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Politik

Front National probt Machtübernahme

Barbara Wesel
4. Mai 2017

Seit drei Jahren wird die Kleinstadt Fréjus an der französischen Mittelmeerküste von einem Bürgermeister des Front National regiert. Die Anhänger sind begeistert, es gibt aber auch Widerstand. Barbara Wesel aus Fréjus.

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Frankreich Präsidentschaftswahl - Wahlkampf Fréjus
Bild: DW/B. Wesel

Wie alle Rathäuser in Frankreich verspricht auch die Mairie von Fréjus auf der Fassade "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". Darunter die französische Fahne und nichts weiter, keine Europaflagge. Bürgermeister David Rachline habe sie am Morgen nach seiner Wahl im April 2014 eingezogen, erzählen Anwohner auf dem Marktplatz.

Für ihn ein kleiner Akt der Provokation: Wo der FN ist, gibt es kein Europa. Der gerade 30-jährige Rachline schloss sich schon mit 15 Jahren den Front National an und entstammt dem "national-revolutionären" rechtsextremsten Rand der Partei. Seitdem er Wahlkampfleiter für Marine Le Pen wurde, hat er für Fréjus keine Zeit mehr. Zu Hause muss es ohne ihn laufen.

FN-Patrioten: Frieren fürs Vaterland

Für Clothilde Loidreau ist Rachline das große Vorbild. Sie selbst wollte schon als kleines Kind in den Jugendverband des FN. Inzwischen ist sie 19 und eine glühende Anhängerin von Marine Le Pen. Warum? Es sind die "patriotischen Werte" des Front National, die müsste man zurückbringen, deshalb sei diese Wahl schicksalhaft für Frankreich. Clothilde steht an diesem kühlen Morgen nur im T-Shirt vor dem Parteibüro des FN. "Ist dir nicht kalt? Zieh doch was über", sagt ihre Tante Jaqueline. "Patrioten sind stark", antwortet Clothilde und friert weiter fürs Vaterland.

Frankreich Präsidentschaftswahl - Wahlkampf Fréjus, Büro Front National
Das Parteibüro des Front National in der Kleinstadt Fréjus. Die FN-Aktionisten nennen die Parteichefin nur "Marine"Bild: DW/B. Wesel

"Es ist gut, dass sich Marine mit (dem Unabhängigen) Dupont-Aignan verbündet hat, so steigen ihre Chancen bei Wählern der Republikaner", hofft Jaqueline Loidreau mit Blick auf den Wahlsonntag. Sie will den Fanatismus bei der jungen Nichte etwas abmildern, Frankreich brauche einfach etwas Neues: "Wir hatten die Katastrophe mit Sarkozy, dann hatten wir das Desaster mit Hollande, geben wir doch dem Programm von Marine eine Chance ", sagt die Aktivistin. Wie alle nennt sie die Parteichefin nur "Marine", eine Mischung aus familiär und ehrfürchtig.

Den Rassismusvorwurf gegen den FN aber findet sie ungerecht: "Die Araber, die arbeiten, dürfen bleiben. Aber wir müssen die Grenzen endlich gegen Migranten schließen. Die bekommen alle Sozialwohnungen und zu viel Geld vom Staat." Ein Argument, das wiederholt wird, mit wem immer man redet, aber keiner nennt Zahlen und Fakten.

Die Einsamkeit der Wahlkabine

Die ganze Familie Loidreau ist übrigens beim FN engagiert. Vater Patrick betreibt das Restaurant "Les Micocouliers" gegenüber vom Marktplatz, die beiden Söhne sind auch Frontisten. Patrick ist das Bild des südfranzösischen Patron: Goldkettchen, lächelnd und um seine Gäste bemüht. Hat er nicht Angst, nach einer Machtübernahme des FN könnten die Touristen ausbleiben? "Ach was", winkt er ab, sie könnten ja an den neuen Grenzkontrollen weiter einreisen, und das Land werde wirklich sicher sein, ohne Terrorismus.

Frankreich Präsidentschaftswahl - Wahlkampf Fréjus, Front National
Aktivisten für den Front National: Patrick und Clothilde LoidreauBild: DW/B. Wesel

Den vielen Wendungen von Marine Le Pen in ihrem Wahlprogramm aber folgt er ohne Problem: "Wir werden den Euro für die großen Firmen international behalten und intern zum Franc zurückkehren. Dein Baguette wirst du wieder in Franc kaufen." Auch den Austritt aus der EU sieht er nicht als Problem. Irgendwie glaubt er, das Leben werde weiter gehen wie bisher - nur eben besser.

"Marine wird 50.000 Soldaten, 10.000 Zöllner und 15.000 neue Polizisten einstellen", sagt Patrick. Er wolle einen Wechsel in der Politik und man könne doch nicht sagen, das Programm des FN sei schlecht, wenn man es noch nicht versucht habe. Und die Chancen für Sonntag? "In der Einsamkeit der Wahlkabine werden viele sich noch für den FN entscheiden", glaubt er. Und auf jeden Fall werde es viele Enthaltungen geben. Auch das helfe Le Pen.

