In den Tank oder auf den Teller?
16. August 2012Der deutsche Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel hat einen sofortigen Verkaufsstopp für den Biotreibstoff E10 gefordert. Angesichts der anhaltenden Dürren führe der Einsatz von Getreide als Treibstoff zu steigenden Agrarpreisen und Nahrungsmittelknappheit. Mit seinem Vorstoß hat der Minister die Debatte über den Einsatz von Biotreibstoffen neu entfacht.
Bereits der Autopionier Henry Ford wusste, dass Autos auch mit Treibstoff auf Pflanzenbasis funktionieren könnten. Lange Zeit spielte diese Erkenntnis aber kaum eine Rolle. Heute ist das anders. Das Interesse an Biosprit ist so groß wie nie. Die Industrieländer haben sowohl ein politisches als auch ein wirtschaftliches Interesse daran, ihre Abhängigkeit von Ölimporten zu reduzieren. Vor allem die Klimakrise hat zu einer Hochkonjunktur für Biotreibstoffe geführt.
Mit der zwangsweisen Beimischung von bis zu zehn Prozent Bioethanol im Treibstoff wollen die EU-Länder ihren CO2-Austoß reduzieren. Bis 2020 sollen zehn Prozent des Treibstoffs für den Transport auf der Straße aus erneuerbaren Energien kommen. Und auch im Luftverkehr ist der Einsatz von Biosprit in großem Stil geplant.
Biokraftstoffe werden aus organischem Material hergestellt. Ethanol für die Beimischung zum Benzin wird aus stärke- bzw. zuckerreichen Pflanzen gewonnen wie Mais, Weizen oder Zuckerrüben. Biodiesel wird aus Ölsaaten wie Raps, Ölpalmen oder den ungenießbaren Nüssen der Jatrophapflanze erzeugt. Mit Subventionen, Steuervorteilen und einem Beimischungszwang fördern die USA und die EU die Biotreibstoffproduktion. Große Konzerne entdecken lukrative neue Märkte für Agrarprodukte - und kaufen auch in Entwicklungsländern Land auf.
Treibstoff-Hunger lässt Entwicklungsländer hungern
Nach Meinung vieler Experten gefährdet der großflächige Anbau von Biotreibstoffen jedoch die Nahrungsmittelsicherheit in vielen Entwicklungsländern. Ein wachsender Anteil der globalen Agrarpflanzen wird für die Tanks der Autofahrer in den Industrieländern genutzt. Biosprit steht damit in direkter Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion für die Ärmsten der Welt. Die Befüllung des Tanks eines Mittelklassewagens mit Biosprit verbraucht eine Menge an Mais, mit der man einen Menschen ein Jahr lang ernähren könnte.
Im Oktober 2011 veröffentlichte die Organisation Germanwatch ihre Trendanalyse zur Globalen Ernährungssicherung. Demnach wuchs die weltweite Produktion der Grundnahrungsmittel Weizen, Mais und Reis seit 1989 stärker als die Weltbevölkerung. Damit hat das Nahrungsangebot pro Kopf zugenommen - theoretisch. In der Praxis aber wurde Getreide massenhaft als Tierfutter verwendet und für Biotreibstoffe genutzt.
Zwischen 2000 und 2009 wurde laut einer Statistik der FAO die globale Produktion von Bioethanol vervierfacht, die Herstellung von Biodiesel stieg sogar um das Zehnfache. Den größten Anteil am Biosprit hat Ethanol. In Brasilien wird er aus Zuckerrohr und in den USA aus Mais hergestellt. Beide Länder produzieren 75 Prozent des weltweit hergestellten Ethanols. Zwischen September 2010 und August 2011 wurde in den USA zum ersten Mal mehr Mais für Ethanol genutzt als an Tiere verfüttert – um die 40 Prozent der Gesamternte. Nur noch ein kleiner Anteil wurde in der Lebensmittelindustrie verarbeitet.
"Landgrabbing" – für den Tank
Für den Anbau der "Spritpflanzen" wird zunehmend Land in Entwicklungsländern aufgekauft oder gepachtet. Immer weniger Fläche steht dadurch für die Produktion von Nahrungsmitteln zur Verfügung. Nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen handelt es sich hier oft um "Landgrabs": Die Rechte und Bedürfnisse der ursprünglich auf dem Land beheimateten Menschen werden außer Acht gelassen. Sie verlieren ihre Heimat und die Fähigkeit, sich selbst zu ernähren.
