Ende mit Schrecken in Incirlik
6. Juni 2017Seit gut eineinhalb Jahren ist die Bundeswehr auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik in der Türkei im Einsatz. Ein Einsatz, der offenbar auf sein Ende zusteuert. Immer wieder hatte es um die Stationierung der rund 260 deutschen Soldaten Streit mit der Türkei gegeben. Als Ersatz ist Jordanien angedacht. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) möchte schnell Fakten schaffen: "Wir sind auf die Verlegung vorbereitet. Mit dem Flughafen Al Azraq in Jordanien haben wir eine vergleichbare Alternative gefunden", sagte sie am Dienstag. Vor einigen Wochen hatte sie den möglichen neuen Stützpunkt selbst in Augenschein genommen. Nun erklärte sie, bereits am morgigen Mittwoch werde das Bundeskabinett über die Verlegung "beraten und auch entscheiden".
Kabinettsentscheidung noch offen
So endgültig das klingt, ganz sicher ist der Entschluss nicht. Aus Kreisen der Regierung war zu hören, möglichweise seien Detailfragen der Verlegung doch komplexer als angenommen. Zunächst werde Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) in der Ministerrunde über seine letztlich ergebnislose Reise nach Ankara vom Montag dieser Woche berichten. Dort hatte der Außenminister ein letztes Mal versucht, sich mit der türkischen Regierung auf regelmäßige Besuchserlaubnisse für deutsche Abgeordnete in Incirlik zu einigen. Vergeblich.
Fast erleichtert sagte Gabriel nun, der Abzug aus der Türkei könne sogar eine Art Befreiung sein. Jetzt biete sich die Chance, "in allen anderen Bereichen weiterzuarbeiten, wo wir ein gemeinsames Interesse haben". Immerhin sicherte ihm sein türkischer Kollege Mevlüt Cavusoglu nach dem Treffen zu, den Streit nicht auch noch auf den Nato-Stützpunkt in Konya auszudehnen, auf dem ebenfalls deutsche Soldaten Dienst tun. Allerdings im Nato-Auftrag, nicht im Rahmen einer Bundeswehr-Mission. Schon eine solche eigentlich selbstverständliche Zusage wird im tief zerrütteten deutsch-türkischen Verhältnis momentan als Erfolg gewertet.
Immer wieder Streit um Besuche von Abgeordneten
Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende: Diese Haltung hatte sich zuletzt in der deutschen Regierung durchgesetzt. Mit anderen Worten: Bliebe die Bundeswehr in Incirlik, dann würde das ein ewiger Streitpunkt mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bleiben. Die türkische Seite hatte wiederholt Besuche von Bundestagsabgeordneten auf dem Stützpunkt untersagt.
Mal aus Verärgerung über eine Resolution des Bundestages, die die Massaker von Türken an den Armeniern vor gut einem Jahrhundert als Völkermord bezeichnet hatte. Dann aus Verärgerung darüber, dass türkischen Offizieren, die beschuldigt werden, mit der bei Erdogan verhassten Gülen-Bewegung zu sympathisieren, in Deutschland Asyl gewährt wurde.
Für die deutsche Seite sind diese Besuche aber keine Formalität. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, ihre Auslandseinsätze werden vom Bundestag beschlossen. Besuche von Abgeordneten bei den Soldaten im Ausland sollen das unterstreichen. Bis zuletzt hatten vor allem Verteidigungsexperten von Union und SPD, etwa der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter, für einen Verbleib in Incirlik geworben. Dass die Bundeswehr dort ihren Auftrag besser erfüllen kann als in Jordanien, ist unter Experten unumstritten.
Bundestag kann abstimmen, muss es aber nicht
Seit Anfang 2016 hilft die Bundeswehr mit Aufklärungsflugzeugen und Betankungsmaschinen mit im Kampf vieler Nationen gegen den Terror der Islamisten im Irak und in Syrien. Ein neues Mandat der Volksvertretung braucht die Bundeswehr für die Verlegung nach Jordanien offenbar nicht, der Bundestag muss also nicht neu darüber beraten, kann aber natürlich einen Beschluss herbeiführen. Das könnte dann in der Sitzungswoche ab dem 19. Juni dieses Jahres passieren.
Alle Fraktionen bis auf die Linkspartei wollen der Verlegung zustimmen. Die Linkspartei ist zwar auch dafür, die Zelte in Incirlik abzubrechen, spricht sich aber gegen eine Verlegung der rund 260 Soldaten nach Jordanien aus.
Opposition: Regierung hat zulange auf Zeit gespielt
Bei den im Bundestag vertretenen Parteien besteht also weitgehende Einigkeit über den Abzug. Die Opposition kritisiert allerdings, die Regierung habe mit dem Verlegungsbeschluss viel zu lange gezögert. Die grüne Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger erklärte, die Türkei habe schon vor langer Zeit "die Grenze des Erträglichen" überschritten: "Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Spiel auf Zeit blamiert und ist mit ihrem Kurs der Gutgläubigkeit völlig gescheitert." Die Regierung selbst will sich nun den zahlreichen anderen Belastungen im Verhältnis mit der Türkei widmen, vor allem dem Schicksal des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der seit Monaten ohne Anklage in einem türkischen Gefängnis sitzt. Präsident Erdogan wirft ihm Terrorunterstützung vor.