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Industrie 4.0 hat goldenen Boden

Dirk Kaufmann
26. Januar 2017

Früher hieß es: "Handwerk hat goldenen Boden". In Zukunft aber, so eine Studie, gelte das eher für das "Internet der Dinge": Hier winkten der deutschen Wirtschaft Produktivitätssteigerungen in Milliardenhöhe.

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Arbeit Industrie 4.0
Bild: Imago/R. Weisflog

Menschenleere Fabrikhallen voller Roboter, die digital gesteuert und überwacht unsere Arbeit erledigen. Nur noch Maschinen - billiger und williger als jeder Mensch, ohne Pause klaglos tätig Tag und Nacht. So sieht das Bild aus, das viele Zeitgenossen vor Augen haben, wenn sie an die Zukunft der Industrie denken. Für sich selbst sehen diese Menschen keinen Platz in diesem Bild.

Doch folgt man dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI), ist das nur ein Zerrbild und keineswegs die Realität von Morgen. Gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut und der Hochschule Karlsruhe haben die Ingenieure die "Modernisierung der Produktion" für eine Studie analysiert und die Vor- und Nachteile der Digitalisierung untersucht.

Wer wird vom Internet der Dinge profitieren?

Dass die Digitalisierung auch in deutschen Betrieben bereits voranschreitet, ist für Steffen Kinkel von der Karlsruher Hochschule keine Frage mehr, sondern eine durch Zahlen belegte Tatsache: "Die Digitalisierung der Produktion ist in der deutschen Industrie auf dem Vormarsch - und das lohnt sich für die Betriebe!"

Udo Ungeheuer
VDI-Präsident Udo UngeheuerBild: picture alliance/dpa/F. von Erichsen

Für die Arbeiter auch? Droht bei weiterer Automation nicht ein massenhafter Abbau von Arbeitsplätzen? Für Udo Ungeheuer, den Präsidenten des VDI, ist es wichtig, das geradezurücken: "Das ist nicht der Fall! Das wäre eine vorschnelle Interpretation der Zahlen." Stattdessen müsse man sehen, dass durch die Digitalisierung "die Unternehmen wettbewerbsfähiger werden, damit langfristig besser aufgestellt sind und mit ihren modernen Produktionsstrukturen weiterhin für Arbeit und Wertschöpfung am Standort Deutschland sorgen."

Gewaltige Produktivitätssteigerungen schlummern

Die Zahlen, mit denen Ungeheuer argumentiert, basieren auf einer Untersuchung, bei der das Fraunhofer Institut 2015 fast 1300 Betriebe in Deutschland befragt hat. Laut Steffen Kinkel von der Hochschule Karlsruhe, der gemeinsam mit dem VDI-Präsidenten die Studie am Mittwoch in Düsseldorf vorstellte, lobte das Datenmaterial als "die umfangreichste Erhebung im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland."

Für ihre Untersuchung haben die Karlsruher Wissenschaftler den digitalen Fortschritt systematisiert. Genauer: Sie haben sieben einzelne Digitalisierungsmaßnahmen untersucht und sie drei verschiedenen Feldern zugeordnet: digitale Management-Systeme, drahtlose Mensch-Maschine-Kommunikation und drittens sogenannte "CPS-nahe Prozesse". CPS steht für "cyber-physisches System" und bedeutet, das digitale Systeme miteinander vernetzt sind. Wie weit diese digitalen Möglichkeiten bereits genutzt werden, zeigt diese Grafik:

Infografik Nutzung digitaler Technologien
Bedenklich: Nicht einmal jedes siebte Unternehmen nutzt ein "PLM", also ein "Product Lifecycle Management System"

Setze ein Unternehmen, so Udo Ungeheuer, eenigstens eine Digitalisierungstechnologie, die in der Grafik dargestellt ist, um, könne es seine Arbeitsproduktivität um 15 Prozent steigern. Wären es mehr Maßnahmen aus zwei oder sogar allen drei Feldern, wüchse die Produktivität um mehr als ein Viertel.

