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In drei Stunden an jeden Punkt der Erde

Andreas Spaeth
10. April 2021

Seit dem Ende der Concorde gab es kein Überschallflugzeug für Passagiere mehr. Jetzt ist ein neues Testflugzeug fertig, sogar vierfaches Schalltempo und New York-London in zwei Stunden sind möglich. Braucht man das?

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AS2-Business Jet von Aerion
Bild: Aerion

Es ist mit 21 Meter Länge ein eher kleines Flugzeug, aber es bedeutet einen großen Schritt in der Luftfahrtgeschichte. Zum ersten Mal überhaupt existiert jetzt ein privat gebautes Überschallflugzeug. Alles was es bisher gab - die europäische Concorde (aktiv bis 2003), die sowjetische Tupolew Tu-144 (bis 1999) und natürlich viele überschallschnelle Militärjets - wurde von Regierungen mit Milliarden aus Steuergeldern bezahlt und im Staatsauftrag gebaut.

Das ist jetzt anders: Das Startup Boom Supersonic aus Denver stellte im Oktober 2020 den ersten Überschalljet aus rein privater Produktion vor - die einsitzige XB-1, genannt Baby Boom. Noch in diesem Jahr soll das dreistrahlige Unikat über der kalifornischen Mojave-Wüste ein umfangreiches Testprogramm mit zunächst Mach 1,3 (ca. 1600 km/h) beginnen.

Air France Concorde
Die erste Ära des Überschallfluges ging mit dem Absturz einer Concorde am 25. Juli 2000 zu Ende. 2003 wurde das Programm eingestellt. Bild: Air France/AP Photo/picture-alliance

Heathrow-JFK: Drei Stunden

Ziel ist es, das aerodynamische Konzept zu validieren und dann das Gleiche in groß zu bauen - einen Überschall-Jet für bis zu 75 Passagiere, die Overture. Sie soll als etwas kleinerer Nachfolger der Concorde (die damals 100 Sitze hatte) in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts mit zahlenden Passagieren abheben und sie mit Mach 2,2 (rund 2700 km/h) noch schneller befördern: etwa in dreieinhalb Stunden von London nach New York.

Und das umweltverträglich, behauptet der Hersteller, ausschließlich mit nachhaltig und CO2-neutral erzeugtem Treibstoff und dank innovativer Aerodynamik und geringerer Masse mit stark abgemildertem Überschallknall sogar über Land. Das ist bisher verboten, aber an der Aufhebung für künftig lärmärmere Überschallflugzeuge wird in den USA derzeit parallel von der NASA und der Luftfahrtbehörde FAA gearbeitet.

Fliegen schneller als der Schall erlebt zu Beginn der 2020er Jahre einen Schub, den es seit Jahrzehnten nicht gab. Bevor die Boom Overture allerdings wirklich an den Start gehen könnte sind noch einige große Herausforderungen zu bewältigen - etwa geeignete Triebwerke zu entwickeln.

XB-1-Testflugzeug von Boom
XB-1-Testflugzeug von BoomBild: Boom

"Seriöser Anbieter"

Wahrscheinlicher ist, dass zuerst kleinere Überschallflugzeuge abheben werden, Geschäftsreisejets für acht bis 15 Passagiere. Seit 2002 tüftelt die Firma Aerion Supersonic daran. Bisher hat sie kein Flugzeug in die Luft gebracht, aber zuletzt sehr konkrete Angaben gemacht wie ihre dreistrahlige AS2 aussehen wird, die vermutlich 2024 erstmals abheben und ab 2026 für erste Betreiber fliegen soll, die bereits bestellt haben. Mit maximal Mach 1,4 wäre sie langsamer als die Concorde.

Experten halten das Unternehmen für seriös: "Aerion hat sich und seine Modelle stets weiterentwickelt und baut jetzt sogar eine Fertigungslinie in Florida. Aerion ist so clever, auch einen militärischen Markt bedienen zu wollen", sagt Bernd Liebhardt, der sich als Wissenschaftler und Ingenieur beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Hamburg mit zivilen Überschallprojekten beschäftigt. "Mit diesen verschiedenen Anwendungen einer einzigen Flugzeug-Plattform passt Aerion genau in das nur sehr kleine Marktfenster, das wir sehen."

