Welche Zukunft haben die Kohlekumpel in Polen?
7. Dezember 2018Die Küche, in der Joanna Wegrzynowicz steht, hat gelbe Fliesen an den Wänden; davor hängen große Suppenkellen an Haken. Heute soll es Rouladen geben. Dazu rollt die Köchin Gurken, Senf und Speck in breite Rindfleischlappen. Eine Schnur wird sie am Ende zusammenhalten. Rotkohl und Knödel machen das Gericht komplett.
Viele Portionen gehen vermutlich auch heute nicht über den Tresen. Denn am Rand der südpolnischen Stadt Zabrze, im Herzen des polnischen Kohlebergbaus, gibt es immer weniger Kunden, die Joannas regionale Spezialitäten genießen könnten.
Das Geschäft ist träge geworden, seit im Dezember 2016 die Makoszowy-Mine auf der gegenüberliegenden Straßenseite stillgelegt wurde.
"Durch die Mine gab es hier früher viel zu tun, weil die Bergleute zum Mittagessen gekommen sind", sagt Wegrzynowicz. "Hier spielte sich das soziale Leben der Bergleute ab. Aber als die Mine schloss, ist es verschwunden."
Die Kantine ist nur eines von vielen lokalen Unternehmen, die von der Schließung der staatlichen Mine mit ihren rund 3.000 Beschäftigten betroffen sind. Einige Geschäfte mussten inzwischen aufgeben. Auch das örtliche Gesundheitszentrum wird bald das gleiche Schicksal ereilen. Die Bergleute suchen ihr Heil inzwischen in anderen Gebieten Polens.
Die Stromerzeugung des Landes ist immer noch sehr stark auf Kohle ausgerichtet. Sie macht 80 Prozent des Energiemixes aus.
Polen ist mit Abstand der größte Kohleproduzent der Europäischen Union. Rund 100.000 Menschen waren 2015 noch unmittelbar in der Branche beschäftigt.
Diese Kohle müsste allerdings im Boden bleiben, wenn Polen die Zielvorgaben der EU für Treibhausgasemissionen einhalten will. Wird der Energieträger weiter abgebaut, sinken die Chancen rapide, die globale Erwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen und die 2015 in Paris vereinbarten Klimaziele zu erfüllen.
Für die polnischen Bergleute und alle anderen, die auch vom Bergbau abhängig sind, wie Wegrzynowicz, geht das allerdings mit einer viel grundsätzlichen Frage einher: Wie können wir Geld verdienen und unseren Lebensunterhalt bestreiten, wenn der Wandel kommt?
Ein fairer Übergang, geht das?
Andrzej Chwiluk ist der Chef der örtlichen Bergarbeitergewerkschaft ZZGwP. Er hat den größten Teil seines Lebens unter Tage verbracht. Heute hat er Probleme mit seiner Lunge und blickt einer ungewissen Zukunft entgegen. Die Kohle, sagt er, sei seit über einem Jahrhundert das Lebenselixier der Gegend.
Wie sehr sie hier verankert ist, kann man an den Wänden seines Büros ablesen. Überall hängen alte Fotos des Bergwerks. Sie teilen sich den Platz mit Fußballtrophäen und einem aufwendig verzierten Banner zu Ehren der Heiligen Barbara. Von ihr glauben die Bergleute, dass sie ihre Hände schützend über die Kumpel hält.
Die Heilige hat einen Gedenktag im Dezember. An diesem Tag legen die schlesischen Bergleute traditionell eine schwarze Uniform mit goldenen Knöpfen an; sie setzen federverzierte Hüten auf und binden sich Säbel um. So herausgeputzt ziehen sie mit Blasmusik durch die Straßen der Kohlestädte.
Solche Traditionen müssen überleben, sagen sie. Deshalb treten sie auch in Schulen und Kindergärten in der Umgebung auf. Sie erzählen dann Geschichten aus der bewegten Vergangenheit der Kumpel und davon, was der fossile Brennstoff für sie bedeutet. Trotzdem, räumt Chwiluk ein, ist den meisten Bergleuten sehr wohl bewusst, dass die Kohle irgendwann verschwinden wird oder man ihr Lebwohl sagen muss.
