Indien und Russland: Partnerschaft mit Hindernissen
6. Juli 2024Die für kommende Woche geplanten Gespräche des indischen Premiers Narendra Modi mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau dürften nicht ganz einfach werden. Denn Indien ist zwar ein Partner Russlands - zugleich aber auch darauf bedacht, durch eine zu große Nähe zu Moskau sein Verhältnis zum Westen nicht allzu sehr zu belasten.
Wie schwierig das Verhältnis zu Russland ist, hatte Modi bereits in der Vergangenheit erfahren. So hatte Indien trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine fossile Brennstoffe aus Russland importiert. Dafür hatte es vom Westen erhebliche Kritik einstecken müssen. Dennoch hat der drittgrößte Erdölimporteur der Welt die Einfuhren aus Russland im Jahr 2022 verzehnfacht und im vergangenen Jahr dank starker Preisnachlässe dann nochmals verdoppelt. Indiens Kohleeinfuhren aus Russland haben sich im selben Zweijahreszeitraum verdreifacht.
Den Vorwurf, durch die Einfuhren Putins Kriegsmaschinerie zu finanzieren, konterte Neu-Delhi mit dem Hinweis auf seine "stabilen und freundschaftlichen" Beziehungen zu Moskau sowie seine starke Abhängigkeit von Ölimporten.
Bei dem Treffen kommende Woche in Moskau dürfte Putin versuchen, den Handel mit Indien zusätzlich anzukurbeln. Auf diese Weise will er Russlands rohstoffabhängige Wirtschaft stärken und die Auswirkungen der westlichen Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs mindern.
Bei der Ankündigung der Gespräche sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, neben der Zusammenarbeit in globalen und regionalen Sicherheitsfragen werde es auch darum gehen, den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern. Der politische Wille dazu bestehe auf beiden Seiten.
Das im Ukraine-Krieg auf eine neutrale Position bedachte Indien strebt einerseits neue Handelsbeziehungen zu Moskau an. Andererseits will es seine engen Verbindungen zum Westen aufrechterhalten.
Starke Beziehungen
Während des Kalten Krieges bauten die Sowjetunion und Indien eine strategische Partnerschaft für Verteidigung und Handel auf. Diese setzte sich nach dem Ende des Kommunismus fort. Im Jahr 2000 unterzeichnete Putin, damals russischer Premierminister, eine erneute Erklärung zur Zusammenarbeit mit Neu-Delhi.
Indien ist ein wichtiger Markt für die russische Rüstungsindustrie - bis vor kurzem war es sogar ihr größter. In den vergangenen zwei Jahrzehnten bediente Moskau rund zwei Drittel der indischen Waffenkäufe. Der Gesamtwert lag dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI) zufolge bei über 60 Milliarden Dollar (55,8 Milliarden Euro).
Nach dem Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine versuchte Moskau, seine Beziehungen zu Indien und China zu vertiefen, um so ein Gegengewicht zum Westen zu schaffen. Dieser hatte zahlreiche Sanktionen über Russland verhängt. Der Kreml bot Neu-Delhi enorme Preisnachlässe auf Öl-, Kohle- und Düngemittellieferungen an. Das erlaubte ihm, die für den Krieg gegen die Ukraine nötigen finanziellen Mittel aufzustocken.
In der Folge entwickelte sich Indien zu einem wichtigen Exportmarkt für russische fossile Brennstoffe, für die Moskau nach den westlichen Sanktionen neue Absatzmärkte suchte. Im April beispielsweise stiegen die russischen Rohöllieferungen nach Indien dem Finanzanalyseunternehmen S&P Global zufolge auf einen neuen Rekord von 2,1 Millionen Barrel pro Tag.
Laut Zahlen des indischen Handelsministeriums erreichte der bilaterale Handel zwischen den beiden Ländern im vergangenen Jahr ein Rekordhoch von fast 65,7 Milliarden Dollar. Der Handel ist jedoch recht einseitig, denn Indien importiert Waren im Wert von 61,4 Milliarden Dollar; darunter Öl, Düngemittel, Edelsteine und Metalle.
"Lange Zeit haben wir Russland aus einer politischen oder sicherheitspolitischen Perspektive betrachtet", sagte der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar auf einer Industriekonferenz im Mai. "In dem Maße, in dem sich das Land nach Osten wendet, eröffnen sich neue wirtschaftliche Möglichkeiten. Der Anstieg unseres Handels und die neuen Bereiche der Zusammenarbeit sollten nicht als vorübergehendes Phänomen betrachtet werden."
Bedenken in Neu-Delhi
Inzwischen kritisiert der Westen Indien wegen dessen Billigöl-Deals mit Russland nicht mehr ganz so hart. Mit Sorge sieht man in den USA und der EU allerdings die Abhängigkeit Neu-Delhis von russischen Waffenimporten.
