Wahlen und Weltmeisterschaft: Brasiliens Highlights 2014
8. Januar 2014An sich ist es für die Brasilianer nicht neu, dass sie drei Monate nach einer Fußball-Weltmeisterschaft zu den Wahlurnen gehen. Seit Wiederherstellung der Demokratie 1986 tun sie das alle vier Jahre. Dennoch sind die Vorzeichen dieses Mal anders: Die WM findet im eigenen Land statt, die regierende Arbeiterpartei PT ist dafür verantwortlich, und die Brasilianer sind gar nicht einmal so glücklich darüber, wie das alles abläuft.
Kurze Rückblende
Als Brasilien 2007 unter Ex-Präsident Lula da Silva den Zuschlag erhielt, feierten ihn seine Landsleute dafür: Sie hofften auf Investitionen, weltweite Aufmerksamkeit und endlich die Chance, das Trauma von 1950 zu überwinden. Damals verloren die Brasilianer im eigens für das Turnier erbauten Maracanã-Stadion in Rio De Janeiro gegen Uruguay.
Sechs Jahre später ist die Stimmung umgeschlagen: Für Aufmerksamkeit haben Zwangsumsiedlungen, tote Bauarbeiter und Verzögerungen bei den Stadionbauten gesorgt, die wenigen umgesetzten Infrastrukturprojekte dienen vor allem dem Fantransport, und allein der zeitgemäße Umbau jenes Maracanã-Stadions hat mehr als eine Milliarde Real (ca. 350 Mio. Euro) Steuergelder gekostet. Ihrem Unmut darüber haben die Brasilianer 2013 in ausgiebigen Protesten Luft gemacht.
Präsidentin unter mäßigem Druck
Von außen scheint es also, als müsse die amtierende Präsidentin Dilma Rousseff nun die Suppe auslöffeln, die ihr politischer Ziehvater Lula da Silva ihr eingebrockt hat. Doch Meinungsumfragen sprechen eine andere Sprache: Zwar fiel die Zustimmung für die Regierung Rousseff während der Massenkundgebungen von circa 70 auf zeitweise unter 30 Prozent. Doch inzwischen steigt sie wieder und steuert auf die 50-Prozent-Marke zu. Daher ist eine Wiederwahl derzeit wahrscheinlich.
Der Soziologe Orlando Santos Junior erklärt das so: "Die Proteste richteten sich nur bedingt gegen die Präsidentin. Die Menschen wissen recht gut, dass sie nicht für alle Missstände im Land verantwortlich ist." Der Umbau der Spielstätte wird ebenso wie die für ihre Gewalt gefürchtete Militärpolizei auf bundesstaatlicher Ebene koordiniert, große Teile der mangelhaften Infrastruktur fallen in den städtischen Aufgabenbereich, und die Korruption findet auf allen Verwaltungsebenen statt.
Dass die Wähler also die Regierungspartei PT für die Ausrichtung der WM abstrafen könnten, glaubt der Professor von der Bundesuniversität Rio de Janeiro nicht: "Die Menschen haben nichts gegen die WM an sich, sondern gegen die Art und Weise, wie sie umgesetzt wird."
Proteste zur WM
Dennoch sei diese Unzufriedenheit groß genug, ist sich Santos sicher, dass während der WM wieder große Demonstrationen stattfinden werden. Wenn im Juni und Juli 24 Nationalmannschaften um die Fußballkrone spielen und Tausende Reporter aus mehr oder weniger aller Herren Länder im Land sind, wird die internationale Bühne also noch größer sein als beim Confederations Cups 2013. Ob die Kundgebungen es auch sein werden, bleibt abzuwarten, meint Santos, der sich auch im Comitê Popular da Copa (WM-Volkskomitee) in Rio de Janeiro engagiert: "Solche Massenproteste kann man nicht planen."
Außerdem hat die Regierung Maßnahmen ergriffen, um die Proteste zumindest kleiner zu halten: Auf der einen Seite hat sie die Polizeimacht aufgestockt und das Demonstrationsrecht eingeschränkt. Auf der anderen Seite demonstriert sie, dass sie die Kritik annimmt, und hat Investitionen in die Infrastruktur eingeleitet und weitere angekündigt.
Daher hat der Soziologieprofessor Valeriano Costa von der Universität von Campinas sehr dezidierte Zweifel an vergleichbaren Großdemonstrationen. "Die Verbesserung im öffentlichen Sektor wird bewirken, dass viele Menschen aus der aufsteigenden Arbeiterklasse zuhause bleiben", meint Costa. "Sie wissen relativ wenig über die Hintergründe von Korruption und verfehlter Politik."
Wiederwahl scheint gewiss
Dass die Weltmeisterschaft - und Demonstrationen um Umfeld - sich jedoch entscheidend auf das Wahlergebnis auswirken, halten Beobachter für unwahrscheinlich. Der Soziologe Orlando Santos aus Rio de Janeiro, meint: "Die Demonstranten fordern ein langfristiges Umdenken der Politiker allgemein. Dabei geht es nicht speziell um die Regierungspartei."
Die Wiederwahl von Dilma Rousseff sieht aktuell kaum ein Beobachter in ernsthafter Gefahr. Dafür seien auch die Herausforderer zu schwach, meint Santos.
Geht man allerdings nach der Statistik, müsste Brasilien dafür einen hohen Preis bezahlen und den WM-Titel einem anderen Land überlassen. Denn seit 1986 wurde jedes Mal die Regierung abgewählt, wenn Brasilien die vorangegangene WM gewonnen hatte. Aber, wie gesagt, die Vorzeichen sind ja dieses Mal anders.