Indien auf dem Weg in den atomaren Club
20. Februar 2006Höherrangig geht es kaum: Der französische Präsident Jacques Chirac besuchte am Sonntag und Montag (19./20.2.2005) Indien - es begleiteten ihn nicht weniger als fünf Minister und 32 Wirtschaftsvertreter. Teil der Entourage war ein Vertreter des Konzerns Areva. Der weltgrößte Hersteller von Atomreaktoren kann darauf hoffen, schon bald Geschäfte in Indien zu machen - obwohl sich die Nuklearmacht bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) beizutreten. Während des Besuchs würden die beiden Länder "zwei bedeutende Dokumente unterzeichnen, die den militärischen Bereich und die Zusammenarbeit bei der zivilen Atomnutzung betreffen", heißt es in einer Mitteilung der französischen Botschaft in Neu Delhi.
Vorreiter USA
Frankreich folgt damit den USA. Bereits im vergangenen Sommer hatten US-Präsident George W. Bush und der indische Premierminister Manmohan Singh die nukleare Zusammenarbeit vereinbart. "Die USA haben sehr klar gemacht, dass das gelieferte Material nicht für das Waffenprogramm benutzt werden darf", sagt Stephen Cohen von der Brookings Institution, einem einflussreichen Washingtoner Thinktank. Das Abkommen sieht eine Reihe von Beschränkungen vor, die auch für Frankreich gelten würden. So muss Neu Delhi seine zivilen und militärischen Programme klar trennen und Inspektionen zulassen.
Die Details, die noch verhandelt werden, sorgen in Indien für einige Aufregung. So erklärte der Chef der Energiekommission, Anil Kakodkar, einige der US-Forderungen schadeten den strategischen Interessen des Landes. "Ich denke aber, dass die Unterhändler die Differenzen bald ausräumen werden", sagt Rajesh Kumar Mishra vom indischen Institut für Verteidigungsstudien und -analysen (IDSA). "Denn die Atomfrage ist eine Schlüsselkomponente in der strategischen Beziehung der beiden Staaten." Es könne noch vor dem Indien-Besuch von George Bush im März eine Einigung geben.
Aushebelung des Sperrvertrages
Bevor Amerika Nukleartechnologie an ein Land liefern kann, das den Sperrvertrag nicht unterzeichnet hat, müssen allerdings verschiedene US-Gesetze geändert werden. Stephen Cohen von der Brookings Institution rechnet damit, das dies auch geschehen wird: "Momentan haben zwar viele Kongressabgeordnete Zweifel, aber am Ende werden sie den Plan befürworten - Indien ist sehr beliebt geworden." Eine zweite Hürde bildet die Gruppe der nuklearen Lieferstaaten (NSG), die ebenfalls zustimmen muss. Dort gibt es neben den USA nun einen weiteren Fürsprecher. "Die Anerkennung eines Sonderstatus für Indien durch die NSG ist für uns eine Priorität", erklärte Chirac in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "India Today."
Kritiker befürchten, dass die Zusammenarbeit den Sperrvertrag aushebeln würde, der den Unterzeichnerstaaten für den Verzicht auf Kernwaffen Hilfe bei der Entwicklung ziviler Programme verspricht. Wenn die Kooperation mit einem Atomwaffenstaat möglich sei, der nicht Teil des Kontrollregimes ist, stelle sich für die übrigen Länder die Frage nach dem Nutzen des Regimes, sagt etwa Ian Anthony vom internationalen Friedensforschungsinstitut SIPRI in Stockholm. Eine Sonderregelung für Indien könne zudem die Solidarität der Lieferstaaten beschädigen.
Misstrauen in Pakistan
Auch bei strikten Kontrollen könnten Brennstoff-Lieferungen die Waffenproduktion unterstützen. Denn derzeit muss Indien das in eigenen Bergwerken gewonnene Uran auch für das zivile Atomprogramm nutzen, dessen Kapazität in den kommenden 15 Jahren verzehnfacht werden soll.