Mit Zahlen des Statistischen Bundesamtes hat der VDI diese Zahlen auf die gesamte deutsche Wirtschaft hochgerechnet: Würde jedes Unternehmen wenigstens eine Digitalisierungstechnologie anwenden, stiege die Arbeitsproduktivität der gesamten deutschen Wirtschaft um 4,4 Milliarden Euro jährlich. Würde aber, so Udo Ungeheuer, jeder Betrieb Technologien aus zwei oder drei der oben beschriebenen Feldern umsetzen, ergäbe sich "für die deutsche Industrie insgesamt eine Steigerung der Arbeitsproduktivität von etwa knapp acht Milliarden Euro jährlich."

Noch viele Steine auf dem Richtigen Weg

"Digitale Technologien sind aus der industriellen Produktion nicht mehr wegzudenken", so der VDI-Präsident. "Wer auf dem Weltmarkt heute und morgen erfolgreich sein will, muss die Vorteile dieser rasanten Entwicklungen erkennen und umsetzten." Dabei sei Deutschland schon recht weit gekommen, zeigt Steffen Kinkel anhand einer Grafik, und kommentiert deren Kurven aus seiner langjährigen Erfahrung: "Man sieht selten so deutliche Anstiege innerhalb so kurzer Zeit."

Infografik Verbreitung digitaler Technologien DEU
Positives Signal: Die "Product Lifecycle Management Systems" scheinen aufzuholen, viele Firmen entdecken ihren Wert.

Dennoch muss in Deutschland noch viel passieren, um bei der gerade laufende industrielle Revolution nicht zurückzubleiben. Ein großes Thema ist dabei die digitale Infrastruktur, die hierzulande noch in einem beklagenswerten Zustand sei.

Bei der Breitbandversorgung liegt Deutschland im europäischen Vergleich nicht gerade an der Spitze, so Steffen Kinkel: "Was den Netzausbau in Deutschland betrifft, liegen wir nicht mal im Mittelfeld, sondern im unteren Mittelfeld." Und "Ich komme aus Rheinland-Pfalz und da gibt es ganze Gegenden, in denen Internet noch kein Thema ist", wirft Udo Ungeheuer bestätigend ein.

Neue Strategien, neue Produkte

Aber, so fährt er fort, es mangele nicht nur an der digitalen Infrastruktur, es fehle auch an neuen Geschäftsmodellen. Das beträfe beispielsweise den Service: "Was machen Sie denn, wenn bei Ihnen ein Gerät nicht mehr funktioniert? Sie gehen ins Internet und gucken da: Was kann ich machen?"

Prof. Dr. Steffen Kinkel
Steffen Kinkel von der Hocghschule KarlsruheBild: privat

Hier eröffnet das Internet der Dinge ganz neue Möglichkeiten. Mit einem "Product Lifecycle Management System", das, wie die erste Grafik zeigt, in Deutschland erst ganz selten genutzt wird, kann eine Firma einen auf jeden Kunden individuell eingestellten Service anbieten. Damit könnten sich teure Besuche von Mechanikern erübrigen, ein langwieriges und umständliches Einschicken zur Reparatur vermeiden und vor allem eine tiefgreifende Kundenbindung herstellen lassen.

Keine Einbahnstraße!

Kommen Produktion und Service zeitlich und räumlich näher zum Kunden, so Steffen Kinkel, wäre das auch ein Grund, die Fertigung wieder nach Deutschland zurückzuholen: "Ich kann von asiatischen Niedriglohnstandorten keinen deutschen Kunden individuell und flexibel beliefern, wenn ich sechs bis acht Wochen Seeweg dazwischen habe."

Das ist, was den deutschen Arbeitsmarkt angeht, natürlich eine gute Nachricht, doch der Karlsruher Wissenschaftler schränkt gleich ein: "Das Gleiche gilt dummerweise auch umgekehrt!" Für den asiatischen  Kunden müssen die Waren, die er kauft, auch in Asien produziert werden.

Die Vergangenheit aber habe gezeigt, schließt VDI-Präsident Udo Ungeheuer, "dass mit stärkerer Automation in der Produktion viele Unternehmen ihre Kapazitäten in Deutschland ausgebaut haben, statt diese ins Ausland zu verlagern - ganz zum Vorteil von Arbeitsplätzen und dem Produktionsstandort Deutschland."