Impressionismus trifft Expressionismus
Eindruck und Ausdruck. Französische Kunst und deutsche Malerei. Paris und Berlin. Erstmals wagt die Alte Nationalgalerie in Berlin den direkten Vergleich der Kunststile – und findet vor allem Gemeinsamkeiten.
Moderne Kunst für Berlin
Dass die Alte Nationalgalerie über eine bedeutende Sammlung französischer Impressionisten verfügt, ist einem Mann zu verdanken, der ihren Wert schon früh erkannt hatte: Hugo von Tschudi, Direktor der Nationalgalerie von 1896 bis 1909. Er eröffnete mit seinen Käufen – u.a. Edouard Manets "Im Wintergarten" (1878/79) – die erste museale Sammlung impressionistischer Kunst in Deutschland.
Hochphase des Expressionismus
Hugo von Tschudis Nachfolger Ludwig Justi, der das Museum von 1909 bis 1933 leitete, erweiterte die Sammlung um expressionistische Kunst. Die Werke stammen überwiegend von deutschen Künstlern: zum Beispiel von Franz Marc, August Macke oder Ernst Ludwig Kirchner, der die "Rheinbrücke bei Köln" (1914) malte.
Leicht und schön
Beide Stile wurden von Beginn an verglichen, teils wüst beschimpft. Dennoch sind Abbildungen der Kunstwerke bis heute beliebte Kalender- und Postkartenmotive. Vielleicht aufgrund ihrer Motive, die heute als hübsch gelten. Dabei war Ernst Ludwig Kirchners Gemälde "Zwei Tänzerinnen" (1910/11) zu seiner Zeit politisch und sinnlich zugleich: ein Bekenntnis zum Außenseitertum der Artisten.
Abstoßender Dreck
Auf dem Kunstmarkt kam das gar nicht gut an. Die Werke, die fast gleichzeitig entstanden und parallel auf dem Kunstmarkt angeboten wurden, sorgten für Naserümpfen. Selbst der zeitgenössische Künstler Adolph Menzel fand die Bilder von Edouard Manet, Claude Monet und Edgar Degas "scheußlich" und bezeichnete sie als "Dreck". Von Edgar Degas stammt übrigens "Tänzerinnen im Probensaal" (um 1891).
Frischer Wind des Impressionismus
Der Kunstkritiker Max Osborn war da anderer Ansicht: Mit den Impressionisten "habe sich ein Fenster geöffnet und frische Luft ströme herein", schrieb er. Die Künstler zogen mit ihrer Staffelei und ihren Farbtuben in die Natur, malten Landschaften, Flüsse, Stadtansichten. Pierre-Auguste Renoir brachte 1881 einen "Blühenden Kastanienbaum" auf die Leinwand.
Augen auf!
Den Impressionisten ging es ums Hier und Jetzt. Sie wollten den individuellen Eindruck eines einzigartigen Augenblicks festhalten, zum Bespiel den "Boulevard Montmartre an einem Wintermorgen" (Camille Pissarro, 1897). Der Betrachter sollte sich voll und ganz auf das Sehen konzentrieren. Die Expressionisten gingen in der Abstraktion weiter und stellten das Gefühl ganz in den Mittelpunkt.
Paris versus Berlin
Die impressionistische und die expressionistische Kunst stecken voller Gegensätze: Eine Kunst des Eindrucks – etwa Camille Pissarros "Boulevard Montmartre bei Nacht" (1897) – gegen eine Kunst des Ausdrucks. Lebensfrohe Bilder gegen existentialistische Malerei. Französische Künstler gegen deutsche Maler. Doch je intensiver der Vergleich der Stile ausfällt, desto mehr Gemeinsamkeiten treten hervor.
Inspirationsquelle Wirklichkeit
Gemeinsames Ziel war ein unmittelbarer, unverfälschter Blick auf die Wirklichkeit. Beide Stile markieren den Aufbruch in die Moderne, zeichnen sich aus durch eine Malerei jenseits des Ateliers und beschäftigen sich mit Alltagsmotiven wie Tänzerinnen, Porträts von Freunden und Familie, Menschen in der Natur oder Großstadtszenen, wie Otto Dix' "Straßenlaternen" (1913).
Bunte Tierwelt
Franz Marc gehört zu den deutschen Künstlern, die stark von den französischen Impressionisten beeinflusst waren, sie bewunderte und schätzte. "Die Franzosen sind so ungleich künstlerischer und innerlicher, dass die deutschen Bilder sofort leer und von äußerlicher Mache sind", urteilte der deutsche Expressionist. 1912 malte er "Kühe, gelb-rot-grün" (1912).
Überwiegend unpolitisch
Die Bilder deutscher Expressionisten entstanden auch aus einer Protesthaltung heraus: Sie waren gegen Autoritäten, gegen eine Gesellschaft von Untertanen. Trotzdem sind ihre Bilder meist harmlos unpolitisch. So auch Max Pechsteins "Doppelbildnis" (1910). Erst nach 1910 – wenige Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs – wurde die Kunst düsterer, kälter und schließlich auch politischer.
Gegensätze und Gemeinsamkeiten
Die Ausstellung "Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende" ist vom 22. Mai bis zum 20. September 2015 in der Alten Nationalgalerie in Berlin zu sehen. Rund 160 impressionistische und expressionistische Kunstwerke werden hier nebeneinander gestellt, insbesondere von deutschen und französischen Künstlern, darunter auch Karl Schmidt-Rottluffs "Mädchen vor dem Spiegel" (1915).