In Rio rollt vor allem der Rubel
22. Juni 2014"Cariocas" gelten gemeinhin als entspannte Zeitgenossen. Doch beim Thema Mobilität, stoßen selbst die Bewohner von Rio de Janeiro an die Grenzen ihrer Gelassenheit. Das Problem hat sich mit dem Aufschwung der Nuller-Jahre dramatisch verschärft: In den letzten zehn Jahren ist die Fahrzeugflotte von 1,5 auf 2,5 Millionen Autos angewachsen.
Die Cariocas hofften auf Besserung, als Brasilien den Zuschlag für die WM und Rio für die Olympischen Sommerspiele 2016 bekam. Doch heute ist die Situation schlimmer als je zuvor, daran scheint auch der voranschreitende Ausbau des U-Bahnnetzes nicht viel zu ändern: Mehr als zwei Stunden am Tag verbringt ein Carioca durchschnittlich im Verkehr. Anfang 2014 gaben 58 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage in Rio an, dass nichts ihre Lebensqualität so einschränke wie die Mobilität - nicht einmal die Kriminalität.
Zwar liegt das mit daran, dass überall in der Stadt gebaut wird - auch Straßen und Busspuren. Doch die Urbanistin Fernanda Sánchez von der Bundesuniversität UFF (Universidade Federal Fluminense) zweifelt am Konzept: "Keine der Maßnahmen ist geeignet die schwerwiegenden Mobilitätsprobleme der Stadt zu lösen."
Spaltung der Stadt
Dabei ist in keiner anderer WM-Stadt so viel Geld in die innerstädtische Mobilität geflossen: Allein die Schnellbuslinie Transcarioca, zwischen dem internationalen Flughafen Galeão im Nordosten und dem wohlhabenden Vorort Barra da Tijuca im Südwesten der Stadt, hat eine halbe Milliarde Euro verschlungen.
Doch statt die Stadt zu verbinden, treibe sie soziale Spaltung voran, meint der Urbanistikprofessor Orlando Junior von der Bundesuniversität Rio de Janeiro. Die Menschen der ärmeren Vororte im Westen schneide die Linie geradezu ab von ihren Arbeitsplätzen im Stadtzentrum. Als Aktivist des Volkskomitees zur WM (Comitê Popular da Copa) in Rio beurteilt er die Geldströme sehr kritisch: "Fast alle Subventionen fließen in wohlhabende Gegenden und gewähren Investoren nahezu risikolose Anlagen."
Milliarden für Immobilien
Damit meint Junior auch Förderungen, die offiziell nichts mit der WM oder einer andern Großveranstaltung zu tun haben, wie die "Friedenspolizei": Seit einigen Jahren besetzt sie Armenviertel, aus denen zuvor mit Hilfe des Militärs Drogenbanden vertrieben wurden. Ehemals unbetretbare Gegenden werden nun zu begehrten Wohnquartieren - vor allem wenn sie in der Nähe der bürgerlichen Stadtteile Leblon, Ipanema und Copacabana liegen.
Auf dem "Morro da Providência", einem der zentrumsnahen Hügel, wird in Kürze eine Seilbahn eröffnet, die den meist armen Bewohnern den Weg nach unten erleichtern soll - und den Touristen den Weg nach oben, denn der Hügel bietet einen einzigartigen Blick auf den "Porto Maravilha", den "Wunderbaren Hafen": Unter diesem Namen wird Rios heruntergekommenes Hafenviertel für 2,5 Milliarden Euro zum neuen Geschäfts-, Wohn- und Touristenviertel aufpoliert.
Ob aus all dem nachhaltige Werte entstehen, wird sich erst noch zeigen. Einar Braathen vom Norwegischen Institut für Stadt- und Regionalforschung, der die Prozesse in Rio verfolgt, meint jedenfals: "Ohne die Megaevents hätte kein Politiker für diese Projekte seine Karriere aufs Spiel gesetzt." So aber sei der Stein ins Rollen gekommen - und der Rubel. Ob der Verkehr in Rio auch irgendwann einmal ins Rollen kommt - hinter dieser Frage steht nach wie vor ein großes Fragezeichen.