In der Geldpolitik ist "Vorbeugen besser als Heilen"
30. November 2005Der Präsident der Europäische Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, hat am 18. November eine Erhöhung der Leizinsen in Aussicht gestellt. Trichet begründete die geldpolitische Straffung mit der gestiegenen Inflationsgefahr im Euro-Raum. Die mittelfristigen Preisrisiken seien gestiegen. "Nun geht es darum zu verhindern, dass diese Risiken sich entfalten. Vorbeugen ist besser als heilen", sagte Trichet.
Unter Leitzins versteht man den in einem Währungsraum von der zuständigen Zentralbank festgelegten Zinssatz zur Steuerung der Geldpolitik. Wichtigste Leitzinsen sind neben dem Refi-Satz der Europäischen Zentralbank die nominale "Federal Funds Rate" der amerikanischen Federal Reserve Bank (Fed).
Zentralbanken steuern die Geldpolitik
Während die Fed die Leitzinsen seit Mitte 2004 bei jedem ihrer zwölf Treffen um einen viertel Prozentpunkt erhöhte und den Zins so von einem auf vier Prozent hochtrieb, hält die EZB die Leitzinsen seit Juni 2003 mit zwei Prozent konstant auf einem historischen Tiefstand.
"In Amerika liegt die Inflationsrate bei über 4 Prozent - das rechtfertigt höhere Leitzinsen", meint Carsten Fritsch, Devisenexperte von der Commerzbank. Die EZB wolle die Preise in der Euro-Zone stabil halten. "Sie will die Inflationsrate nahe 2 Prozent halten. Im Moment liegt sie aber bei 2,5 Prozent", sagt Marius Gero Daheim, Rentenanalyst bei der WestLB.
Zinserhöhung ist umstritten
Analysten rechnen jetzt mit einer Erhöhung der Leitzinsen um 25 Basispunkte auf 2,25 Prozent. Das stößt bei den EU-Finanzministern auf heftigen Widerstand. Der französische Finanzminister Thierry Breton zweifelt an der Notwendigkeit einer Zinserhöhung durch die EZB. "Ich sehe keine Gefahr, dass die Inflation in Frankreich oder in der Euro-Zone wieder aufflackert", sagte Breton in einer Haushaltsdebatte im französischen Senat.
Jean-Claude Trichet sieht das anders. Die EZB betreibe mit ihren Warnungen keine Panikmache, sagte er. Die Bürger erwarteten von der Zentralbank, dass sie die Preisstabilität sichere. Zum Vorwurf vieler Politiker, die EZB bringe mit ihrer Zinserhöhung die Konjunktur-Erholung in Gefahr, sagte der EZB-Präsident: "Preisstabiliät bewahren heißt Vertrauen zu sichern. Das wiederum ist notwendig für mehr Wachstum und Beschäftigung."
Risiko Ölpreis
Ein Risiko für die Preisstabilität ist der hohe Ölpreis. Die Verteuerung sei kein vorübergehendes Phänomen und halte die Inflationsrate in den kommenden Monaten über zwei Prozent, sagte das EZB-Ratsmitglied Jaime Caruana in Madrid.
"Politische Entscheidungen wie die Anhebung Mehrwertsteuer oder Energiepreisschübe werden normalerweise von den Notenbanken ausgeklammert", sagt Marius Gero Daheim von der WestLB. "Es sei denn, Gewerkschaften sagen: teures Öl verschlechtert unsere Einkommenssituation und daher fordern wir höhere Löhne."
Die EZB befürchtet, dass diese so genannten "Zweitrundeneffekte" eintreten werden. Daheim teilt diese Befürchtungen nicht. "Es gibt aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der Verlagerung von Arbeit nach Asien zur Zeit keine Chancen, höhere Lohnforderungen durchzudrücken", so der Rentenanalyst.
Volkswirte befürchten keine Bremswirkung
Insgesamt sehen Volkswirte die erwartete Zinseerhöhung relativ gelassen. Die Mehrheit der von Reuters befragten Volkswirte erwartet durch die leicht steigenden Kreditkosten keinen Schaden für die Konjunkturerholung.
"Das Zinsniveau ist auf historischem Tief - und trotzdem gibt es eine Konsum- und Investitionsschwäche in Euroland", sagt Marius Gero Daheim von der WestLB. Diese strukturelle Konsumschwäche, nicht zuletzt als Folge der Alterung der Bevölkerung, und die Folgen der Globalisierung – sprechen gegen eine deutliche Leitzinserhöhung.
Weitere Zinserhöhungen möglich
Jean-Claude Trichet machte deutlich, dass auf die absehbare Zinserhöhung im Dezember nicht unbedingt weitere Anhebungen folgen müssten. "Ich habe gesagt, dass wir nicht von vornherein eine Serie wiederholter Zinserhöhungen planen", sagte er. Von Reuters befragte Analysten rechnen jedoch damit, dass die Notenbank den Zins bis September 2006 auf 2,75 Prozent erhöhen wird.
Fazit von Marius Gero Daheim: "Es wird nach der Leitzinserhöhung eine gewisse Stimmungsdämpfung geben, aber wenn sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht allzustark verschlechtern, sollte sich die moderate Konjunkturentwicklung in Euroland fortsetzen."