"Neu-Delhi hat im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine einen differenzierten Umgang gezeigt und sowohl zu Moskau wie auch zum Westen ein gutes Verhältnis entwickelt", schrieb Alexei Zakharov, ein Forscher für indische Außenpolitik am französischen Institut für internationale Beziehungen (Ifri), vergangenen Monat in einem Artikel.
Es gebe "strukturelle Herausforderungen", so Zakharov. Diese hinderten beide Seiten offenbar immer noch daran, die Wirtschaftsbeziehungen wiederzubeleben. Die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern sei derzeit "in der Schwebe" - teils auch, weil der Ukraine-Krieg und die westlichen Sanktionen den russischen Rüstungssektor belasteten.
So hat Indien bei früheren Geschäften mit der russischen Rüstungsindustrie eine Reihe negativer Erfahrungen gemacht. So etwa kaufte das Land 2004 einen von Russland modernisierten und nachgerüsteten Flugzeugträger aus der Sowjetzeit. Aufgrund langer Verzögerungen und einer Verdoppelung der ursprünglichen Kosten geriet das Geschäft zunehmend in die Kritik.
Unter Druck geriet die Regierung auch 2013, als 18 Besatzungsmitglieder eines in Russland gebauten U-Boots ums Leben kam, nachdem dieses explodierte und sank.
Derzeit wartet das indische Militär auf zwei von insgesamt fünf S-400-Luftabwehrsystemen und Fregatten russischer Produktion, die Russland im Rahmen eines 2018 geschlossenen Vertrags liefern muss. Das berichteten lokale Medien im April.
Zwischen 2017 und 2022 war Indien der führende Markt für russische Waffenexporte. Danach aber sank Russlands Anteil an den Verteidigungsexporten in das südasiatische Land von 65 auf 36 Prozent, wie Daten von SIPRI-Daten zeigen.
Profitiert haben vom Strategiewechsel Neu-Delhis französische und deutsche Waffenlieferanten. Das dürfte auch daran liegen, dass indische Politiker die westlichen Sanktionen gegen Moskau durch die Unterzeichnung neuer Verträge mit dem Kreml nicht unterlaufen wollen.
Verstärkter bilateraler Handel?
Modis Besuch in Moskau - seine zweite Auslandsreise nach seiner Wiederwahl im Juni - zeigt, welche Bedeutung Indien den Beziehungen zum Kreml weiterhin beimisst. Als wachsende Weltmacht ist Neu-Delhi bestrebt, seine eigenen strategischen Interessen in den Vordergrund zu stellen. Zugleich strebt es ein Gleichgewicht seiner Beziehungen zum Westen, zu Russland und China an.
Diese Haltung zeigt sich etwa mit Blick auf den Ukraine-Krieg. So hat Neu-Delhi zwar zu "Dialog und Diplomatie" für die Beendigung des Ukraine-Krieges aufgerufen. Zugleich aber setzte der Vertreter Indiens auf dem jüngsten Friedensgipfel in der Schweiz seine Unterschrift nicht unter das gemeinsame Kommuniqué, in dem die Wahrung der territorialen Integrität der Ukraine in einem Friedensabkommen gefordert wurde.
"Auf den ersten Blick scheint es, dass die Neutralität Indiens im Ukraine-Krieg dazu beigetragen hat, die Beziehungen zu Moskau zu stärken", so Zahkarov in seinem Beitrag. "Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass Indien in seinen Beziehungen zu Russland vorsichtiger geworden ist. Den Dialog fortzuführen und die Beziehungen zu sichern, dürfte für beide Seiten wahrscheinlich wichtiger sein als neue Verträge abzuschließen".
Auch wenn neue Vereinbarungen über den Kauf russischer Waffen nur begrenzt möglich sind, könnte Russland im Rahmen von Modis Initiative "Made in India" - sie soll Indien als Produktionsstandort fördern - mehr Rohstoffe und Teile für die indische Waffenproduktion liefern.
Ebenso hat Moskau großes Interesse daran, den Internationalen Nord-Süd-Transportkorridor (INSTC) auszubauen, ein Straßen-, See- und Eisenbahnprojekt, das Russland über den Iran mit Indien verbindet. Im vergangenen Monat hat Russland die erste Tranche Kohle über den INSTC verschifft.
Das Projekt ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in Arbeit. Angesichts der Einschränkungen, denen Russland durch die westlichen Sanktionen ausgesetzt ist, ist der INSTC nun eine der wichtigsten Handelsprioritäten des Kremls.
Dringend fertiggestellt werden soll auch der Seekorridor Chennai-Wladiwostok. Der sich über 10 300 Kilometer erstreckende Seeweg könnte dazu beitragen, die Versorgung Indiens mit russischer Energie und anderen Rohstoffen zu sichern. Zudem könnte der Korridor die Transportzeiten der derzeit genutzten Route durch den Suezkanal von 40 auf 24 Tage verkürzen.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.
Der Artikel wurde auf Englisch bereits veröffentlicht. Die deutsche Adaption wurde mit Agentur-Material zum anstehenden Besuch Modis in Moskau aktualisiert.