In geschwächter Position
22. Oktober 2002Fast jedes Mal, wenn ein chinesischer Spitzenpolitiker in die USA aufbricht, gibt es für die sino-amerikanischen Beziehungen genügend Zündstoff. Das gilt auch bei Jiang Zemin, Chinas amtierenden Staatspräsidenten, der vom 22. bis 25. Oktober den USA seinen wohl letzten Besuch in jetziger Funktion abstattet. Vor der Reise gab es von chinesischer Seite Gesten des guten Willens: Eine tibetische Nonne wurde neun Jahre vor Ablauf ihrer regulären Haftzeit aus dem Gefängnis entlassen. Zudem verschärfte China den Export von Materialien, die zur Herstellung von Biowaffen verwendet werden können.
Ein toter Held und 24 Patrioten
Doch seit dem Kosovo-Krieg 1999 stehen die Beziehungen zwischen Washington und Peking auf wackligem Fundament. Zuerst bombardierten die US-Streitkräfte Chinas Botschaft in Belgrad. Dann unterstützte Washington indirekt die von China als abtrünnige Provinz betrachtete Insel Taiwan bei der Bemühung um internationale Anerkennung. 2001 schließlich kollidierte ein US-Spionage-Flugzeug über dem Südchinesischen Meer mit einem chinesischen Kampfjet. Die Folge: Ein toter Pilot, der in China noch heute als Nationalheld gefeiert wird, und 24 zunächst festgesetzte US-Crewmitglieder, die von US-Präsident George W. Bush herzlich als Patrioten empfangen wurden.
Zuletzt machten die USA auch keinen Hehl mehr daraus, Taiwan notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen. Seitdem liefert Washington ohne Rücksicht auf Pekings Reaktionen High-Tech-Waffen nach Taipeh. Taiwans Spitzenpolitiker besuchen offen und stolz die amerikanische Hauptstadt, um ein Bündnis gegen Bedrohungen aus China zu schmieden.
Schwieriger Weg
Für Jiang ist der Weg zu Bush schwieriger. Der jetzige Staats- und Parteichef Chinas wirbt seit 1995 unermüdlich für normale Beziehungen zu den USA, um - wie er glaubt - ein günstiges Umfeld für Chinas Aufbau und Reformen zu schaffen. Doch stoßen Jiangs Bemühungen, den USA entgegenzukommen - zuletzt in der Anti-Terror-Allianz - kaum auf Gegenliebe. Und der amerikanische Druck wird massiver, etwa in der Menschenrechtsfrage.
Jiang tritt seine letzte große diplomatische Tour mit erdenklich geschwächter Position auch in China selbst an. Dort melden sich neben Militärs führende Intellektuelle zu Wort. Sie fordern, China dürfe nicht gegenüber den USA auf Schmusekurs gehen. Ein Ergebnis dieses Drucks ist Pekings harte Haltung gegen einen Irak-Feldzug. Auch beeilt sich das chinesische Außenministerium nicht mehr wie bisher, Raketenverkäufe in die arabische Welt zu dementieren. Dies alles ist gemeint als Demonstration der Stärke gegenüber dem Westen und insbesondere gegenüber Washington: Wenn Peking will, so die Botschaft, kann es weltpolitisch noch einiges verhindern.
Wenige Trümpfe
Ob diese Gesten greifen, ist allerdings fraglich. Zu sehr hängt Chinas Wirtschaft am Tropf amerikanischer Bestellungen. 50 Prozent aller chinesischen Exporte gehen über den Pazifik. Peking hat zu wenig Trumpfkarten in der Hand, um die USA zu beeindrucken. Selbst wenn China im Weltsicherheitsrat gegen einen Irak-Feldzug sein Veto einlegte, die USA würden ihre Mission alleine erledigen - im Zweifelsfalls sogar ohne ihre europäischen Partner. Und einen Krieg gegen Taiwan dürfte China auch nicht wagen, weil an dem amerikanischen Sicherheitsbündnis in Fernost neben Taiwan auch Japan, Südkorea, die ASEAN-Staaten mitsamt Australien und neuerdings sogar Indien beteiligt sind.
Es sind sehr klare Kraftverhältnisse, die Jiangs USA-Reise von vorneherein einen Stempel aufdrücken. Chinas Staatschef wird nicht protokollarisch in Washington begrüßt. Er reist wie ein privater Gast nach Chicago, dann nach Houston. Während der viertägigen Visite ist nur ein einstündiges Gespräch mit Präsident Bush geplant. Auch will Chinas Außenamt partout nicht bestätigen, dass es sich bei Jiangs Visite um einen richtigen Staatsbesuch handelt. Und wenn Jiang wieder nach China heimkehrt, erwartet ihn auf dem 16. Parteitag der KP Chinas möglicherweise seine Ablösung. Wenn vielleicht auch nicht als KP-Chef, so doch vermutlich - schon aus Altersgründen - in seiner Funktion als Staatspräsident.