Nach Angaben der Hilfsorganisation Oxfam wurde in den Entwicklungsländern seit 2001 eine Fläche von 227 Millionen Hektar vor allem an internationale Investoren verkauft oder verpachtet. Das ist eine Fläche von der Größe Westeuropas. Globale Landwirtschaftskonzerne aber auch Pensionskassen und Spekulanten hätten sich einen regelrechten Wettlauf um große Flächen in Entwicklungsländer geliefert. Das führe bereits jetzt zu Konflikten, Hunger und Menschenrechtsverletzungen, so Oxfam - und der Trend werde sich weiter verstärken.
Beispiel Mosambik: Dort leiden 35 Prozent der Haushalte unter chronischer "Nahrungsmittelunsicherheit". Doch laut Oxfam-Recherchen wurden von den 433.000 Hektar, die zwischen 2007 und 2009 für Landtransaktionen freigegeben wurden, weniger als ein Zehntel für die Nahrungsmittelproduktion genutzt.
Biokraftstoffe treiben Nahrungsmittelpreise hoch
Nach der neuesten Trendanalyse von Germanwatch sind die strukturellen Engpässe in der globalen Ernährungssicherung auf die veränderte Landnutzung zurückzuführen. Der Bericht identifiziert "den politisch initiierten Agrarsprit-Boom in Europa und Amerika" als "die wichtigste strukturelle Ursache für den dramatischen Anstieg und die außergewöhnlichen Schwankungen der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel seit 2007". Das US-Landwirtschaftsministerium selbst schätzt, dass die US-Ethanolproduktion zu einem Drittel für die Preissteigerungen bei Mais während der Nahrungsmittelkrise 2007/2008 verantwortlich war.
In letzter Zeit hatten führende internationale Organisationen, darunter die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD, die Welternährungsorganisation FAO, Weltbank, die Welthandelsorganisation WTO sowie Experten des Committee on World Food Security (CFS) ein Ende der Subventionen und der gesetzlichen Quoten für die Beimischung von Biokraftstoffen in Benzin und Diesel gefordert.
Der Einsatz von Subventionen und anderen Anreizen zu Gunsten von Biotreibstoff ignoriere die negativen Konsequenzen für die Ernährungssicherung, sagt Germanwatch-Experte Klemens van de Sand. Die daraus resultierende Verknappung begünstige die ausufernde Spekulation mit Termingeschäften an den Getreidebörsen. Außerdem erhöhe sie so die Preissteigerungen nach wetterbedingten Ernteausfällen. Die neueste Forderung von Bundesentwicklungshilfeminister Niebel begrüßten Hilfsorganisationen wie "Brot für die Welt" und die "Welthungerhilfe". Es sei verantwortungslos, Menschen hungern zu lassen, um Autos betanken zu können, sagte Rainer Lang, Sprecher von Brot für die Welt in einem Zeitungsinterview.
Eine zweifelhafte Klimabilanz
Bittere Ironie: Die gewünschten Klimaschutzziele werden durch den Einsatz von Biosprit nicht erreicht. Zwar wird bei der Verbrennung von Biosprit nur so viel CO2 frei, wie beim Wachstum in der Pflanze gebunden wurde. In der Praxis aber fällt die Klimabilanz längst nicht so günstig aus: Anbau, Ernte, Verarbeitung und Transport verbrauchen sehr viel Energie – und die stammt meistens aus fossilen Energieträgern. Zudem werden Flächen für den Anbau von Energiepflanzen oft durch Brandrodung gewonnen. Mit allen negativen Konsequenzen für Klima und Artenvielfalt.
Inzwischen werden neue Arten von Biotreibstoffen entwickelt und getestet, die eine verbesserte Umwelt- und Klimabilanz haben sollen. Energie aus Holzabfällen, Algen oder recyceltem Pflanzenöl könnten Alternativen bieten. Sie sind allerdings noch in der Erprobungsphase und noch nicht großflächig kommerziell einsetzbar. Der Anbau von Biomasse zur Energiegewinnung sei nicht grundsätzlich schlecht, betont Germanwatch. Die Organisation sieht darin Möglichkeiten für eine dezentrale Energieversorgung, die Kleinbauern vor Ort eine zusätzliche Einkommensquelle bieten könnte.
Die FAO fordert eine nachhaltige Strategie für die Entwicklung von Bioenergie. Die müsse die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Bioenergie und Nahrungsmittelsicherheit berücksichtigen. Der subventionierte Anbau von Pflanzen für die Erzeugung von Biotreibstoff auf Kosten der Nahrungsmittelsicherheit in Entwicklungsländern tut das definitiv nicht. Bis die Industrieländer, vor allem die USA und die EU, ihre Politik ändern, werden Verbraucher hierzulande die Tanks ihrer Autos weiter auf Kosten der Hungernden füllen.