Den Bürgervereinen den Hahn zugedreht

Lehrerin Marie-Jo Azevedo und ihr Mann Gérard sind die Spitze des zivilen Widerstandes in Fréjus. Wir treffen sie vor dem früheren Vereinshaus im Stadtteil Villeneuve. "Sie haben nach und nach alle Vereine hier rausgeworfen, ihnen die Subventionen entzogen und sie vertrieben", erzählt Marie-Jo. Die Betreuung von Jugendlichen, ein Sportclub, ein Kulturverein - alle mussten ausziehen. Inzwischen ist im früheren Vereinshaus eine Polizeistation und ein Büro für Altenbetreuung. Während wir reden, tauchen zwei Polizisten auf und fragen uns aus: Was wir hier wollten, mit wem die Reportage abgesprochen sei? Sie geben den halbherzigen Einschüchterungsversuch allerdings schnell auf.

Frankreich Präsidentschaftswahl - Wahlkampf, Bürgerverein
Spitze des zivilen Widerstands gegen den FN: Gérard und Marie-Jo Azevedo vom Bürgerverein in FréjusBild: DW/B. Wesel

"Seit dem neuen Bürgermeister ist die Polizei überall", empört sich Marie-Jo. "Das ist typisch für die Rechtsextremen", fügt ihr Mann Gérard hinzu. Er meint nicht nur die ständige Polizeipräsenz, sondern auch die systematische Unterdrückung der Zivilgesellschaft. Die beiden betreiben ihr "Republikanisches Forum" als Treffpunkt für Gegner des FN. "Wir haben Veranstaltungen mit SOS Rassismus, sind auf Facebook aktiv", erzählt Marie-Jo, sie wollen am 20.Mai ein Europafest machen. Jetzt erst recht. 

Warum ist der FN an der sonnigen, ziemlich wohlhabenden Mittelmeerküste so stark? "Der Süden war immer sehr rechts", erklärt Gérard. Zudem lebten hier viele frühere Algerienfranzosen, die seien besonders islamophob, viele Alte mit Sicherheitsbedürfnis und viele pensionierte Armee-Angehörige. Eine Bevölkerungsmischung wie für den Front National gemacht.

Krieg gegen die Presse

Im Nachbarort St. Raphael zeigt Lokalreporter Eric Farel sein Buch über seine Erlebnisse als Berichterstatter für den "Var Matin". In "Meine Stadt - Marine-Blau" schildert er, wie in Fréjus schrittweise den Journalisten die Informationen abgeschnitten wurden. Der Pressetisch im Gemeinderat verschwand, die Sitzungen wurden hinter verschlossene Türen verlegt, Interviews wurden nicht mehr gewährt.

"Wir hatten am Anfang gute Beziehungen zum Rathaus, aber nach und nach wurden wir total ausgegrenzt", erzählt Eric. Es sei ähnlich wie auf nationaler Ebene, wo Le Pen auch nur ihr genehme Journalisten zulasse. "Wir sind da gut herausgekommen. Statt kübelweise Hass-Mails haben wir Zuspruch und steigende Abonnentenzahlen bekommen", ein ähnlicher Effekt wie bei der New York Times im Kleinen.

Er hat sich auch nicht abschrecken lassen, etwa von einer Recherche über FN-Angehörige aus Paris, die per Fernsteuerung die Wirtschaft in Fréjus in den Griff nehmen: die Händler auf dem Wochenmarkt, die Gastronomie und vor allem die Immobiliengeschäfte. "Wir müssen uns wieder mehr auf die Grundlagen unser journalistischen Arbeit besinnen", mahnt Eric Farel.

Mutprobe für Macronisten

Auf dem Markt in Fréjus verteilen unterdessen Jaques Lajous und seine Freunde Flugblätter für Emmanuel Macron, was nicht ganz einfach ist. Manche Passanten drehen sich nur ruppig weg, andere belegen die Wahlkämpfer mit Schimpfwörtern. "Der FN übt massiv Druck aus: Sie drohen den Lokalbesitzern, ihnen einen Teil ihrer Terrasse wegzunehmen. Wer eine Sozialwohnung will, muss ihnen nach dem Mund reden und die angebliche Verringerung der Schulden von Fréjus ist auch nur Fassade: Der Bürgermeister hat einfach alle öffentlichen Grundstücke verkauft", berichten die Aktivisten.

Ihnen widerstrebt die FN-Politik in Inhalt und Stil: "Der Personenkult um Marine Le Pen ist fürchterlich, das ist doch mehr eine Sekte als eine politische Partei", sagt Jaques. Er und seine Mitstreiter setzen fest auf den Sieg von Emmanuel Macron: "Er ist der Einzige, der Frankreich jetzt zusammen führen kann." Sollte aber Marine Le Pen ans Ruder kommen: "Dann werden wir Frankreich bald nicht mehr wieder erkennen." Und die Luft für politische Gegner wie sie könnte dünn werden.