Entsprechend misstrauisch wird das Abkommen in Pakistan beäugt. "Pakistan und Indien haben den gleichen Status: Sie haben Atomwaffen, werden aber unter dem Sperrvertrag nicht als Atomwaffenstaaten anerkannt ", sagt Tasnim Aslam, Sprecherin des pakistanischen Außenministeriums. "Wenn es eine Abmachung geben sollte, die Indien als Atommacht akzeptiert, würden wir erwarten, dass Pakistan ebenso behandelt wird."
Das allerdings ist unwahrscheinlich. Vor zwei Jahren hatte Pakistan einräumen müssen, dass der dort als "Vater der Bombe" verehrte Wissenschaftler Abdul Qadeer Khan Atomtechnologie an Länder wie Nordkorea, Libyen und den Iran verkauft hatte - angeblich ohne das Wissen des Militärs. Doch nicht nur das spricht aus Sicht des Westens gegen Pakistan. Zwar machten die USA das Land nach dem 11. September 2001 zum Verbündeten im Kampf gegen den Terror. Als zuverlässig gilt Pakistan deswegen jedoch nicht: Durch die jahrelangen Unterstützung der Taliban in Afghanistan und von separatistischen Kämpfern im indischen Teil Kaschmirs unterhalten Teile von Armee und Geheimdienst enge Verbindungen zu militanten islamistischen Gruppen.
"Es gibt hier eine große Sorge, dass die pakistanischen Atomwaffen außer Kontrolle geraten und in die Hände von Terroristen gelangen", sagt Stephen Cohen. Pakistan sieht sich daher nach anderen Partnern um. Bei seinem Staatsbesuch in China ab 19. Februar werde Präsident Pervez Musharraf auch über den Kauf von zwei weiteren Atomkraftwerken verhandeln, berichtete die Website der pakistanischen Armee am Donnerstag (16.2.). Armeekreisen zufolge hätte ein chinesischer Regierungsmitarbeiter bereits versprochen, dass Pakistan bei der zivilen Atomnutzung weiter unterstützt werde. In einem Bericht der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zu dem Besuch fehlt jeder Hinweis auf das Thema. "Angesichts der derzeitigen internationalen Abkommen dürfte Pakistan keine Hilfe von China erwarten", sagt Rajesh Kumar Mishra vom IDSA. Da es in der Vergangenheit bereits illegale Transfers zwischen den beiden Ländern gegeben habe, könne man nichts ausschließen.
Strategische Beziehung
Die geplante Zusammenarbeit zwischen den USA und Indien wird von China offiziell unterstützt. China verstehe vollkommen, dass Indien seinen Energiebedarf decken müsse, erklärte am Freitag (17.2.) der chinesische Botschafter Sun Yuxi in Neu Delhi. Zudem sei es auch in Chinas Interesse, wenn Indien bessere Beziehungen mit den USA entwickele. Dabei glauben viele Beobachter, dass die amerikanische Indien-Politik auch das Ziel verfolgt, das Land gegen den Rivalen China in Stellung zu bringen - ein Bericht des Pentagon, der 2002 an die Öffentlichkeit drang, mahnte genau dieses an. Darin sieht Stephen Cohen aber nicht den Hauptgrund: "Bush wollte den alten Streitpunkt hinter sich lassen, um eine strategische und wirtschaftliche Beziehung mit Indien aufzubauen."
Wirtschaftliche Motive dürften jedenfalls ein wesentlicher Grund für das französische Entgegenkommen sein. Denn bislang ist Frankreich auf dem Wachstumsmarkt kaum präsent. Lediglich 1,8 Prozent der indischen Importe kommen derzeit aus Frankreich; das gesamte Handelsvolumen macht lediglich 3,5 Millionen aus - ein Drittel des Handels zuwischen Indien und China. Dies zu ändern sei ein Ziel seines Besuchs, erklärte Chirac. Der bilaterale Handel solle sich in den kommenden fünf Jahren verdoppeln. Vielleicht wird auch der französische Atomkonzern Areva dazu beitragen.