Bürgerkrieg mit vielen Konfliktebenen
8. Dezember 2015Der UN-Sondergesandte für den Jemen, Ismail Ould Cheikh Ahmed, mahnt die Bürgerkriegsparteien in dem süd-arabischen Staat eindringlich. "Mut, persönliche Opfer und Beharrlichkeit" seien nötig, um das wachsende Leid der Zivilbevölkerung zu beenden. Ab dem 15. Dezember will er in der Schweiz versuchen, endlich einen dauerhaften Waffenstillstand zu erreichen. In den vergangenen neun Monaten sind nach UN-Zählungen mehr als 5700 Menschen getötet worden - fast die Hälfte davon Zivilisten. Hunderttausende wurden vertrieben oder leiden darunter, dass kaum Lebensmittel und Medikamente ins Land kommen. Ob die gestürzte Regierung des Jemen und die Rebellen diesmal zu Zugeständnissen bereit sind, ist jedoch fraglich. Alle früheren Vermittlungen scheiterten.
Zumindest kann Cheikh Ahmed darauf hoffen, dass die wichtigsten Akteure aus dem Jemen kommen werden. International anerkanntes Staatsoberhaupt ist Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi. Er kann allerdings nicht in der Hauptstadt Sanaa regieren. Die Huthi-Rebellen haben ihn und seine Regierung ins benachbarte Saudi-Arabien vertrieben. Aus dem Exil versucht Hadis Regierungsmannschaft nun, wenigstens in der süd-jemenitischen Hafenstadt Aden wieder Fuß zu fassen. Die Sicherheitslage dort ist schlecht. Erst am vergangenen Sonntag kam der Gouverneur von Aden bei einem Anschlag ums Leben.
Ein Drittel der Jemeniten sind Schiiten
Hauptgegner des sunnitischen Präsidenten Hadi sind die schiitischen Huthi-Rebellen. Die Rebellenbewegung hat ihren Namen von ihrem 2004 verstorbenen Gründer Badreddin al-Huthi. Die Schiiten, die im Jemen einer anderen Ausrichtung angehören als im Iran oder Irak, stellen etwa ein Drittel der Bevölkerung. Sie ringen seit Jahrzehnten mit der Zentralregierung um Macht. Im Januar 2015 überrannten Huthi-Kämpfer die Hauptstadt und stießen bis nach Aden vor. Mittlerweile wurden sie aus Aden zurückgedrängt.
Mit dem ehemaligen Präsidenten Ali Abdallah Saleh haben die Huthi einen wichtigen Verbündeten. Der frühere Langzeitherrscher hat es noch nicht überwunden, dass er 2012 nach Massenprotesten von der Macht verdrängt wurde und Hadi Platz machen musste. Anhänger von Salih greifen den Rebellen mit Geld, Logistik und ihren vielfältigen Verbindungen unter die Arme. Einige Armeeverbände stehen treu zu Salih und kämpfen sogar auf der Seite der Huthi.
Überregionaler Stellvertreterkrieg
Vertreter von Präsident Hadi, den Huthi-Rebellen und Ex-Staatschef Saleh sollen in der Schweiz am Tisch sitzen. Doch sie bilden nur einen Teil der Akteure. Würden alle Konfliktparteien zusammenkommen, müsste der UN-Vermittler eine lange Tafel organisieren. Der Machtkampf am Südende des Roten Meeres ist zu einem überregionalen Stellvertreterkrieg geworden. Auf Seiten von Hadi steht eine Militärallianz unter Führung Saudi-Arabiens. Ihr gehören acht weitere arabische Staaten an, darunter Ägypten und die meisten Golfstaaten. Im vergangenen Mai kündigte zudem der westafrikanische Senegal an, sich ebenfalls der Allianz anzuschließen. Die USA, Frankreich und Großbritannien leisten diesem Bündnis logistische Hilfe. Obwohl vor allem die saudische Luftwaffe seit Monaten massiv Huthi-Stellungen bombardiert, konnten regierungstreue Einheiten noch keine entscheidenden Siege erringen. Zudem trifft die königliche Luftwaffe immer wieder zivile Ziele. Die hohe Zahl unbewaffneter Opfer geht auch auf diese Angriffe zurück.
Auf der Gegenseite können die Huthi-Rebellen vor allem auf Hilfe aus dem Iran zählen. Allerdings sei der Iran im Jemen längst nicht so aktiv wie im Irak, in Syrien oder Libanon, schreibt der iranische Journalist Saeid Jafari im Nahost-Onlineportal "Al-Monitor". In all diesen Ländern ringen das sunnitische Saudi-Arabien und der schiitische Iran um die Vorherrschaft in der Region.
Doch es geht in dem Land mit 26 Millionen Einwohnern nicht nur um den alten Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Auf Seiten der Huthi-Rebellen kämpfen auch sunnitische Verbände. Außerdem sind sowohl die sunnitisch dominierte Exilregierung als auch die schiitische Huthi-Bewegung unter massivem Druck von Ablegern der beiden sunnitischen Terrorgruppen Al-Kaida und dem sogenannen "Islamischen Staat" (IS).
Ein zweites Somalia verhindern
Westliche und arabische Staaten verfolgen die Entwicklung mit Sorge. Sie wollen verhindern, dass das ärmste Land der arabischen Welt völlig auseinanderbricht. Ein zweites Somalia in der Region darf es nicht geben - so die Vorgabe von Washington bis Riad. Saudi-Arabien verfolgt darüber hinaus noch andere Ziele. Das Königreich versucht sein extrem konservatives Islamverständnis auch beim südlichen Nachbarn zu verbreiten. Die Intervention zeigt außerdem den Anspruch des Herrscherhauses, seine politischen Interessen auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.
Von Chaos und Unsicherheit im Jemen profitieren vor allem die Terroristen. Schon jetzt ist "Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAP) der gefährlichste Ableger des weltweiten Terrornetzwerkes. Vergangene Woche überrannten Al-Kaida-Kämpfer die südlichen Städte Dschaar und Sindschibar. Nur aus Dschaar zogen sie sich wieder zurück. Seit einigen Monaten versucht auch der IS, im Jemen Fuß zu fassen. Mit einer Reihe von Anschlägen - darunter das Attentat auf den Gouverneur von Aden - will der IS den Rivalen Al-Kaida aus dem Feld drängen. Die beiden Gruppen ringen auch in Syrien, Libyen und anderen Ländern um die Vorherrschaft in der Dschihad-Bewegung.
Die andauernde Gegenwehr der Huthi und die eskalierende Gewalt in Aden werden nach Ansicht der Terror-Expertin Emily Estelle von der Washingtoner Denkfabrik American Enterprise Institute zu einem verstärkten Engagement Saudi-Arabiens im Jemen führen. Das verheiße keine Stabilität. Estelle ist sich sicher: Falls es überhaupt zu einem Waffenstillstand kommen sollte, werde dieser wohl nicht lange halten.