Modi und der Populismus
13. Dezember 2017Ende der Woche wird in Indiens westlichstem Bundesstaat Gujarat in zweiter Runde gewählt. In Gujarat begann der landesweite Aufstieg des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi mit seiner hindu-nationalistischen BJP-Partei, die in Gujarat seit über 20 Jahren an der Macht ist. Herausgefordert wird die BJP von der Kongresspartei, die Indien jahrzehntelang nach der Unabhängigkeit regierte. Deren Spitzenkandidat ist Rahul Gandhi, der vor kurzem zum Nachfolger seiner Mutter Sonia an die Spitze der Kongresspartei gewählt wurde. Die Wahl in Gujarat gilt einerseits als Stimmungstest für Modis Popularität, andererseits als Bewährungsprobe für Rahul Gandhi, der Modi bei den landesweiten Wahlen 2019 herausfordern soll.
Um Stimmung für die BJP zu machen, beschuldigte Modi vergangenen Sonntag auf seiner Facebookseite Pakistan, die Wahlen in Gujarat zugunsten der Kongresspartei zu beeinflussen. Als "Beweis" diente das Treffen eines ehemaligen pakistanischen Außenministers mit dem ehemaligen indischen Premier Manmohan Singh, der zur Kongresspartei gehört, in Neu Delhi. Dabei hätte es sich laut Modi um eine konspirative Zusammenkunft gehandelt, um die Wahlen in Gujarat zu beeinflussen. Pakistan und Mitglieder der Kongresspartei wiesen die Anschuldigungen zurück. Beobachter und ein Großteil der indischen Medien waren sich ebenfalls einig, dass die Verdächtigungen Modis aus der Luft gegriffen sind.
Direkte Ansprache des Volkes über soziale Medien
Das Beispiel zeigt besonders deutlich, wie Modi insbesondere im Wahlkampf Politik macht. Er wendet sich über die sozialen Medien direkt an das Volk. Er bringt vage Anschuldigungen vor, indem er ein im politischen Geschäft übliches und allgemein bekanntes Treffen ins Zwielicht rückt. Dabei nutzt er geschickt die Feindschaft zwischen Indien und Pakistan, wodurch starke emotionale Reaktionen garantiert sind. Populismus, wie er im Lehrbuch steht.
Johannes Plagemann und Andreas Ufen vom GIGA-Institut in Hamburg haben vor kurzem eineStudie zu den Spielarten des Populismus in Asien veröffentlicht, in der sie Modi und Indien einen Abschnitt widmen. Sie definieren Populismus wie folgt: "Populisten sprechen im Namen eines einzig 'wahren' Volkes, stellen sich gegen eine vermeintlich korrupte, verkommene Elite und tendieren dazu, vermittelnde Instanzen wie Gerichte, Parlamente und Medien gering zu schätzen."
Populisten nutzen stattdessen die direkte Kommunikation etwa über die sozialen Medien, um unmittelbar zum Volk zu sprechen und um nicht durch die Partei oder die Medien gefiltert zu werden. Modi ist nach Trump der Politiker mit den meisten Twitter-Followern weltweit, derzeit 37,8 Millionen.
Entscheidungen in kleinem Kreis
Zwei weitere Elemente sind nach Plagemann und Ufen charakteristisch für den Populismus: Zum ersten ein "Anti-Pluralismus", also die Begrenzung von politischem und gesellschaftlichem Einfluss auf eine Gruppe. Die von Modi bevorzugte Gruppe sind jene Hindus, die religiöse Vorschriften streng beachten und eine religiös geprägt Nation und Politik anstreben (dies ist mit den Begriffen "Hindu-Nationalismus" und "Hindutva" gemeint). Das zweite populistische Element ist die Tendenz zur Personalisierung der Politik.
Beides lasse sich auch in Indien beobachten, so Ufen und Plagemann. Modi inszeniere sich als "Außenseiter" in Neu-Delhi. Als Sohn eines Teeverkäufers kommt er selbst aus dem Volk und ist nicht Teil der als weitgehend für korrupt gehaltenen und elitären Nehru-Gandhi-Dynastie, die mit der Kongresspartei das Land über Jahre beherrscht hat. Er gibt sich als uneingeschränkter Diener seines Volkes, asketisch, kinderlos und allein lebend.
Alle wesentlichen Entscheidungen der Regierungspartei werden in einem kleinen Kreis getroffen. Gutes Beispiel dafür ist etwa die umstrittene Bargeld-Reform von 2016, die für viele überraschend kam. Modi hat diese nur in Absprache mit dem Finanzminister und wenigen anderen entschieden, wie Plagemann im Gespräch mit der DW erklärt.
Politik mit der Nationalgeschichte
Außerdem verfolgt die BJP wie oben erwähnt einen radikalen Hindu-Nationalismus. "Problematisch ist die dem Hindu-Nationalismus innewohnende Gleichsetzung von Hinduismus mit indischer Identität", sagen Plagemann und Ufen. Damit werden die mehr als 170 Millionen Muslime, die in Indien leben, ausgeschlossen. Dieser Kurs befördere generell eine Polarisierung des Landes.
Langfristig sei auch das Geschichtsbild, das unter der BJP vermittelt wird, problematisch. So versuchten Hindunationalisten erst kürzlich das bekannteste Bauwerk des Landes, das Grabmal Taj Mahal, das von einem muslimischen Herrscher errichtet wurde, zu diskreditieren. Die Zeit des muslimisch geprägten Mogulreichs (1526-1858) wird inzwischen oft als eine Art erste Kolonialzeit dargestellt. "Der muslimische Einfluss soll ausradiert werden. Der Modellcharakter Indiens wird damit zerstört", sagt Plagemann.
Der Modellcharakter einer pluralistischen Demokratie geht zurück auf Staatsgründer Jawaharlal Nehru und dem unter der Kongresspartei kultivierten indischen Motto 'Einheit in Vielfalt'. Die politische Linie der BJP steht dem entgegen. Das wurde deutlich, als am diesjährigen Unabhängigkeitstag am 15. August kaum Bezug auf Nehru und die Staatsgründung genommen wurden. "Damit verzichtet die BJP auf wichtige integrative und demokratiefördernde Ideen", sagt Plagemann.
Trotz dieser Entwicklungen "steht der Fortbestand der Demokratie in Indien bislang nicht infrage." Das hänge vor allem mit dem indischen Föderalismus zusammen, den auch ein starker Führer wie Modi nicht ohne weiteres abschaffen kann. "Der Föderalismus bringt zwangsläufig Pluralismus in die Debatte", so Plagemann. Dennoch habe der Populismus das Potential, die Demokratie in Indien nachhaltig zu schädigen.