. Deshalb brauchte es einen Termin in einem der extra aufgemachten Impfzentren, ab April 2021 dann beim Hausarzt. Das war für alle recht bürokratisch und logistisch teilweise etwas beschwerlich zu meistern.
Impfboom ist ausgeblieben
Nun aber - hatte Merkel für die Aktionswoche geworben. "Nie war es einfacher, eine Impfung zu bekommen. Nie ging es schneller." Allerdings geht es der Bundesregierung nicht nur darum, für ein möglichst bequemes Impfen zu sorgen. Um gut durch Herbst und Winter zu kommen, "müssen wir daher noch mehr Menschen überzeugen, sich impfen zu lassen", sagte Merkel in ihrem wöchentlichen Podcast.
Doch der erhoffte Impfboom blieb aus. Ein Vergleich mit der Woche davor zeigt, dass es zu keiner relevanten Steigerung der Impfungen kam - zum Teil im Gegenteil. Wie aus der Graphik hervorgeht, lagen an manchen Tagen die Werte aus der Impfwoche sogar leicht unter denen der Vorwoche. Das betrifft sowohl die Erstimpfungen als auch die Zahl der Gesamtimpfungen (Erst-, Zweit- und Drittimpfungen). Allerdings unterscheiden die Zahlen des Robert-Koch-Instituts, der Nationalen Gesundheitsbehörde, nicht zwischen schon geplanten und den in der Aktionswoche erhofften spontanen Impfungen.
Dennoch zog Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine positive Bilanz. "Wir haben in der Aktionswoche insgesamt rund 500.000 der wichtigen Erstimpfungen geschafft, etwa die Hälfte dürfte auf Aktionen zurückgehen", sagte Spahn den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Vereine, Organisationen, Privatinitiativen und viele Freiwillige hätten die Impfwoche mit mehr als 1500 Impfaktionen zu einem Erfolg gemacht.
Zielmarke noch nicht erreicht
Besorgt zeigt sich Spahn über die nach wie vor große Gruppe Ungeimpfter im Alter von über 60 Jahren. Laut dem aktuellen Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts sind in der Gruppe 60-plus rund 14 Prozent ungeimft. Der Anteil liegt bei den Jüngeren bei etwa 30 Prozent. Bei den 12- bis 17-Jährigen sind sogar noch fast zwei Drittel ungeimpft. Das von der Regierung immer wieder genannte Ziel sind rund 90 Prozent Geimpfte bei den über 60-Jährigen - und 75 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen.
Die Politik sagt, es seien mangelnde Gelegenheiten, die viele vom Impfen abhielten. Manche Psychologen bringen das Argument "Vertrauen" ins Spiel, um zu erklären, warum sich manche nicht impfen lassen. Für die relativ große Gruppe derer, die Risiken sehr genau abwägen, sei Vertrauen ganz wichtig, sagt der Psychologe Peter Kirsch im DW-Gespräch. Auf Nachfrage bestätigt er seine Einschätzung vom Augustauch vor dem Hintergrund der Impfaktionswoche. Beim Thema Vertrauen habe die Politik zu oft ein schlechtes Bild abgegeben, kritisiert Kirsch. Seine Studie ergab einen signifikanten Zusammenhang: Je stärker Menschen vertrauen, dass Institutionen funktionieren, umso eher sind sie bereit, sich impfen zu lassen - und umgekehrt.
Diese Einschätzung wurde in Deutschland zuletzt medial auch herangezogen, um die hohe Impfquote in Dänemark zu erklären. Dort sei das Vertrauen in die Politik besonders hoch.
Die Bundesregierung erhofft sich durch die Impfaktionswoche vor allem einen langfristigen Erfolg. Die Impfaktionen hätten zu mehr Sichtbarkeit verholfen, sagte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums. "Die Aktionswoche ist der Start." Mit den niederschwelligen Impfangeboten solle es weitergehen, sagte auch ein Regierungssprecher.