Immerhin hat Aerion schon ein Triebwerk - General Electric (GE) entwickelt den Affinity genannten Turbofan, den ersten neuen Antrieb für Überschallflüge seit mehr als fünf Jahrzehnten. Im Vergleich zum Olympus-Triebwerk der Concorde braucht das Affinity keine lauten und spritfressenden Nachbrenner, weder beim Start, der Beschleunigung auf Überschalltempo oder im Reiseflug. Aerion macht keinen Hehl daraus, dass die AS2 nur der Anfang sein soll.

"Wir haben einen Technologie-Fahrplan für die nächsten 50 Jahre, der erste Schritt in eine schnellere Zukunft des Reisens beginnt erst mit der AS2", sagte Aerions damaliger Strategie- und Finanzchef Mike Mancini im Jahr 2019. Der nächste Schritt könnte ein Verkehrsflugzeug sein. "Wir wollen das mit Bedacht und umweltbewusst machen, um alle Probleme zu vermeiden, die damals das Potenzial der Concorde begrenzt haben", so Mancini. "Es wäre angemessen, die erste Generation neuer Überschall-Airliner in den 2030er Jahren zu erwarten."

AS2-Business Jet von Aerion
Noch eine eher vage Anmutung: AS2-Business Jet von AerionBild: Aerion

Auch zwei Stunden möglich zwischen New York und London

Aerion unterstreicht ihren Anspruch durch den Bau ihres neuen 300 Millionen US-Dollar teuren Hauptsitzes inklusive Fertigungshallen in Melbourne an Floridas Space Coast, wo bereits 2023 die Arbeiten an den ersten Prototypen der AS2 beginnen sollen. "Die Concorde war ein kühnes und nobles Experiment, eine brillante Maschine und ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Luftfahrt, aber sie wies zu hohe Emissionen auf, war zu laut für die Flughafenanwohner und zu teuer zu betreiben. Was wir mit der AS2 machen ist etwas ganz anderes, von den Spezifikationen und dem Geschäftsmodell her", versichert Aerion-CEO Tom Vice.

Kurz vor Ostern sorgte Aerion für einen Paukenschlag: Bereits für Ende dieses Jahrzehnts, so verkündete das Unternehmen, plane man einen Quantensprung der schnellen Beförderung per Flugzeug - die AS3. Bis zu 50 Passagiere sollen damit maximal 13.000 Kilometer weit fliegen können, mit Mach 4 (rund 5000 km/h) oder sogar noch schneller. Damit würde erstmals ein Verkehrsflugzeug den niedrigen hypersonischen Bereich erreichen, der bei Mach 5 beginnt.

Das schnellste bisherige Flugzeug mit luftatmenden Triebwerken, der militärische Aufklärer Lockheed SR-71 Blackbird, erreichte Mach 3,3 (rund 4000 km/h), New York-London schaffte sie mit Luftbetankung auf einem Rekordflug unter zwei Stunden. Aerion hatte sich mit dem NASA-Forschungszentrum in Langley zusammengetan, um künftigen Passagierverkehr im Bereich zwischen Mach 3 und Mach 5 zu erforschen. Es gäbe da einen interessanten Bereich bei Mach 4.5, so der Aerion-Chef, der den Flug von den USA nach Japan in zwei Stunden oder weniger ermögliche, aber dabei bestimmte Herausforderungen bei Material und Kühlung umgehe.

Digitale Konzeptaufnahmen des Virgin Galactic
Auch Virgin-Gründer Richard Branson sieht die Zeit für einen neuen Überschallflieger gekommen: Hier die Animation seines Projekts Virgin GalacticBild: AFP/VIRGIN GALACTIC

Zu viel Euphorie?

Noch sind die Details zur AS3 sehr vage, offenbar weist der Entwurf gepfeilte Delta-Flügel, ein doppeltes Leitwerk und vier Triebwerke in Paaren unter den Tragflächen auf. Aerion verspricht bis zum Jahresende mehr Einblicke. Aerions erklärtes Ziel ist es, jeden Punkt der Erde innerhalb von nur drei Stunden verbinden zu können. "Dafür ist Überschall der Startpunkt. Aber um die globale Mobilität wirklich zu revolutionieren, müssen wir die Grenzen dessen, was möglich ist verschieben," sagt Firmenchef Tom Vice.

Wissenschaftler Bernd Liebhardt vom DLR ist da wesentlich zurückhaltender. "Für mich liegt Hyperschall mehrere Jahrzehnte in der Zukunft. Überschall ist schon ein sehr schwieriges Unterfangen, und Hyperschall geht nochmal einen großen Schritt darüber hinaus," sagt Liebhardt. "Man sollte erst mal Überschall zum Funktionieren bringen."