Letzteres wäre sogar im Sinne der Gewerkschaftsvertreter. Sie unterstützen eine grüne Wende. Aber nur, wenn es auch verträglich und sicher für die Kohlekumpel und die betroffenen Gemeinden passiert.
"Die Umwandlung ist wichtig und wird so oder so kommen", sagt Chwiluk. "Aber die Wende muss den Menschen etwas bringen und darf nicht nur der Wirtschaft helfen."
So wie in der Mine Makoszowy dürfe es nicht laufen, sagt die Gewerkschaft. Der polnische Gesetzgeber hatte den Arbeitern versprochen, dass ihre Arbeitsstelle nicht geschlossen werden würde, sind später aber zurückgerudert.
"Sie haben uns wie tote Gegenstände behandelt", sagt Chwiluk. "Die Arbeiter in der Mine haben sich getäuscht und vergessen gefühlt. Niemand wollte uns erklären, was passiert ist."
Frauen, die in der Regel in der Verwaltung beschäftigt waren, hat es demnach am härtesten getroffen. Die meisten der Männer haben neue Jobs in anderen Bergwerken gefunden, Frauen mit 40 oder mehr Jahren Berufserfahrung standen plötzlich auf dem Abstellgleis. Das geht auch anders, da sind sich die Gewerkschafter sicher.
Eine polnische Sucht
Die Stadt Kattowitz hat auch eine große Tradition in der Kohle. Auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen forderte Polen eine gemeinsame Erklärung der teilnehmenden Staatsoberhäupter, die einen "sozial gerechten Übergang" festschreibt.
Zwar sichert das Land auch erneuerbaren Energien Unterstützung zu. Es plant aber trotzdem weiter mit Kohle. Noch im Jahr 2050 soll sie für die Hälfte der Energie des Landes sorgen. Man habe noch für 200 Jahre Kohle in der Erde, sagt der polnische Präsident Andrzej Duda während der Klimakonferenz in Kattowitz.
"In Polen gibt es heute keinen Plan für einen vollständigen Kohleausstieg", so Duda. "Kohle ist wichtig, sie ist unsere 'strategische Ressource', deshalb ist es schwer für uns, sie aufzugeben."
Die Regierung Polens argumentiere mit den Arbeitsplätzen der Kumpel, sagt Bankwatch, ein NGO-Netzwerk in Mittel- und Osteuropa. Um sie zu schützen halte man an der Kohle fest. Die Realität sehe aber ganz anders aus, sagt Bankwatch-Aktivistin Izabela Zygmunt. "Die Ökonomie der Kohle bröckelt", so die Aktivistin, auch, wenn man das Umweltthema außen vor lasse.
Die Kohlevorräte, die Polen noch im Boden habe, seien nicht mit Gewinn abbaubar, viele Minen würden schließen müssen. Stattdessen importiere Polen zunehmend Kohle aus Russland, um den eigenen Energiebedarf zu decken.
Zygmunt fordert deshalb, dass die Regierung "den Bergarbeitern gegenüber ehrlich sein" müsse. Polen habe heute vielmehr die Option, seine Arbeitnehmer auf die Arbeit in anderen Bereichen vorzubereiten, einschließlich erneuerbarer Energien.
"Das muss ein gut geplanter Prozess sein", sagt Zygmunt. "Und damit das funktioniert, muss man wissen, was die Arbeiter wollen. Man muss mit ihnen reden, man muss auf ihre Bedürfnisse eingehen und bereit sein, ihnen in dem Transformationsprozess zu helfen."
Für einige käme ein solcher "gerechter Übergang" schon heute zu spät. Für Joanna Wegrzynowicz zum Beispiel, die 21 Jahre lang in der Kantine gearbeitet hat, in der sie schon als Kind war, um ihre Mutter bei deren Arbeit zu besuchen. Sie hat sich inzwischen eine neue Existenz im Zentrum von Zabrze geschaffen.
Der Gewerkschaftsführer Andrzej Chwiluk und seine Familie könnten sich bald all den anderen Bergleuten anschließen, die der Kohle bereits hinterhergezogen sind. Was für ihn in Zabrze sonst bliebe? Er wisse es nicht, sagt er.
Galerie: Was man für den Klimaschutz tun kann? Das hier.